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Aktuelle Gesundheits-Nachrichten

Thema heute: Möglichkeiten der Brustrekonstruktion

Vernetzung in der Onkologie

Therapie des Prostatakarzinoms

Achtsamkeit in der Onkologie

Insulinpotenzierte Therapie

Erstattung von komplementären Leistungen

Erfahrungen & Erlebnisse

Aktuelles aus der Onkologie

 

Ökonomie und Gesundheit

Liebe Leserin, lieber Leser,

schauen wir nach der Bundestagswahl im September 2013 und dem Ende der letzten Legislaturperiode auf die Bilanzen der politischen Ressorts, so werden uns spätestens jetzt die Widersprüche zwischen dem gesellschaftlich Notwendigen und dem ökonomisch Machbaren bewusst. Konkret fragen wir: Wo steht Deutschland im Gesundheitswesen? Uns wird klar: Vieles wurde versprochen, Einiges angeschoben, wichtige Reformen im Gesundheits- und Pflegebereich stehen aus.

Bei allem wird deutlich: Es geht ums Geld! Wenn wir heute krank werden, kann unser Leben einen beängstigenden Verlauf nehmen. Wir können durch fehlende oder nicht ausreichende Behandlungen einen bedeutenden Verlust an Lebensqualität erfahren, möglicherweise unsere Arbeit verlieren und wenn es ganz hart kommt, auch unser Leben riskieren.

Die von mir hochgeschätzte Wissenschaftssendung „scobel“ des TV-Senders 3sat hat den Zusammenhang von Ökonomie und Gesundheit anhand knallharter Fakten dargestellt: „Würde es den USA gelingen, die durch Krebs verursachte Sterblichkeit nur um ein Prozent zu reduzieren, würde dies die volkswirtschaftliche Wertschöpfung im Jahr um geschätzte 500 Milliarden US-Dollar erhöhen.“ Tendenziell nicht anders hier in Europa. Unsere Gesundheit nutzt nicht zuletzt der Staatskasse.

An dieser Stelle muss ich zwingend einen großen Bogen spannen, denn was genau können wir, können Sie tun? Für jeden ist es notwendig, auch eigenverantwortlich für seine Gesundheit zu sorgen. Das kann jeder mit einem reicheren Wissen, einem gesunden Lebensstil, mit Prävention in allen Bereichen seines eigenen Lebens – wir helfen Ihnen gern dabei.

Danke für Ihr Interesse. Bis zur nächsten Ausgabe unserer „Aktuellen Gesundheitsnachrichten“. Bleiben Sie gesund – werden Sie gesund!

Ihre Dagmar Moldenhauer, Redaktionsleitung

 

Für Sie in dieser Ausgabe

■ IN EIGENER SACHE: Chemotherapieresistenz und wie weiter?

THEMA HEUTE:

Brustrekonstruktion nach Mammakarzinom - Welche Möglichkeiten haben wir heute?

IM BLICKPUNKT

Vernetzung in der Onkologie

WISSEN

Neue Erfahrungen der Integrativen Onkologie in der Therapie des Prostatakarzinoms

Auf ein Wort: Richtigstellung eines Autors

Achtsamkeit in der Onkologie

Die Insulin Potenzierte Therapie

ERFAHRUNGEN

Spätfolgen kommen spät – eine Betroffene meldet sich

Der besondere Platz – Guggenheim in Friedrichshagen?

RAT & TAT

Erstattung von integrativen/ komplementären Leistungen

Jüngste Gerichtsurteile

■ AKTUELLES AUS DER KREBSFORSCHUNG

 

Chemotherapieresistenz und wie weiter?


Liebe Leserin, lieber Leser,

Krebszellen, die resistent gegenüber der Therapie sind oder werden, sind ein Grundproblem der Krebsmedizin. Prof. Klaus Schulze-Osthoff von der Universität Tübingen, der sich intensiv mit dem Thema Therapieresistenz beschäftigt, sagt: „Irgendwann entwickelt fast jeder Krebs eine Therapieresistenz und wenn ein Patient an Krebs stirbt, obwohl dieser zunächst erfolgreich behandelt wurde, dann ist eigentlich immer eine Resistenz die verantwortliche Todesursache.“

Normalerweise müssen alle zugelassenen Medikamente für Chemotherapie bei Krebspatienten auf ihre Wirksamkeit getestet werden.

Leider gibt es viele Tumorarten, die insgesamt nur wenig oder gar keine Reaktion auf eine Chemotherapie zeigen. Und selbst bei allgemein gut behandelbaren Krebskrankheiten und bei sehr wirksamen Arzneimitteln gibt es immer einige Betroffene, bei denen die Zytostatika zur Chemotherapie nicht ausreichend wirken. Bei anderen Patienten bilden sich durch die Behandlung Krebsherde zuerst vollständig zurück; aber nach einiger Zeit kehrt die Erkrankung trotzdem wieder. Eine erneute Chemotherapie oder der Wechsel auf ein anderes Medikament können noch Wirkung zeigen. Die zytostatischen Medikamente lassen sich zudem nicht beliebig immer höher dosieren. Das würden Patienten ab einer gewissen Grenze nicht mehr verkraften. Die Nebenwirkungen werden zu stark und die Therapie würde schaden, statt zu helfen.

Die klassische Chemotherapie wirkt unspezifisch als Zellgift und schwächt oder tötet die Krebszellen ab. Resistente Zellen pumpen beispielsweise das Mittel direkt wieder aus den Zellen heraus, oder die Zellen reparieren gezielt die Schäden in der DNA, die das Medikament verursacht. Hat ein Tumor erst einmal eine Resistenz gegen eine klassische Chemotherapie entwickelt, ist er meist auch gegen andere Chemotherapeutika unempfindlich. Diese „Multidrug-Resistenz“ (MDR) stellt ein gravierendes Problem bei der Chemotherapie von Krebspatienten dar und ist mit einer schlechten Prognose für betroffene Patienten verbunden. Um diese Prognose zu verbessern, ist es wichtig, die Ursachen und Mechanismen der Multidrug-Resistenz aufzuklären, um eine Erhöhung der Chemosensitivität zu erreichen. In der Forschung spielt die Prüfung von Resistenzmechanismen eine große Rolle. Aber für Patienten hat sich ein Chemosensitivitätstest noch nicht etabliert, obwohl bis zu 98% der Tumorresistenzen festgestellt werden können.

Durch die Identifizierung unwirksamer Chemotherapeutika ist es möglich, Patienten unnötige Chemotherapien und die damit verbundenen Nebenwirkungen zu ersparen.

Dadurch kann auch wertvolle Behandlungszeit für andere Therapien gewonnen und die Wahrscheinlichkeit, dass sich Resistenzen gegenüber anderen Substanzen bilden, vermindert werden. Klinische Studien mit tausenden Patienten haben gezeigt, dass die chemosensitiv getesteten Patienten im Gegensatz zu den chemoresistenten Patienten eine signifikant längere Gesamtüberlebenszeit erreichten. Und wenn nur maximal 25% Krebspatienten positiv auf die klassische Chemotherapie reagieren, müssen wir etwas ändern, um auch den anderen 75% Tumorpatienten helfen zu können. Das Ziel der humanen Chemotherapie von Krebspatienten sollte eine Individualisierung der Therapie sein, um eine Optimierung der Behandlung zu erreichen.

Ihr Dr. Wasylewski

 

„Nichts auf der Welt ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“(Victor Hugo)

 

Brustrekonstruktion nach Mammakarzinom - Welche Möglichkeiten haben wir heute?

Dr. med. Uwe von Fritschen, Chefarzt der Klinik für Plastische und Ästhetische Chirurgie, Handchirurgie; Dr. med. Julian Kricheldorff, Helios-Klinikum Emil von Behring

Das Mammakarzinom ist der häufigste Tumor der Frau, statistisch erkrankt fast jede zehnte Frau. Etwa 70 Prozent der betroffenen Frauen können heute brusterhaltend operiert werden. Bei einem Drittel jedoch muss die Brust leider entfernt werden. Der Verlust der Brust wird als eine Zerstörung der körperlichen Integrität und als Verlust eines Teils der weiblichen Selbstwahrnehmung empfunden.

In Deutschland ist der Brustwiederaufbau inzwischen ein integraler Bestandteil der Behandlung.

Die Plastische Chirurgie bemüht sich seit vielen Jahren um eine möglichst naturgetreue Wiederherstellung der weiblichen Brust. Die Therapie wird interdisziplinär mit allen beteiligten Fachdisziplinen gemeinsam mit der Patientin besprochen und geplant. Aufgabe der Plastischen Chirurgie ist hierbei die Rekonstruktion mit modernen, anspruchsvollen Operationsverfahren, insbesondere mit körpereigenem Gewebe.

Aufgrund genetischer Befunde gibt es einen wachsenden Teil junger Frauen, bei denen ein sehr hohes Risiko für Brustkrebs gegeben ist. Viele dieser bislang brustgesunden Betroffenen entscheiden sich für eine vorsorgliche Entfernung der Brustdrüsen. Die Möglichkeit einer hochwertigen Wiederherstellung der Brust erleichtert ihnen die schwierige Entscheidung zu dem möglicherweise lebensrettenden Eingriff.

In dem vorliegenden Artikel stellen wir exemplarisch die gängigen rekonstruktiven Verfahren mit ihren Vor- und Nachteilen vor. Es gibt eine große Auswahl an Optionen, die jeweils in der individuellen Situation ihre Berechtigung haben. Entscheidend ist die umfangreiche Information durch einen Spezialisten, der sämtliche zur Verfügung stehenden Verfahren beherrscht. Nach Klärung der technischen Möglichkeiten entscheidet die Patientin, welches Vorgehen ihren Ansprüchen an operativem Aufwand und kosmetischem Resultat am nächsten kommt. Heute sollte in jedem Brustzentrum ein plastisch-chirurgischer Kooperationspartner hierfür zur Verfügung stehen. Frauen können sich aber auch direkt über Selbsthilfegruppen oder die Web-Seite der zertifizierten rekonstruktiven Brustzentren der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen, DGPRÄC, informieren.

Planung der Rekonstruktion

Viele Frauen stellen sich bei uns erst nach einer Brustentfernung oder bei missglücktem Rekonstruktionsversuch vor. Mit unseren Kooperationspartnern ermöglichen wir, dass sich diese Patientinnen bereits vor dem eigentlichen Beginn der Therapie über die späteren Optionen eines Wiederaufbaus informieren können. Dieses Vorgehen erlaubt eine vollständige Planung der weiteren operativen Therapie, um ein möglichst optimales Resultat zu ermöglichen. Eine enge Abstimmung ist nicht nur zwischen onkologischem und rekonstruktivem Chirurgen erforderlich, z.B. über die gewählten Zugangswege, sondern auch mit Strahlentherapeuten und Onkologen. Eine erforderliche Strahlentherapie etwa hat erheblichen Einfluss auf die Wahl und den Zeitpunkt der Rekonstruktion.

Durch Beteiligung aller Fachdisziplinen kann eine systematische Strategie erarbeitet und jeder Schritt in ein sinnvolles Gesamtkonzept integriert werden.

Obwohl die Entscheidung für ein Rekonstruktionsverfahren in dieser frühen, psychisch sehr belastenden Situation für die Frauen nicht immer im Vordergrund steht und eine differenzierte Bewertung kaum möglich ist, hilft die Beratung enorm. Sie hilft, Ängste abzubauen und ermöglicht einen positiven Ausblick. Zudem ist es oft beruhigend, zu erfahren, dass erst ein einfacheres Verfahren gewählt werden kann und die Patientin sich später für eine anspruchsvollere Rekonstruktion entscheiden kann. Es ist auch möglich, vorerst vollständig auf den Wiederaufbau zu verzichten.

Zeitpunkt

Eine Frage, die häufig gestellt wird: Wann ist der beste Zeitpunkt für eine Brustrekonstruktion? Diese Frage kann nicht einheitlich beantwortet werden. Aus psychologischer Sicht kann eine primäre Rekonstruktion, also der sofortige Wiederaufbau in der gleichen Operation, vorteilhaft sein. Wann dieses Vorgehen sinnvoll ist, muss individuell entschieden werden. Es sprechen auch Gründe dagegen: Je nach gewähltem Verfahren kann sich die Dauer des Eingriffs erhöhen und zusätzliche Komplikationen eintreten, die das Rekonstruktionsergebnis beeinträchtigen. Unter Umständen wird eine Nachresektion oder eine postoperative Bestrahlung nötig. Aus vielen Gründen kann daher die Entscheidung für eine spätere Rekonstruktion sinnvoll sein. Möglich ist, besonders bei den hauterhaltenden Verfahren, zunächst ein Silikonimplantat als „Platzhalter“ zu verwenden. So lässt sich oft für die ersten Jahre ein gutes Resultat erzielen. Danach kann die definitive Versorgung geplant werden. Auch hier ist eine enge Abstimmung von onkologischem und rekonstruktivem Chirurgen sehr wichtig.

Wahl des Rekonstruktionsverfahrens

Vor der Rekonstruktion müssen persönlicher Anspruch und die individuell zur Verfügung stehenden Optionen abgeglichen werden. Zahlreiche Aspekte spielen eine Rolle und sollten bei der Verfahrenswahl abgewogen werden: Onkologische Situation, Familienanamnese, begleitende Therapie (Bestrahlung/Chemotherapie), Voroperationen/Narben, Begleiterkrankungen, Volumen und Form der kontralateralen Brust, Körperhabitus und Präferenz der Patientin hinsichtlich Brustvolumen und -form.

Rekonstruktion mit Silikonimplantaten

Der Wiederaufbau mit Hilfe von Implantaten ist die älteste Technik für den Ersatz des verlorenen Gewebes. Sie ist geeignet, um Volumen zu substituieren – nicht die Haut-Weichteildeckung. Mit Ausnahme der hauterhaltenden Operationsverfahren ist der formgebende Hautmantel verloren und muss zunächst ersetzt werden – entweder durch eine Vordehnung mittels Expander, oder indem Gewebe von einer anderen Körperstelle an die Brust verlagert wird. Bei Frauen mit kleinerer Brust und guter Weichteildeckung, die nicht bestrahlt werden, sind häufig gute Resultate zu erzielen.

Der Implantataufbau ist fast immer möglich. Die Vorteile sind eine geringe perioperative Morbidität und der geringere operative Aufwand und Schwierigkeitsgrad. Es entstehen keine zusätzlichen Narben.

Allerdings ist diese Technik mit zahlreichen Problemen verbunden. Die Implantatrekonstruktion gilt als einfach und schnell. Diese Sicht trifft jedoch nur sehr bedingt zu, besonders wenn es sich um eine der regelhaft erforderlichen Austauschoperationen handelt. Ein ästhetisches, symmetrisches und dauerhaftes Resultat zu erreichen, ist anspruchsvoll und oft kaum möglich.

Die häufigste mittel- bis langfristige Komplikation ist die Ausbildung einer Kapselfibrose, einer festen, bindegewebigen Verdickung um das Implantat.

Die zu erzielenden Resultate und Komplikationsraten sind nicht mit denen einer ästhetischen Augmentation (Vermehrung, Zuwachs) zu vergleichen. Die Re-Operationsrate ist hoch. Nach 4 Jahren sind ca. 40% der Patientinnen erneut operiert, nach 10 Jahren bis zu 80%. Deutlich häufiger treten lokale Komplikationen auf, besonders wenn eine Strahlentherapie erforderlich ist. Das führt bei der ohnehin festeren Brust zu einer weiteren formverändernden Verhärtung und schmerzt oft.

In geeigneten Fällen sind mit Implantaten gute Resultate zu erzielen. Bei der Mehrzahl der Fälle wird jedoch eine gute Symmetrie und ein dauerhaft ansprechendes Tastgefühl nicht zu erzielen sein. Der Folgeeingriff, zum Teil schon recht kurzfristig, ist vorauszusehen. Aus diesen Gründen war eine Verbesserung des Rekonstruktionskonzeptes erforderlich. Die Implantate benötigten eine bessere Weichteildeckung.

Autologe Rekonstruktion

Verwendet wurde zunächst der Latissimus Muskel, der „gestielt“ an seinen Gefäßen vom Rücken an die Vorderseite der Brustwand rotiert wird. Da der Muskel zwar über eine große Grundfläche aber nur ein geringes Volumen verfügt, muss in der Regel zusätzlich ein Silikonimplantat verwendet werden. Durch diese Kombination zweier Verfahren sind die Resultate nicht mit einer rein autologen Versorgung zu vergleichen. Sie können aber einige wesentliche Probleme der Implantatrekonstruktion vermeiden helfen. Besonders eine Vordehnung der Haut ist nicht mehr erforderlich und die hohe Rate an Wundheilungsstörungen konnte deutlich gesenkt werden.

Die Vorteile dieser gefäßgestielten Lappenplastik: große Verlässlichkeit und einfache operative Technik. Daher hat sie auch heute noch in schwierigen Fällen oder als Salvage-Procedure sinnvolle Einsatzgebiete. Die Nachteile sind: eine zusätzliche Narbe und ein „geopferter“ Muskel, der aber zu wenig Volumen hat, um auf das Implantat zu verzichten. Hinzu kommen Defizite für eine gute Symmetrie und die hohe Rate an Kapselfibrosen. Die Weiterentwicklung dieses Prinzips war nur eine Frage der Zeit. Aufgrund der guten Erfahrungen mit der geringen langfristigen Komplikationsquote des Eigengewebes suchte man Gewebe mit einem Durchblutungsstiel, der bis zur Brust reichte und ausreichend Volumen besaß, um auf das Silikonimplantat zu verzichten. Am Unterbauch fand sich adäquates Gewebe.

Der TRAM-Flap verwendet das Haut-Fettareal des Unterbauches ähnlich wie bei einer Bauchdeckenstraffung. Die Gefäßversorgung erfolgt über den Gefäßstamm des vorderen Bauchmuskels.

An dem Muskel gestielt, erfolgt die Verlagerung an die Brust. Der Hebedefekt wird durch eine Bauchdeckenstraffung verschlossen. Diese Technik stellte eine enorme Verbesserung der bisherigen Möglichkeiten dar. Es war hiermit möglich, ausschließlich durch körpereigenes Gewebe eine symmetrische Brust mit sehr guter Haptik (Tastgefühl) zu formen.

Problematisch am TRAM-Lappen sind die Blutversorgung und die Schwächung der vorderen Bauchwand. Im Gegensatz zu der mikrochirurgischen Alternative (DIEP-Flap) hängt der gestielte TRAM von dem qualitativ minderwertigen proximalen Gefäßstiel ab. Dies limitiert das verwendbare Volumen und erhöht das Risiko für Teilnekrosen. Die Auswirkung des muskulären Hebedefektes mit daraus folgender Schwäche, Funktionsdefizit der Abdominalwand und Rückenbeschwerden, wird in der Literatur unterschiedlich bewertet. Zumindest die beidseitige TRAM-Versorgung ist jedoch heute obsolet.

Abb.1 Eine ausgeprägte Relaxatio des Unterbauches durch Muskelentfernung bei TRAM-Rekonstruktion. Auch wenn häufig bessere Resultate erzielt werden, ist dies ein Problem der TRAM-Technik.

Diese beiden Nachteile des TRAM-Flaps ließen sich vermeiden, wenn zum einen auf den Muskel als Gefäßachse verzichtet wird und zum anderen auf den wesentlich stärkeren, distalen Gefäßstiel zurückgegriffen werden könnte.

Die Weiterentwicklung mikrochirurgischer Verfahren bahnte den Weg zur nächsten qualitativen Verbesserung.

Statt den geraden Bauchmuskel zu opfern, werden heute kleinste Gefäßarkaden durch den Muskel zu dem darunter verlaufenden kräftigen Stammgefäß verfolgt, abgetrennt und unter dem ansonsten unbeschadeten Muskel hervorgezogen. Nach Verlagerung in den Brustbereich erfolgt dann die mikrochirurgische Anastomosierung an Gefäße der Brustwand.

Diese DIEP-Flap Technik (deep inferior epigastric perforator flap) war die erste einer Reihe von „frei transplantierten“ Perforator-Lappenplastiken, die nun in kurzer Zeit entwickelt wurden. Gemeinsam ist ihnen, dass ausschließlich Haut und weiches Fettgewebe für den Aufbau verwendet werden.

Abb.2 DIEP-Flap rechts mit weitgehendem Ersatz des Hautmantels und Mamillenrekonstruktion durch Hauttransplantation und lokale Lappenplastik

Der Wiederaufbau einer Brust mit körpereigenem Gewebe hat viele Vorteile. In erster Linie zählt die geringere Komplikationsquote, im Verlauf aber auch die ästhetische Ergebnisqualität. Sowohl in Aussehen als auch von der Qualität des Tastgefühls ist der Wiederaufbau aus Eigengewebe einem Implantataufbau weit überlegen. Das Gewebe altert synchron zum Organismus der Patientin. Die Betroffenen leben somit ohne Fremdmaterial und ein Wechsel erübrigt sich. Nur selten wird eine spätere ästhetische Verbesserung notwendig. Bei Patientinnen mit großen Weichteildefekten, Hautschäden nach Strahlentherapie oder bei Narbenkontrakturen stellt sie ohnehin meist die einzig sinnvolle Alternative dar.

Dennoch – es gibt auch Nachteile. Als Hauptnachteil ist ein zusätzlicher Eingriff an einer bisher nicht betroffenen Körperstelle zu erwähnen. Auch wenn viele Frauen die Gewebeentfernung z.B. am Abdomen als angenehmen Vorteil empfinden, handelt es sich doch um einen rekonstruktiven Eingriff, und nicht immer kann ein Resultat wie nach ästhetischer Hautstraffung erzielt werden. In spezialisierten Zentren sind diese Eingriffe jedoch längst Routine. Die modernen Techniken erfordern ein umfangreiches mikrochirurgisches Training und große Erfahrung in diesem speziellen Bereich, die nicht an allen Krankenhäusern vorhanden ist. Gut etablierte Brustzentren haben in diesen Fällen eine feste Kooperation mit einem erfahrenen Plastischen Chirurgen.

Mikrochirurgische Techniken – weitere Beispiele

Nicht bei allen Frauen eignet sich der Unterbauch als Spendeareal. Nach ausgedehnten abdominalen Voroperationen oder bei sehr schlanken Patientinnen kann es mitunter vorteilhafter sein, auf andere Körperregionen auszuweichen.

TMG-Lappenplastik

Der TMG-Flap „Transverse Myokutane Gracilis“ stellt eine gute Alternative dar. Verwendet wird Gewebe von der medialen Oberschenkelregion, wie etwa bei einer ästhetischen Oberschenkelstraffung. Geeignete Frauen benötigen wenig Haut zur Rekonstruktion und weisen ein kleines bis mittelgroßes Volumen an der kontralateralen Brust auf.

Die Vorteile dieser gefäßgestielten Lappenplastik: große Verlässlichkeit und einfache operative Technik.

Daher hat sie auch heute noch in schwierigen Fällen oder als Salvage-Procedure sinnvolle Einsatzgebiete. Die Nachteile sind: eine zusätzliche Narbe und ein „geopferter“ Muskel, der aber zu wenig Volumen hat, um auf das Implantat zu verzichten. Hinzu kommen Defizite für eine gute Symmetrie und die hohe Rate an Kapselfibrosen. Die Weiterentwicklung dieses Prinzips war nur eine Frage der Zeit. Aufgrund der guten Erfahrungen mit der geringen langfristigen Komplikationsquote des Eigengewebes suchte man Gewebe mit einem Durchblutungsstiel, der bis zur Brust reichte und ausreichend Volumen besaß, um auf das Silikonimplantat zu verzichten. Am Unterbauch fand sich adäquates Gewebe. Der TRAM-Flap verwendet das Haut-Fettareal des Unterbauches ähnlich wie bei einer Bauchdeckenstraffung. Die Gefäßversorgung erfolgt über den Gefäßstamm des vorderen Bauchmuskels. An dem Muskel gestielt, erfolgt die Verlagerung an die Brust. Der Hebedefekt wird durch eine Bauchdeckenstraffung verschlossen. Diese Technik stellte eine enorme Verbesserung der bisherigen Möglichkeiten dar. Es war hiermit möglich, ausschließlich durch körpereigenes Gewebe eine symmetrische Brust mit sehr gutem Tastgefühl zu formen.

Zwar wird ein Teil des hier verlaufenden Gracilismuskels verwendet. Er ist jedoch der kleinste Muskel an dieser Stelle und seine Funktion wird durch die verbleibenden kräftigen Oberschenkelmuskeln kompensiert. Der Narbenverlauf ist dezent, die Operationszeit kurz und Einheilungsstörungen selten. Steht auch am Oberschenkel zu wenig Volumen zur Verfügung, oder ist ein größeres Hautareal für die symmetrische Wiederherstellung erforderlich, ist die Gesäßregion eine weitere Option.

Abb.3 TMG-Flap nach hauterhaltender Mastektomie, 4 Wochen postoperativ; der Zugang für die vorausgegangene Tumorresektion wurde für die Rekonstruktion wieder verwendet und wird weiter abblassen. Form, Volumen und Tastgefühl sind bereits jetzt fast seitengleich.

I-GAP/FCI und S-GAP

Diese Lappenplastiken werden aus der Glutealregion entnommen und beinhalten ausschließlich Haut und Unterhautfettgewebe. Die Muskulatur bleibt unverletzt. Der S-GAP-Lappen (superior gluteal artery perforator flap) greift hierbei auf Gewebe vom oberen Anteil der Gesäßregion zurück, während I-Gap und FCI-Flap (Facio-cutaneous Infragluteal flap) den Narbenverlauf günstiger direkt in der Glutealfalte ermöglichen. Der I-GAP ist im Grunde lediglich eine Modifikation der FCI-Lappenplastik. Die Form des Gesäßes wird bei beiden Techniken kaum verändert.

Abb. 4 Unauffälliger Hebedefekt/Narbe nach FCI-Flap am rechten Gesäß direkt postoperativ. Die Symmetrie ist kaum gestört.

Als Nachteil muss bei den Plastiken der Glutealfalte häufig ein Gefühlsnerv durchtrennt werden. Manchmal verbleibt ein Taubheitsgefühl am hinteren Oberschenkel. Beim S-GAP tritt dies nicht auf. Dafür ist die Narbe etwas unvorteilhafter positioniert.

Wiederaufbau der Mamille

Für die Rekonstruktion der Brustwarze gibt es viele Möglichkeiten. Es handelt sich um einen kleineren Eingriff, der in der Regel in Kombination durchgeführt wird.

Eigenfett-Transplantation zur Form- und Volumenkorrektur

Die Eigenfett-Transplantation (sog. lipofilling) ist ein relativ neues Verfahren, das zunehmend bekannt wird. Fettzellen werden durch Absaugung, also ohne Gefäßversorgung, gewonnen und nach Aufarbeitung in die Brust implantiert. Es handelt sich um einen losen Zellverbund. Nur die Zellen, die rechtzeitig Anschluss an die örtlichen Gefäße finden, können überleben.

Das Verfahren ist sehr gut geeignet, um kleinere Form- und Volumenasymmetrien während eines wenig invasiven Eingriffes auszugleichen. In den letzten Jahren hat die Eigenfett-Transplantation Kontroversen hinsichtlich ihres Potentials zur Tumorinduktion ausgelöst. Hintergrund ist, dass mit den Adipozyten auch Stammzellen transplantiert werden. Sowohl ihr Verhalten als auch der fördernde Einfluss des Transplantates auf die Angiogenese sind insbesondere bei potentiell residualen Tumorzellen noch nicht abschließend geklärt. Auch wenn klinische Beobachtungen diesen in-vitro-Effekt bisher nicht bestätigen konnten, so sind Langzeitergebnisse der Eigenfett-Transplantation bei diesem Patientenklientel noch nicht ausreichend verfügbar. Daher praktizieren wir das Lipofilling nur bei Patientinnen, bei denen das Brustdrüsengewebe vollständig entfernt wurde.

Nach brusterhaltender Therapie stehen wir der Eigenfett-Transplantation bislang zurückhaltend gegenüber.

Ein vollständiger Aufbau der Brust als Ersatz für einen mikrochirurgischen Eingriff ist bisher nur in wenigen Fällen publiziert. Aus unserer Sicht bleibt diese Technik derzeit günstigen Einzelfällen vorbehalten, bei denen ausreichend Haut an der Brust zur Verfügung steht und nur ein geringes Volumen erzielt werden muss, bzw. sehr viel überschüssiges Fettgewebe an anderer Körperstelle vorhanden ist. Nach eigenen Erfahrungen sind zahlreiche Eingriffe erforderlich. Sehr gut eignet sich das Verfahren hingegen bei der Optimierung mikrochirurgischer Lappenplastiken und auch zur Verbesserung von Implantatrekonstruktionen.

Fazit

Die Zusammenarbeit hochspezialisierter Fachgebiete hat die bisher erzielten Erfolge bei der Behandlung onkologischer Erkrankungen ermöglicht. Auch beim Mammakarzinom ist die Versorgung aus nur einer Hand nicht mehr in der erforderlichen Qualität zu gewährleisten. Die Zusammenarbeit besonders der onkologischen Disziplinen ist in Deutschland fast überall sehr gut etabliert. Dieser Anspruch gilt ebenfalls für die Brustwiederherstellung. Die Vielzahl der zur Verfügung stehenden Techniken auch in komplexen Situationen zu beherrschen, erfordert ein langjähriges spezielles Training. Um ein möglichst gut auf die individuelle Patientin abgestimmtes Rekonstruktionsverfahren anbieten zu können, ist es erforderlich, sämtliche, auch die modernen mikrochirurgischen Techniken, zu beherrschen. Nur so ist sichergestellt, dass die Entscheidung nicht aufgrund technischer Limitationen eingeschränkt ist.

Alle Frauen sollten sich bereits bei der Diagnosestellung des Brustkrebses über sämtliche Rekonstruktionsoptionen informieren – dies unterstützt die psychologische Krankheitsbewältigung und schafft einen Planungshorizont für die Form der Mastektomie und den Zeitpunkt der Rekonstruktion. Entscheidend ist der Wunsch der Patientin.

Die Krankenkassen übernehmen sämtliche Kosten der oben beschriebenen Verfahren des Brustwiederaufbaus nach einer Mammakarzinomerkrankung.

Eine Rekonstruktion mit Expander und Silikonimplantaten kann häufig eine akzeptable Brustform erzielen. Falls ein zusätzlicher Weichteilschutz erforderlich ist, stellt die Latissimus dorsi Lappenplastik nach wie vor eine Option dar. Im Hinblick auf die Nachhaltigkeit des Operationserfolges sowie auf das ästhetische Endergebnis, halten wir die autologe Mammarekonstruktion mit freien, mikrochirurgisch transplantierten Lappenplastiken für die derzeit beste Methode. Zwar ist der perioperative Aufwand umfangreicher und die anfänglichen möglichen Komplikationen hierdurch stärker als bei alloplastischen Rekonstruktionen. In der Obhut einer zertifizierten Klinik zur Brustrekonstruktion ist die Komplikationsrate allerdings gering und bei planmäßigem Verlauf stellt diese Brustrekonstruktion ein endgültiges, lebenslanges Resultat dar. Eigenfett-Transplantationen sind derzeit eher ein additives Verfahren und hinsichtlich ihrer onkologischen Sicherheit noch nicht abschließend zu bewerten.

(Literaturquellen bei der Redaktion)

Weitere Informationen:
www.helios-kliniken.de/berlin-plastische-chirurgie
www.helios-kliniken.de/klinik/berlin-zehlendorf/fachabteilungen/plastische-und-aesthetische-chirurgie-handchirurgie.html

 

Aktuelles aus der Krebsforschung

Mammakarzinom – Ganzheitliche Therapien nehmen zu

Komplementäre Therapien werden von immer mehr Brustkrebspatientinnen genutzt. Das bedeutet auch, dass immer mehr Ärzte sich der Integrativen Krebstherapie zuwenden. Auch universitäre Einrichtungen folgen dem Trend.

Ganzheitliche Therapie umschreibt eine Therapieform, die eine tiefgreifende Heilung anstrebt und neben der Symptombeseitigung eine Stärkung der individuellen Heilungskräfte in den Mittelpunkt stellt, so Dr. med. Daniela Paepke, Zentrum für Integrative Gynäkologie & Geburtshilfe, München.

Umfragen haben gezeigt, dass betroffene Frauen über die Bedrohlichkeit ihrer Erkrankung genau Bescheid wissen. Sie nehmen das Recht für sich in Anspruch, jede Erfolg versprechende medizinische Hilfe einzufordern. Die Spitzenposition bei den komplementären Behandlungen nimmt die Misteltherapie ein, so Dr. Matthias Rostock vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Studien und Erfahrungsberichte haben belegt, dass diese begleitende Therapie zu Appetitssteigerung, besserem Schlaf, zur Aufhellung der Stimmung und auch zur Schmerzreduzierung führen kann.
(Quelle: Der Allgemeinarzt 14/2013)

Ovarialtumoren frühzeitig aufspüren

Wissenschaftler der Universität von Texas haben mit einer neuen hochspezifischen Screeningmethode Ovarialkarzinome erfolgreich bereits in einem frühen Stadium aufspüren können. Dabei haben sich über 4.000 postmenopausale Frauen jährlich einem CA 125-Test unterzogen. Der CA 125 gilt als altbekannter Tumormarker. Für die Risikobewertung wurde ROCA (Risk of Ovarian Cancer Algorithmus) verwendet. Der individuelle Verlauf ist dabei wichtiger als der einzelne Laborwert. Im elfjährigen Studienverlauf konnten jährlich 5,8% der Frauen einem mittleren und 0,9% einem hohen Risiko zugeordet werden. 10 Frauen wurden aufgrund des Screenings operiert. Letztlich ergab die Sensitivität des Tests 99,9%.
(Quelle: Karen H. Lu et al., Cancer 2013 Online first)

Mammakarzinom

Gene, Umwelt und Lebensweise wirken gemeinsam.

Der Zusammenhang und die Wechselwirkungen von genetischen, umweltbedingten und lebensstilabhängigen Risikofaktoren wurden von Wissenschaftlern des DKFZ nachgewiesen. Grundlage bildeten Ergebnisse aus insgesamt 24 internationalen Studien mit mehr als 34.000 Brustkrebspatientinnen und 41.000 gesunden Frauen.

Die beiden Hochrisiko-Gene BRCA1 und 2 zählen zu den genetischen Risikofaktoren. Sie erhöhen das Risiko um das 10fache, sind aber aufgrund ihres seltenen Vorkommens nur für ca. 5% aller Brustkrebserkrankungen verantwortlich. Erbgutvergleiche von Brustkrebspatientinnen und gesunden Frauen zeigten über 20 genetische Varianten, die das individuelle Brustkrebsrisiko moderat beeinflussen.

Zu den Umwelt- und Lebensstileinflüssen zählen das Alter bei der ersten Regelblutung, die Anzahl der Geburten, die Dauer des Stillens, das Gewicht, die Größe, die Einnahme von Hormonen zur Empfängnisverhütung oder zur Behandlung von Wechseljahresbeschwerden. Ebenso gehören in diese Risikokategorie der Genuss von Alkohol, Rauchen und ungenügende körperliche Aktivität.

Im Ergebnis dieser Arbeit zeigte sich, dass eine genetische Variante des CAP 8-Gens das Brustkrebsrisiko nur bei Frauen, die mehr als 20g Alkohol pro Tag tranken, um 45% erhöht war. Eine genetische Variante des LSP 1-Gens erhöhte das Brustkrebsrisiko bei Frauen mit mehr als vier Kindern um 26%, obwohl mehrere Geburten das Brustkrebsrisiko normalerweise senken.

Die Wissenschaftler werden die genauen biologischen Mechanismen der Wechselwirkungen weiter untersuchen.
(Quelle: Nickels S. et al. 2013, PLoS Genetics, DOI: 10.1371/ journal.pgen. 1003284)

 

Vernetzung in der Onkologie

Prof. Dr. med. Klaus Dommisch, Leiter des Onkologischen Zentrums HELIOS-Kliniken Schwerin

Der Erkenntnisprozess in der Onkologie ist enorm vorangekommen; alle Säulen der onkologischen Therapie haben für sich bedeutsame Fortschritte aufzuweisen. Es gibt zahlreiche mehr oder weniger spezialisierte Institutionen, die sich wissenschaftlich, diagnostisch und therapeutisch mit onkologischen Fragestellungen auseinandersetzen. Darüber hinaus gibt es politische Gremien, die den gesellschaftlichen Aspekt onkologischer Erkrankungen beleuchten und versuchen, adäquate gesundheitspolitische Entscheidungen abzuleiten, und es gibt die sozialen Einrichtungen für die Betroffenen. Die Selbsthilfegruppen und Patientenverbände sind inzwischen zu einer Institution geworden und greifen mit zunehmendem Selbstbewusstsein und mit Kompetenz in das Geschehen ein.

Unter diesen Gesichtspunkten muss die Versorgungsrealität in der Onkologie neu beleuchtet werden. Die Fakten dazu sind aus den tabellarischen Übersichten zu entnehmen:

Tabelle 1
Versorgungsrealität bezogen auf die Bevölkerung in Deutschland
• Deutschland hat 82 Millionen Einwohner
• Es gibt 5 Millionen onkologische Patienten
• Ein onkologischer Patient verbringt in Deutschland 4 bis 5 Monate in einer Klinik
• 2010 waren 450 000 Neuerkrankungen zu verzeichnen
• Die Zahl der Beitragszahler sinkt
• Die Beschäftigungsquote sinkt
• Die Lebensarbeitszeit wird kürzer

Tabelle 2
Versorgungsrealität unter dem Aspekt der onkologischen Erkrankung
• Der Krebs wird immer mehr zu einer chronischen Erkrankung, nur wenige Fälle verlaufen schnell letal
• Die Inzidenz von onkologischen Erkrankungen steigt mit der Veränderung der Alterspyramide
• Die Mortalität von Prozeduren sinkt
• Es wird immer schwieriger, die medizinischen und qualitativen Anforderungen mit den ökonomischen Möglichkeiten in Übereinstimmung zu bringen

Es ist weitestgehend bekannt, dass der Gesundheitsmarkt den größten und am stärksten wachsenden Wirtschaftsbereich darstellt. Besonders wichtig ist die Frage nach der Regelung des Zuganges für die Patienten zu kostenintensiven therapeutischen Innovationen. So ist dringender denn je, die Forderung nach einer zukunftsorientierten, gestalterischen Gesundheitspolitik zu stellen. Ein sorgfältig erarbeitetes und präzisiertes Versorgungsstrukturgesetz, das im Entwurf vorliegt, kann zur Problemlösung beitragen.

Wenn die Versorgungsrealität in Deutschland diskutiert wird, so kommt der zunehmende Ärztemangel zur Sprache. Die genaue Analyse dieses Problems zeigt aber, dass in Deutschland kein eigentlicher Ärztemangel besteht, sondern es besteht ein Mangel an tatsächlicher ärztlicher Arbeitszeit. So bildet Deutschland im Vergleich zu den USA bezogen auf die Bevölkerungszahl doppelt so viele Ärzte aus.

Die Frage steht: Warum werden so wenig ausgebildete Ärzte in der Patientenversorgung wirksam?

Auch besteht in Deutschland kein generelles Stadt/Land-Problem in der ärztlichen Versorgung, vielmehr ein Verteilungs- und Strukturproblem. So gibt es zum Beispiel in Berlin über- und unterversorgte Bezirke und auf dem Lande ebenfalls über- und unterversorgte Regionen. Lösungskonzepte sind allerdings nur ansatzweise erkennbar.

Beide zuvor genannten Problemfelder betreffen zwar insgesamt die medizinische Versorgung der Bevölkerung, diese behindern aber, und deshalb müssen sie an dieser Stelle genannt werden, die Umsetzung onkologischer Versorgungskonzepte in erheblichem Umfang. Wichtig ist es auch, sich mit der Sichtweise der betroffenen Patientinnen und Patienten auseinanderzusetzen.

Der betroffene onkologische Patient äußert in der Regel folgende zentrale Forderungen:

1. Er erwartet eine kompetente onkologische Versorgung, bei der alle modernen Möglichkeiten mit dem Ziel der Heilung für ihn genutzt werden.
2. Wenn diese Möglichkeit nicht mehr besteht, so erwartet er, dass er mit seiner Erkrankung möglichst lange bei guter Lebensqualität überlebt.

Tabelle 3
Über welchen Wissensstand verfügt heute der onkologische Patient?
1. Die Krebserkrankung kann heute mitunter geheilt werden oder zumindest über lange Zeit beherrscht werden.
2. Sein Überleben hängt vom Expertenwissen und -können ab.
3. Er spürt, dass sich medizinischer Fortschritt und Ökonomie auf Dauer nicht miteinander vereinbaren lassen.
4. Er erfährt die Grenzen des Leistungsversprechens und die Instrumente der Rationalisierung (Rationierung, Konfektionierung, Standardisierung, Arzneimittelbegrenzung, verkürzte Verweildauer, Stellen der Kosten-Nutzen-Frage u. a.).

Bei der Versorgung onkologischer Patienten trifft man zunehmend auf informierte Patienten, die sich sehr kritisch und realitätsnah mit Unterstützung der Medien und/oder Patientenvertretungen mit ihrer Situation auseinander gesetzt haben.

Ein onkologischer Patient will nicht als statistische Größe, sondern als Individuum gesehen und behandelt werden.

Da es sich bei der Onkologie um einen ausgesprochen komplexen Sachverhalt handelt, muss der Frage nachgegangen werden, wie sich komplexe Sachverhalte aufdecken und erschließen lassen. Einzelne Phänomene und deren Zuordnung zueinander zu erkennen, ist die Voraussetzung für die Möglichkeit, komplexe Zusammenhänge auch zielorientiert zu beeinflussen.

Tabelle 4
Handlungsfelder des Nationalen Krebsplanes
• Handlungsfeld 1: Weiterentwicklung der Krebsfrüherkennung
• Handlungsfeld 2: Weiterentwicklung der onkologischen Versorgungsstrukturen
• Handlungsfeld 3: Sicherstellung einer effizienten onkologischen Behandlung (Schwerpunkt zunächst auf die onkologische Arzneimitteltherapie)
• Handlungsfeld 4: Stärkung der Patientenorientierung /Patienteninformation

So wurde der Nationale Krebsplan (NKP) bereits am 16. 08. 2008 durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG), durch die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG), die Deutsche Krebshilfe (DKH) und durch die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT) initiiert. Kooperationspartner waren die Länder, Krankenkassen, Rentenversicherungen, Leistungserbringer, wissenschaftliche Institutionen, Patientenverbände u.a. Der Nationale Krebsplan setzt damit auch die Empfehlungen der WHO und der EU um. Er besitzt vier Handlungsfelder (s. Tab. 4).

Die Handlungsempfehlungen zu den einzelnen Zielen sind weitestgehend abgeschlossen. Einige Ziele befinden sich noch in der fachlichen und politischen Abstimmung. Aktuell wurde eine neue Arbeitsgruppe aus Mitgliedern der DKG und der ADT zum Thema sparsame, einheitliche Tumordokumentation gegründet. Die Verabschiedung der konkreten Umsetzungsempfehlung wurde für Juni 2012 geplant. Erklärtes Ziel ist es, dass ab 2020 Krebspatienten nur noch in zertifizierten Einrichtungen behandelt werden. Ein weiterer Umstand, der innerhalb der Patientenversorgung in der Onkologie eine Netzwerkbildung erforderlich macht, ist die inzwischen sehr weit fortgeschrittene Spezialisierung.

Spezialisten konzentrieren sich auf ständig kleiner werdende Ausschnitte aus einer Ganzheitlichkeit. Ihr Zugang zur Lösung eines spezifischen Problems ist deshalb der Natur der Sache nach eher interventionell als ganzheitlich angelegt. Sie fokussieren ihre Maßnahmen bei der Diagnostik und Therapie auf ein evidentes Phänomen. Über die Auswirkungen auf die Ganzheitlichkeit des Körpers, der Ordnung oder des Theoriengebäudes können sie in der Regel nur wenig Auskunft geben. Risiken und Nebenwirkungen der Interven - tionen werden eher als Folge gesammelter Erfahrungen, denn als Ergebnis ganzheitlich orientierter wissenschaftlicher Bemühungen erkannt.

Meldet sich als Folge der Interventionen an unvermuteter Stelle ein neues Phänomen, so führt dies regelmäßig zu neuen Interventionen. Diese sind wiederum geeignet, die Kompliziertheit weiter zu steigern, die das betroffene System zu verkraften hat. Interventionen, die ohne Kenntnis der Zusammenhänge erfolgen, führen regelmäßig zu Widersprüchen. Somit können komplexe Systeme erkranken im Sinne der abnehmenden Fähigkeit, die wachsende Zahl der Widersprüche zu integrieren, die durch Interventionen ohne ganzheitlichen Bezug ausgelöst werden.

Dieses Phänomen wird als „Spezialisierungsfalle“ bezeichnet.

Ein tieferes Verständnis für diesen Vorgang kann man erhalten, wenn man die Begriffe Komplexität und Kompliziertheit definiert und den Unterschied herausarbeitet. Mit komplexen Sachverhalten haben wir es zu tun, wenn sich eine unendliche Vielfalt der konkreten Erscheinungen auf eine ebenso unendliche, jeweils einer bestimmten Ordnung folgenden Komposition von Bausteinen zurückführen lässt. Komplizierten Sachverhalten fehlt diese Eigenschaft.

Sie entstehen nicht als Ausdruck einer Ordnungsvorstellung, sondern als Folge zahlreicher, auf den Einzelfall bezogener Interventionen in einem gegebenen Ordnungszusammenhang. Es handelt sich um eine Vorgehensweise, die sich darauf beschränkt, die Ursachen eines bestimmten Phänomens zu erkennen oder zu diagnostizieren und sie durch Interventionen zu verändern.

Im Rahmen einer Zertifizierung zum Onkologischen Zentrum werden die Struktur-, Prozess- und in zunehmendem Maße die Ergebnisqualität von onkologischen Behandlungseinrichtungen überprüft und bewertet. Die klar strukturierten interdisziplinären Tumorkonferenzen stehen hier im Mittelpunkt des Geschehens. Funktionierende Vernetzungen mit allen Partnern, die an der Versorgung von onkologischen Patienten beteiligt sind, verbunden durch entsprechende Kooperationsverträge geben einen Schutz vor der Spezialisierungsfalle und führen zu einer zeitgemäßen onkologischen Versorgung der Patienten.

Der Effekt der interdisziplinären Erarbeitung eines Therapiekonzeptes für onkologische Patienten lässt sich sehr einfach zeigen, indem man die Quote bezogen auf den primären Therapievorschlag der vorstellenden Fachrichtung an veränderten oder ergänzten Therapieplänen ermittelt, die sich aus den Tumorkonferenzen ergeben. Diese beläuft sich zwischen 10 und 20%.

Tabelle 5
Anforderungen an eine zeitgemäße onkologische Versorgung
1. Zentrenbildung mit multidimensionaler Vernetzung aller an der Versorgung beteiligten Strukturen
2. Keine onkologische Therapie ohne interdisziplinäre Tumorkonferenz
3. Evidenzbasierte Patientenaufklärung
4. Herstellen und Überprüfung von funktionierenden Strukturen (Zertifizierung, Kooperationsverträge, Qualitätsmanagement usw.)
5. Deutschlandweiter Aufbau klinischer Krebsregister mit vollständiger Erfassung vergleichbarer, vollständiger Datensätze

Die Schlussfolgerung ist zweifelsfrei: Interdisziplinäre Vernetzung ist für eine moderne Onkologie eine Conditio sine qua non.

Unter dem Gesichtspunkt, dass bis zum Jahre 2030 die Krebsfälle um 30% in Deutschland zunehmen werden, stellt sich die Frage, welche Maßnahmen erforderlich sind, um den künftigen Anforderungen an eine moderne onkologische Versorgung gerecht zu werden. Dazu geben die Tabellen 6 und 7 zusammenfassend Auskunft.

Tabelle 6
Anforderungen für einen Fortschritt in der Onkologie
• Mehr Investition in die Krebsforschung (z. Z. 4,00 Euro/ Einwohner und Monat)
• Mehr Studien in hoher Qualität (Voraussetzung: Studienärzte, Study Nurse, wissenschaftliche Mitarbeiter, Studienzentralen)
• Recht für Patienten, in Studien eingeschlossen zu werden
• Mehr Investitionen in die Prävention (z. Z. GKV 1,6 Mill. Euro/a = 0,6%, Industrie 2,5%)
• Mehr Versorgungsforschung, es fehlen wichtige Daten

Tabelle 7
Förderung moderner onkologischer Konzepte
• Förderung ganzheitlicher Therapieansätze
• Förderung der Palliativmedizin und des Hospizwesens
• Verbesserung der psychoonkologischen Versorgung
• Förderung der personalisierten Medizin
• Förderung der individualisierten Medizin
• Einführung einheitlicher Qualitätskriterien in der Onkologie

Zusammenfassung

Die multidimensionale, interdisziplinäre Vernetzung in der Onkologie in Form von Onkologischen Zentren stellt eine Verfahrensweise bei der Versorgung onkologischer Patienten dar, bei der die kollektive Intelligenz von vielen Fachexperten zum Wohle des Patienten genutzt wird. Die Effekte, die sich durch die Nutzung einer kollektiven Intelligenz ergeben, sind durch viele Arbeiten aus dem Bereich der Pädagogik und der Organisationspsychologie ausreichend belegt. Diese wird bezeichnet als „Weisheit der Vielen“, die größer ist als die Leistung des besten Einzelnen in deren Mitte. Um den Effekt aus der Nutzung der „Weisheit der Vielen“ zu erhalten, bedarf es einer Struktur, einer guten Organisation und Leitung sowie der richtigen Methodik.

Für interdisziplinäre Tumorkonferenzen bedeutet dieses zum Beispiel zunächst die rechtzeitige Meldung der zu beratenden Tumorfälle, die individuelle Vorbereitung zu den Patienten als Brainstorming in einer stillen Phase. Auch das Brainwriting stellt eine Methodik im Wissensmanagement dar. Verantwortungsvoller Umgang mit den Möglichkeiten und gute Vorbereitung im Management der Schnittstellen führen zum Erfolg. Damit kann für unsere onkologischen Patienten ein Paradoxon Beweiskraft erhalten: „Wissen ist die einzige Sache, die sich vermehrt, wenn man sie teilt!“

Weitere Informationen: www.helios-kliniken.de/schwerin

 

Chancen in der Integrativen Krebstherapie

Schwerpunkt Niedrigrisikopatentienten mit lokalisiertem Prostatakarzinom

Prof. Dr. med. Gustav J. Dobos, Direktor der Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin, Kliniken Essen-Mitte, Lehrstuhlinhaber der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftungsprofessur für Naturheilkunde, Medizinische Fakultät der Universität Duisburg-Essen

Was ist Integrative Medizin?

Hinter der „Integrativen Medizin“ steht ein Gesamtkonzept, in dem die konventionelle Medizin mit evidenzbasierten Verfahren aus der Komplementärmedizin kombiniert wird. Ein Synergie-Effekt beider Ansätze soll für eine bestmögliche Behandlung des Patienten erreicht werden. Komplementärmedizinische (engl. „complementary and alternative medicine“, CAM) Verfahren umfassen die klassische Naturheilkunde, komplementäre Medizinsysteme (z.B. die traditionelle chinesische Medizin, Homöopathie), Ernährungs- und Kräutermedizin, „Mind-Body-Verfahren“ (z.B. Meditation, autogenes Training, progressive Muskelentspannung, Yoga) und manipulative körperbezogene Praktiken (z.B. Massage, osteopathische und chiropraktische Verfahren). Es wurde bislang keine Übereinstimmung bezüglich der Kategorisierung dieser CAM-Verfahren gefunden, wodurch auch die Interpretation des Begriffes der „integrativen Medizin“ bisher nicht eindeutig festzulegen ist.

Durch die gestiegene Nachfrage auf Seiten der Patienten und einer immer besser werdenden Evidenzgrundlage werden einzelne CAM-Verfahren wie z.B. Akupunktur, Yoga oder Meditation immer häufiger angewendet und teilweise auch in konventionell ausgerichteten Einrichtungen integriert. Die für den integrativen Therapieansatz jedoch essentielle enge Abstimmung der konventionellen und komplementären Verfahren bedarf oftmals eines interdisziplinären Expertenteams von sowohl Spezialisten als auch Generalisten. Im Vergleich zu den USA werden diese Ansätze in Deutschland noch eher selten innerhalb eines ganzheitlichen Behandlungskonzeptes in Institutionen verankert und nachhaltig beforscht.

In Deutschland hatten laut Umfragen bereits im Jahre 2000 circa 50% der deutschen Bevölkerung zuvor schon einmal selbst ein CAM-Verfahren genutzt, zwei Jahre später waren es bereits 73%. Vor allem junge Frauen mit gutem Ausbildungsgrad entscheiden sich besonders häufig für die Anwendung von CAM-Verfahren. Trotz der weiten Verbreitung fühlen sich viele Patienten nicht ausreichend über diese Verfahren informiert. Gleichzeitig unterrichten sie oft ihren behandelnden konventionellen Arzt nicht über die zusätzlich angewandten CAM-Verfahren, so dass es in Einzelfällen zu Interaktionen kommen kann. Deshalb ist es besonders wichtig, die Kommunikation zwischen Patienten und Ärzten an dieser Stelle zu verbessern um seltenen, aber doch möglichen Kontraindikationen von konventionellen und komplementären Verfahren vorzubeugen.

Mit der richtigen Anwendung und Überwachung sind CAMVerfahren sicher, in vielen Fällen wirksam und darüber hinaus auch kosteneffektiv.

Was bedeutet dies für die Integrative Onkologie?

Bezogen auf die integrative Krebstherapie liegt derzeit das Hauptaugenmerk auf einem wirkungsvollen Nebenwirkungsmanagement. Die dabei integrierten CAM-Maßnahmen können darüber hinaus in der Vor- und Nachsorge eingesetzt, neben der Verbesserung der Lebensqualität, gegebenenfalls die Prognose positiv beeinflussen. Außerdem gibt es Hinweise für eine Senkung des Ersterkrankungsrisikos durch einen gesunden Lebensstil.

Definitionsgemäß wird in der Integrativen Onkologie die primäre Krebstherapie, wie z.B. eine Operation und Chemo- oder Strahlentherapie nicht ersetzt, sondern es werden Arzneimittel und Therapieverfahren der Komplementärmedizin (wissenschaftlich geprüfte Naturheilkunde, Mind-Body-Medizin (MBM) und weitere) als Begleitmaßnamen genutzt, um Nebenwirkungen zu vermindern, Lebensqualität zu verbessen sowie Krebs(-rezidiven) vorzubeugen. Für eine Reihe an onkologischen Erkrankungen werden solche Effekte bereits durch verschiedene Studien und Übersichtsarbeiten unterstützt. Und diese Ziele entsprechen den Wünschen der Patienten. Sie möchten in ihrer Integrativen Krebstherapie durch die supportiven Maßnahmen in erster Linie ihr Immunsystem stärken, Schmerzen/Fatigue/Übelkeit oder andere Nebenwirkungen reduzieren und ihre gesundheitsbezogene Lebensqualität steigern.

Abbildung 1: Schema der Integrativen Onkologie

Als Ziele der Integrativen Onkologie werden ein verbessertes Nebenwirkungsmanagement, eine verbesserte psychische und körperliche Fitness, eine Verbesserung der Lebensqualität der Patienten (Reduktion von Depression, Stress-Erleben und Angst), Verbesserung der Compliance (u.a. seltenere Therapieabbrüche), Primär- und Sekundärprophylaxe und eine eventuelle Verbesserung der Prognose beschrieben. Diese Ziele werden innerhalb der CAM-Interventionen u.a. durch eine Bandbreite von MBM-Verfahren unterstützt, um die Selbstheilungskräfte der Patienten zu aktivieren und mentale und physische Symptome zu lindern (z.B. durch Ernährungsberatung, Bewegung, Achtsamkeitsmeditation).

Die Effektivität der MBM bei onkologischen Patienten wird durch eine Reihe an Reviews und positive Meta-Analysen unterstützt, die auf eine Verbesserung der Lebensqualität, Immunfunktion, Schlafqualität und psychologischen Parametern deuten. Training in achtsamkeitsbasierter Stressreduktion können Patienten den Umgang mit ihren Ängsten erleichtern und sie gleichzeitig in der Umstellung von ungünstigem Ernährungs- und Bewegungsverhalten stützen, welches sich dann ebenfalls positiv auf das Wohlbefinden der Patienten auswirken kann. Den Patienten und seine Perspektive aktiv in den Behandlungsprozess einzubinden, hat bei vielen Methoden der MBM, wie beispielsweise der Ernährungsumstellung oder einem Bewegungsprogramm einen wichtigen Stellenwert.

Im Rahmen des „Essener Modells“ wurde ein solch integrativ-onkologischer Ansatz aus einem Gemeinschaftsprojekt von der Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin und der Klinik für Senologie am Brustzentrum der Kliniken Essen-Mitte etabliert. Dort erhalten Brustkrebspatientinnen eine Kombination aus Schulmedizin, Naturheilkunde und Mind-Body-Medizin.

Ein weiterer besonderer Aspekt der Integrativen Onkologie ist, dass sie einem ganzheitlichen Konzept folgt, indem sie die ganze Person (Körper, Geist, Seele) und ihren individuellen Lebensstil berücksichtigt. So kann es sein, dass manche Patienten durch einige CAM-Verfahren auch spirituellen Fragen, wie z.B. dem Sinn ihres Lebensweges, wieder aktiver begegnen. Schon seit den 80er Jahren weisen Studien darauf hin, dass eine entsprechende Auseinandersetzung einen positiven Einfluss auf den Umgang mit Ängsten, Depressionen, körperlichen Schmerzen und sogar die Verbesserung der Überlebensrate zur Folge haben kann.

Integrative Onkologie bei Niedrigrisikopatienten mit lokalisiertem Prostatakarzinom

Prostatakrebs hat eine hohe Versorgungsrelevanz: Er ist die zweithäufigste Krebserkrankung des Mannes und für etwa 10% der Sterbefälle bei männlichen Krebspatienten verantwortlich. Laut dem Bericht „Krebs in Deutschland 2007/2008“ des Robert-Koch-Instituts (RKI) und der Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland (Gekid) liegen mehr als 25% aller Krebs- Neuerkrankungen in Deutschland in der Prostata.

Trotz guter Heilungschancen müsse die Mehrheit der Patienten mit gravierenden Neben- und Folgewirkungen dieser Behandlung wie etwa Erektionsstörungen (ca. 70%), sexuelles Desinteresse (53%), Blutungen oder Darmverletzung im Zusammenhang mit der Operation (20%) oder Harninkontinenz (ca. 16%) rechnen, die langfristig eine enorme Einbuße der Lebensqualität darstellen.

Bei den klinischen Behandlungsmethoden des Prostatakarzinoms ist die radikale Entfernung der Prostata mit circa 50% die häufigste Intervention. Obwohl heutzutage überwiegend gefäß- und nervenerhaltende Methoden eingesetzt werden, legt der aktuelle Krankenhausreport 2012 der Barmer GEK auf der Grundlage einer repräsentativen Studie an 1.165 männlichen Versicherten dennoch ein ernüchterndes Ergebnis zu den Erfolgen von operativen Interventionen bei Prostatakarzinompatienten offen. Im internationalen Vergleich wird Prostatakrebs allerdings in Deutschland ungefähr doppelt so häufig operiert wie in den USA. In Deutschland wird laut dem RKI die Strategie eines kontrollierten Zuwartens (engl. „watchful waiting“ oder „active surveillance“) relativ selten verfolgt. Dabei könnte eine Überwachung und langfristige Beobachtung möglicherweise – zumindest bei Niedrigrisikopatienten – eine Alternative zur Operation bieten. Laut einer im Jahr 2012 im New England Journal of Medicine veröffentlichten Studie profitierten Männer mit einem lokal begrenzten Prostatakarzinom nicht von einer Operation: In der randomisiert-kontrollierten Studie mit einem Follow-Up von zehn Jahren wurden über 700 Männer mit Prostatakarzinom mit vergleichbarem Ausmaß der Krankheit entweder operiert oder beobachtet. Für Niedrigrisikopatienten mit einem niedrigen PSA-Wert ergab sich zwischen den beiden Behandlungsgruppen kein Unterschied bezüglich der generellen und der krankheitsbezogenen Mortalität. Der Anteil an Patienten mit Erektionsstörungen war in der Gruppe der Operierten allerdings fast doppelt so hoch wie in der Beobachtungsgruppe (81% vs. 44%).

Eine bessere Alternative als die reine Beobachtung kann sein, ein umfassendes Lebensstilmodifikationsprogramm umzusetzen. Ein ungesunder Lebensstil – allem voran der übermäßige Alkoholkonsum und eine hochkalorische Ernährung – gehört zu Prädiktoren der Entstehung von Prostatakrebs ebenso wie zu seinen ungünstigen Prognosefaktoren. Eine Lebensstilmodifikation inklusive Einbeziehung ernährungsmedizinischer Aspekte, eines moderaten Bewegungsprogramms sowie Stressmanagement wirken sich positiv auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität von Patienten aus und geben den Patienten darüber hinaus mit einfachen Mitteln die Chance, selbst aktiv zu werden. Vor allem onkologische Patienten wollen aktiv in die eigene Therapie eingebunden werden. Insbesondere die Kombination der verschiedenen Ansätze erzielt starke Erfolge; beispielsweise bestehen für Niedrigrisikopatienten mit Prostatakarzinom erste Hinweise auf die Wirksamkeit eines Lebensstilmodifikationsprogramms nach Ornish (fettarme, vegetarische Ernährung, Stressreduktion, Bewegung, psychosozialer Support). Das Programm verlangsamte den Anstieg der PSA-Werte der Patienten deutlich und führte zu messbaren Veränderungen in der Genexpression im Prostatagewebe der Patienten.

Ein aktuelles Review liefert Hinweise darauf, dass sekundäre Pflanzeninhaltstoffe, wie z. B. in farbintensivem Gemüse oder grünem Tee und mehrfach ungesättigte Omega-3-Fettsäuren nützlich in der Prävention und/oder Progressionsprophylaxe sein können. Die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln wie Fischöl, Coenzym Q10, Knoblauch oder Ginseng zur Senkung des Risikos ist generell mit wenig Erfolg assoziiert, wobei es einen Hinweis auf den Nutzen von Traubenkernpräparaten gibt.

Übergewicht gilt als Risikofaktor für die Entstehung und einen ungünstigen Verlauf von Prostatakrebs. Die Integration von körperlicher Aktivität ist ein wesentlicher Bestandteil eines umfassenden Programms. Empfehlenswert sind 30-minütige Übungseinheiten mehrmals in der Woche. In einer prospektiven Studie mit über 2.500 Prostatakarzinompatienten konnte gezeigt werden, dass regelmäßige körperliche Aktivität (> 3 MET-h/Woche) nach Diagnosestellung das Mortalitätsrisiko um 35% reduzieren kann. Darüber hinaus ist zu vermuten, dass die Gesamtmortalität einer solchen Patientengruppe sinkt, da durch die Umsetzung eines solchen Programms das kardiovaskuläre Risiko ebenfalls deutlich gesenkt wird. Eine aktuelle Studie deutet darauf hin, dass Herzerkrankungen Risikofaktoren für die Ausbildung von Prostatakrebs sind und eine zum Teil ähnliche Ätiologie haben.

Vor diesen Hintergründen kann ein kontrolliert zuwartender Ansatz bei vielen Niedrigrisikopatienten durchaus eine Alternative zu einer Operation sein, wobei die Betroffenen sich aktiver für ihre Gesundheit engagieren und die erweiterten MBM-Verfahren bessere Optionen bieten können.

Ausblick und zu überwindende Hürden

Nicht nur der positiven Resonanz von behandelten Patienten, sondern auch einer wachsenden Anzahl von qualitativ hochwertigen Studien ist es zu verdanken, dass die Akzeptanz von CAM-Verfahren in der Onkologie steigt. In den USA haben bereits über 40 medizinische Zentren, darunter so renommierte wie das Sloan-Kettering Memorial Hospital in New York oder die Harvard Medical School in Boston, Abteilungen für Integrative Onkologie aufgebaut, wo die Kombination klassischer onkologischer Therapien und komplementärer Verfahren erforscht und in der Praxis erprobt wird. Welche genauen Verfahren an einem Zentrum eingesetzt werden, ist u.a. von kulturell bedingten Präferenzen abhängig. In China ist die führende Methode die traditionell chinesische Kräutermedizin und im deutschsprachigen Raum sind es vor allem Verfahren der klassischen Naturheilkunde und der Akupunktur. Bei der Umsetzung des Konzepts in die alltägliche klinische Praxis geht es in Deutschland um die Entwicklung neuer Finanzierungsmodelle, um dem großen Interesse von Seiten der Patienten und der konventionellen Onkologie zu begegnen. Forschung zur Qualität und Kosteneffizienz der CAMVerfahren könnten überzeugende Argumente für eine breitere Implementierung der Integrativen Onkologie liefern und sind somit dringend erforderlich.

Die Integrative Onkologie hat ein großes Potential, um wirksame Verfahren der Naturheilkunde/Komplementärmedizin und MBM in der Regelversorgung im Sinne einer bestmöglichen Medizin für den individuellen Patienten umzusetzen.

Ihre Verfahren müssen sich ebenso wie die Verfahren der konventionellen Medizin den Fragen nach Evidenzgrad, Sicherheit und Kosten stellen. Als besonders wirksam haben sich die Methoden erwiesen, wenn die separaten Säulen der Lebensstilmodifikation und die supportiven Therapien aufeinander und auf die konventionelle Primärtherapie abgestimmt werden und sich die Wirkmechanismen ergänzen können.

(Literaturquellen beim Autor)

Weitere Informationen:
www.kliniken-essen-mitte.de
www.uni-essen.de/naturheilkunde

Bitte lesen Sie zu diesem Thema auch den Beitrag von Prof. Miller in der Ausgabe Nr. 6 der Aktuellen Gesundheitsnachrichten.
(Die Redaktion)

 

Auf ein Wort:

Thema Prostatakarzinom – Richtigstellung eines Autors

Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Herr Hanns-Jörg Fiebrandt, Autor des Beitrages „Wirklich keine klassische Therapie“, ist Vorsitzender der Selbsthilfegruppe Prostatakarzinom in Berlin Mitte. Mit seinen ganz persönlichen Erfahrungen engagiert er sich für Betroffene, ist Gesprächspartner, hält Vorträge zu gesunder Ernährung, ist ganz einfach für andere da.

In der Ausgabe Nr. 9 der Aktuellen Gesundheitsnachrichten schilderte Hanns-Jörg Fiebrandt seinen Werdegang mit der Diagnose Prostatakrebs. Leserbriefe machten deutlich, dass eine Passage missverstanden wurde. Deshalb kommen wir seiner Bitte um Richtigstellung nach. (Die Redaktion)

Der Satz auf S. 44: „Daher ist es unverantwortlich ...“ sollte nicht als eine Verallgemeinerung in der Therapie des Prostatakarzinoms verstanden werden. Die geschilderte Therapiefolge erfolgte unter dem kürzlichen Eindruck eines konkreten Falles, der jedoch eine Ausnahme in der Behandlung des PCa darstellt. Grundsätzlich helfen die Standardtherapien den Patienten mit erhöhtem Risiko zu einer verlängerten Überlebenszeit. Die Niedrigrisikopatienten unterliegen jedoch leider häufig der Übertherapie, wie aus der ERSPC-Studie von Schröder zu entnehmen ist.
Hanns-Jörg Fiebrandt

 

„Nicht der Sieg soll der Zweck der Diskussion sein, sondern Gewinn.“(Joseph Joubert)

 

Achtsamkeit in der Onkologie

Prof. Dr. Dr. phil. Harald Walach, Institut für Transkulturelle Gesundheitswissenschaften IntraG & Samueli Institute-European Office Europa Universität Viadrina, Frankfurt/Oder

Einführung

Achtsamkeit ist in den letzten Jahren zum Modewort und in der Forschung zum Trendthema geworden. Was ist geschehen? Vor etwa 30 Jahren hat der amerikanische Verhaltensmediziner Jon Kabat-Zinn auf der Suche nach einer Behandlungsmöglichkeit für ansonsten im amerikanischen System unbehandelbare Patienten begonnen, ein Bewältigungsprogramm aufzubauen, das aus seiner eigenen Meditationserfahrung gespeist war [1]. Er brachte den Leuten bei, wie man meditiert – auf seinen Körper achtet, den Atem beobachtet, Yoga Übungen durchführt, animierte sie dazu, dies mindestens 8 Wochen lang täglich 30-40 Minuten zu üben. Er versah das Programm mit Informationen über die Bedeutung der Psyche bei chronischen Krankheiten, über die Wirkungen, die Stress und Entspannungen auf den Körper haben und vermittelte, wie wichtig es ist, den gegenwärtigen Moment zu nutzen und sehr genau zu beobachten. Er ließ die Teilnehmer seiner Kurse 8 Wochen lang einmal pro Woche für 2,5 Stunden zusammenkommen und gab ihnen so auch die Möglichkeit des Austauschens. Schließlich führte er noch einen Tag der Achtsamkeit ein.

Und das wohl erfolgreichste verhaltensmedizinische Programm aller Zeiten, das „Mindfulness Based Stress Reduction (MBSR)“-Programm war geboren.

Es verbreitete sich rasch, weil es sehr erfolgreich war [2]. Es war beliebt bei den Patienten, weil es ohne irgendwelche esoterischen oder religiösen Schnörkel auskam und strikt pragmatisch orientiert war. Man kann die Meditation als Atheist, als Agnostiker, als Christ oder Muslim genauso erlernen, wie sie ganz ursprünglich Bestandteil der buddhistischen Tradition war. Warum ist das möglich? Die Antwort darauf ist einfach: weil sie der Schulung einer menschlich-psychologischen Fähigkeit dient, die unter dem Stichwort Achtsamkeit behandelt wird.

Was ist Achtsamkeit?

Meine persönliche Definition von Achtsamkeit ist „Der natürliche Zustand unseres menschlichen Geistes“. Darin setze ich, implizit, voraus, dass wir für gewöhnlich diesen natürlichen Zustand verloren haben. Wir sind selten in der Lage, unsere Aufmerksamkeit mehr als wenige Sekunden ungeteilt einer Sache oder einem Menschen zu widmen. Wenn uns etwas in den Sinn kommt, nimmt uns dies einen Teil unserer Ressourcen. Wir denken beim Telefonieren an das, was wir noch einkaufen müssen, oder freuen uns beim Gespräch mit einem Mitarbeiter oder Kollegen schon auf das Abendprogramm. Achtsamkeit ist das Gegenteil davon.

Kabat-Zinn beschreibt sie so: unsere Aufmerksamkeit auf etwas richten, mit Absicht, ungeteilt, und ohne zu urteilen. In der Forschung hat sich diese Sicht der zwei Komponenten allmählich ebenfalls bestätigt. Achtsamkeit enthält mindestens eine Komponente von Aufmerksamkeit und ungeteiltem Gegenwärtigseins.

Und interessanter Weise entwickelt sich daraus auch eine gewisse Fähigkeit, sich des Urteilens zu enthalten und einfach neugierig, möglichst vorurteilsfrei bei dem zu verweilen, was gerade geschieht, also die Akzeptanz.

Normalerweise beurteilen wir sehr rasch, was uns widerfährt und kategorisieren unsere Erlebnisse, als würden wir wie einst Aschenputtel Erbsen in verschiedene Gefäße sortieren: hier die guten, da die schlechten, und dort diejenigen, bei denen wir noch etwas nachdenken müssen. Dieses Urteil, mit dem wir die Wirklichkeit auf- und einteilen, kann manchmal nützlich sein, oft aber ist es auch fatal. Denn es führt dazu, dass wir unsere Erfahrung oft gar nicht erst zu Wort kommen lassen.

Achtsamkeit ist der Appell, unsere Erfahrung hier im Augenblick ernst zu nehmen. Denn schließlich ereignet sich unser Leben immer nur jetzt, in diesem Moment. Es hat keinen Sinn, wenn wir zu lange im Vergangenen grübeln oder uns dauernd auf die Zukunft einstellen. Wir könnten die Gegenwart verpassen und damit unser Leben. Diese Einsicht ist so einfach, so universal und gleichzeitig so schwer in die Wirklichkeit umzusetzen, dass man Übung braucht und üben muss, um diesen natürlichen Zustand unseres Geistes – Anfängergeist heißt er auch, den Kindern schreibt ihn das Evangelium zu – wieder zu erlangen.

Und weil unsere Zeit mit ihrer Hektik und ihrer Informationsflut nicht dazu angetan ist, diese Haltung zu erleichtern, darum, so scheint mir, taucht gerade jetzt der Hunger danach auf und darum ist „Achtsamkeit“ nicht nur ein Modewort, sondern auch ein potenzielles Heilmittel für unsere zerfledderten Seelen [3].

Warum in der Onkologie?

Naja, mag da einer sagen, alles schön und recht. Das ist gut für Leute, die sich weiterentwickeln wollen. Aber in der Onkologie? Wo doch entweder oft der Tod vor der Tür steht oder die Leute von Behandlungen strapaziert sind. Wäre es da nicht gerade sinnvoll, sich etwas auszudenken, was Patienten genau nicht mit ihrem Zustand konfrontiert?

Obwohl das zunächst einleuchtend scheint, lehrt die Erfahrung und auch die wissenschaftlichen Daten – ich komme gleich darauf –, dass es eben offenbar doch hilfreich ist, sich der Gegenwart zu widmen, auch und gerade wenn man die Diagnose „Krebs“ erhalten hat.

Es gibt eine Reihe von Giften für die Seele, sagt der Buddha (und lehrt die Erfahrung). Zu den stärksten gehört, haben zu wollen, was man im Moment nicht hat.

Das Gegenteil davon ist nicht weniger gefährlich: nicht haben zu wollen, was man im Moment hat. Die christliche Tradition kennt sie als die „Todsünden“ – sie heißen so, weil sie eben so giftig sind – „Habgier“ und „Neid“. Und sie werden potenziert durch das Ausmalen von möglichen Katastrophen, die vorderhand nicht Wirklichkeit sind, und durch das innere Flüchten in einen momentan nicht verfügbaren Idealzustand.

Typische Äußerungsformen sind Verweigerung der Wahrnehmung, unrealistische Einschätzungen und überzogene Erwartungen genauso wie absolute Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, Tatenlosigkeit und Sich-gehen-lassen. All dies ist für Krebspatienten in der einen oder anderen Form, und vor allem auch für ihre Angehörigen, immer wieder einmal von Belang. Daher wundert es auch nicht, dass angepasste Formen des MBSR-Trainings recht bald innerhalb der Onkologie eingesetzt wurden. Die wesentlichen Bestandteile – das Erlernen und regelmäßige Üben von Achtsamkeit, der gemeinsame Austausch über Fortschritte und Hindernisse – sind beibehalten.

Aber die Körperübungen werden der Situation angepasst, genauso wie die Inhalte der Lehreinheiten. Patienten lernen dann bei der momentanen Erfahrung zu verweilen, sie weder verändern noch bewerten zu wollen. Das hilft vor allem bei schwierigen Situationen und schmerzhaften Erlebnissen. Man stellt dann fest, dass diese Erlebnisse eine gewisse Binnenstruktur haben. Manchmal sind Schmerzen stärker, manchmal schwächer. Manchmal verändert sich durch das Akzeptieren einer Situation ihre affektive Tönung. Und plötzlich gewinnt die Gegenwart wieder Farbe und Attraktivität. Mozart hat an seine Cousine geschrieben, er erlebe jeden Tag so, als sei er der letzte, für den Fall, dass er am andern Tag nicht mehr aufwacht. Das ist gemeint, wenn ich sage, man lerne durch Achtsamkeit die Gegenwart intensiver erleben. Gerade für Patienten, die oftmals nicht wissen, wie viel Zeit ihnen geschenkt ist, kann dies eine zentrale Erfahrung sein.

Alle, die Erfahrung mit Meditation haben und auch alle klinischen Daten zeigen, dass Menschen, die meditieren, weniger depressiv und weniger ängstlich sind.

Interessanterweise, das zeigt uns auch die Neurowissenschaft, hemmt das aufmerksame Wahrnehmen der gegenwärtigen Erlebnisse die grübelnde, sprachdominante Aktivität höherer Zentren und das Paniknetzwerk im Gehirn. Dies ist fast automatisch mit einer Aufhellung des Affekts verbunden. Wer in der Gegenwart lebt, verbringt keine Zeit mit dem Nachgrübeln, einem wesentlichen Merkmal depressiver Verarbeitung von Erlebnissen, und macht sich auch weniger Sorgen um die Zukunft, was ein typisches Zeichen für Angst ist.

Weil Achtsamkeit an der Wahrnehmung und an unserem puren Erleben ansetzt, kann man es auch in allen Situationen üben. Zwar ist es nützlich, wenn man täglich formell eine gewisse Zeit, etwa eine halbe Stunde, auf das Üben verwendet. Aber dies ist eigentlich nur dazu gedacht, eine allgemeine Haltung einzuüben, die wir auf alle möglichen Alltagssituationen anwenden können. Wir können etwa unser Essen achtsam genießen oder gedankenverloren in uns hineinschlingen, während wir gleichzeitig die Nachrichten verfolgen. Im ersten Fall werden wir eine intensive Erfahrung haben, im zweiten vielleicht weder das Essen genießen noch wirklich aufnehmen können, was sich Neues getan hat, und wenn es dumm geht, holen wir uns sogar eine Magenverstimmung. Das achtsame Erleben unserer alltäglichen Erfahrungen verstärkt die Haltung der Achtsamkeit und die formale Übung hilft uns dabei, diese Haltung einzuüben.

Was genau wissen wir über die Wirkung?

Mittlerweile sind eine ganze Reihe von Studien von Achtsamkeitstrainings bei Krebspatienten durchgeführt und diese wiederum in sog. Meta-Analysen zusammengefasst worden. Eine der neuesten Analysen fand insgesamt 22 Studien, 9 davon sog. randomisierte Studien, bei denen Teilnehmer zufällig auf Behandlungs- und Kontrollgruppen aufgeteilt wurden. Die Studien ergaben einen signifikanten, mittelgroßen Effekt bei der Verringerung von Depression und Angst, und Achtsamkeit wurde ebenfalls verbessert [4]. Die Effekte sind dabei vor allem im Bereich der Lebensqualität und Stimmungsverbesserung zu finden [5], wohingegen physische Maße, wie etwa Schmerz oder verbesserte körperliche Symptome in aller Regel eher kleine Effekte aufweisen [6].

Da die Forschung in diesem Bereich insgesamt noch in der Frühphase steckt, wurden manchmal auch Pilotstudien mit Patienten im Endstadium von Krebs gemacht, bei denen bereits eine kleine Verbesserung wichtig ist. Andererseits gibt es auch einzelne Studien mit sehr eindrücklichen Effektgrößen [7], die zeigen, dass die Methode, wenn sie von erfahrenen Lehrern und gut angepasst für die Patientengruppe implementiert wird, erstaunliche Verbesserungen erzielen kann.

Achtsamkeit für Ärzte und Therapeuten?

Mittlerweile interessieren sich auch immer mehr Ärzte und Therapeuten dafür, Achtsamkeit zu lernen. Nicht nur als Methode, um Ihren Patienten zu helfen, sondern auch als Methode für sich selbst. Wir haben beispielsweise in unserem weiterbildenden Masterstudiengang für Ärzte und Apotheker „Kulturwissenschaft – Komplementäre Medizin“ ein Modul „Kultur des Bewusstseins“ entwickelt. Dabei können die Teilnehmer Achtsamkeit lernen, und wir halten sie dazu an, in ihrer alltäglichen Praxis ein kleines Element umzusetzen. Beispielsweise könnte jemand jedes mal, bevor er die Tür aufmacht, um einen neuen Patienten zu empfangen oder den Telefonhörer abhebt, einmal tief durchatmen und dabei nur auf seinen Atem achten – Mini-Achtsamkeit im Alltag. Die Studierenden schreiben dann ein Tagebuch über die Erfahrungen und reflektieren darüber, was sich dadurch in ihrer Praxis verändert. Es ist erstaunlich, welche Veränderungen sie dabei erleben. Manche berichten davon, dass sie weniger ausgelaugt nach Hause kommen, freudvoller ihren Beruf machen, oder rascher zu Entscheidungen kommen und dadurch mehr Zeit für die Patienten haben.

Die Erfahrungen sind so verschieden wie diejenigen, die sie machen und üben. Aber ich habe noch nie erlebt, dass jemand geschrieben hätte: „Sinnlose Übung“.

Unterstrichen wird das übrigens durch eine äußerst spannende Studie. Dabei haben Psychotherapeuten im Training, ohne dass ihre Patienten das wussten, morgens vor ihrer Arbeit eine Stunde mit einem Soto-Meister Zen-Meditation geübt, während die Kontrollgruppe wie jeden Tag in ihre Arbeit ging. Gemessen wurde am Ende des Klinikaufenthaltes der Erfolg bei den Patienten. Dieser war bei den Therapeuten, die morgens meditiert hatten, fast dreimal so hoch wie bei den anderen, obwohl alle Therapeuten die gleiche Methode anwandten [8].

Wie weiter?

Achtsamkeit ist vielversprechend, auch und gerade in der Onkologie. Dort herrscht oft Notstand, bei Patienten und Ärzten gleichermaßen. Die Daten sprechen dafür, dass man Achtsamkeitstrainings Patienten empfehlen kann und vielleicht sogar zu einem vordringlichen Fortbildungsthema bei Ärzten machen sollte. Die Erklärung für den Erfolg ist einfach: Achtsamkeit hilft uns, alle unsere Ressourcen, emotional, kognitiv, intellektuell im jetzigen Moment zu bündeln. Alles andere ist an sich pure Verschwendung. Ob es wirklich dieses Element der Achtsamkeit ist, welches die Effekte in den Studien erzeugt, das wissen wir noch nicht so genau. Aber was wir wissen, ist ermutigend genug, auf dem Weg weiterzugehen.

(Literaturquellen bei der Redaktion)

Weitere Informationen:
www.euv-frankfurt-o.de/de/forschung/institut/institut_intrag
www.harald-walach.de

 

Aktuelles aus der Krebsforschung

Rauchen verursacht jährlich mehr als 70.000 Krebsfälle

Und die Zahlen steigen, vergleicht man sie mit Daten früherer Jahre. Tabakkonsum ist ein wesentlicher Risikofaktor für verschiedene Krebsarten. Er kann für Tumoren in der Lunge, aber auch im Rachen und Kehlkopf oder in den unteren Harnwegen verantwortlich sein.

Jede vierte bis fünfte Krebserkrankung bei Männern und fast jede 12. bei Frauen ist in Deutschland auf das Rauchen zurückzuführen. Da sich Krebserkrankungen häufig langsam entwickeln und vor allem im höheren Alter auftreten, zeigen sich krebsauslösende Effekte des Rauchens erst Jahrzehnte später. Der gegenwärtig beobachtete rückläufige Tabakkonsum bei den jüngeren Generationen wird sich daher erst langfristig auswirken.

Rauchen verschlimmert auch Darmkrebs. Raucher erkranken häufiger als Nichtraucher und sie sterben auch früher daran. Das zeigte eine Studie mit 1.968 Patienten mit Darmkrebs, von denen rund die Hälfte geraucht hatte oder noch aktiv rauchte. Bei Rauchern fand man eine höhere Rezidivrate und letztlich auch eine höhere Mortalität.
(Quellen: Robert Koch-Institut/ Zentrum für Krebsregisterdaten 2013; Phipps Al et al. 2013, J Clin Oncol.)

Kostentreiber Zigarettenkonsum

Erstmalig haben Forscher des Helmholtz-Zentrums München die gesundheitlichen Folgen des Zigarettenkonsums unter die Lupe genommen. Sie haben Kosten der medizinischen Versorgung und des Arbeitsausfalls von Rauchern und ehemaligen Rauchern mit Nichtrauchern verglichen. Das Ergebnis: die Kosten, die die medizinische Versorgung und Arbeitsausfälle verursachen, liegen 24% höher als bei Nichtrauchern; bei ehemaligen Rauchern, die krankheitsbedingt mit dem Rauchen aufhörten, sind es sogar 35%.

Die genaue Abschätzung der Krankheitskosten ist eine wesentliche Grundlage einer effizienten Prävention, so Prof. Dr. oec. publ. Reiner Leidl vom Helmholtz-Zentrum München.
(Quelle: Deutsches Ärzteblatt, Aug.2013)

Darmkrebs – Vorsorge ist angesagt

Darmkrebs gehört mit 73.000 Neuerkrankungen pro Jahr zu den häufigsten bösartigen Neuerkrankungen in Deutschland; etwa 27.000 Menschen sterben daran.

Die aktualisierte S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom beschreibt den derzeitigen Stand von Diagnose und Therapie und gibt Handlungsempfehlungen.

In Studien wurde belegt, dass körperliche Aktivität, Verzicht auf Zigaretten und übermäßigen Alkoholkonsum das Darmkrebsrisiko senken können. Gesunde Ernährung steht im Zentrum der Empfehlungen. Ballastreiche Kost mit viel Obst und Gemüse sind übermäßigem Fleisch, besonders „rotem Fleisch“ wie Rind, Kalb, Schwein und Lamm, oder auch Wurst und Buletten, vorzuziehen.
(Quelle: Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten DGVS)

Darmkrebs – einen Rückfall vorhersagen

Ein bestimmtes Genprofil des Tumorgewebes lässt offenbar bei Darmkrebs im Frühstadium die Rückfallgefahr erkennen.

Für viele Patienten mit einem früh erkannten Darmkrebs ist die Krankheit oft nach einer OP ausgestanden. Dennoch erlebt jeder vierte Patient, bei dem noch keine Metastasen vorliegen, einen Rückfall. In einer Studie untersuchten Forscher Gewebeproben von mehr als 300 Patienten mit Darmkrebs. Die Forscher führten eine Genanalyse durch und setzten die Befunde zum Krankheitsverlauf mit dem Rückfallrisiko in Beziehung. Sie fanden eine Gensignatur, die mit einer hohen Rückfallgefahr in Verbindung stand. Patienten mit der Gensignatur erkrankten lt. einem Test tatsächlich innerhalb von drei Jahren nach der Operation häufiger als Patienten mit einem niedrigeren Risiko. Schlussfolgerungen für individuell angepasste Therapien können die Konsequenz sein.
(Quelle: Im Fokus Onkologie 2013, nach Lehehan, P.F. et al. Cancer 2012, 118/21)

 

Die Insulin Potenzierte Therapie (IPT)

Dr. med. Thomas Kroiss Ganzheitsmedizin und Naturheilkunde, Wien

Geschichtliches

Kurz nach der Entdeckung der Formel des Insulins zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch vier Kanadische Forscher entwickelt der Mexikanische Militärarzt, Dr. Donato Garcia (1896-1971), die Insulin Potenzierte Therapie. Die Geschichte beginnt allerdings damit, dass Dr. Garcia persönlich relativ klein und unterernährt war. Er konnte zwar genug essen, aber sein Körper verwertete es nicht. In der neu entdeckten Substanz Insulin sah er zunächst eine Möglichkeit, sich selbst zu helfen, zu Kräften zu kommen. Er studierte das Mittel gründlich und wendete es dann an sich selbst an. Tatsächlich erholte er sich sehr rasch und kam zu Kräften.

Dr. Garcia war Militärarzt (zusätzlich ausgebildeter Chirurg, Urologe, Gynäkologe und Zahnarzt) und hatte das Insulin so genau kennengelernt, dass er die Hoffnung hegte, seinen Soldaten helfen zu können, die in relativ hoher Rate mit Syphilis verseucht waren. Man behandelte die Syphilis damals mit dem recht giftigen Salvarsan. Dennoch war es nicht möglich gewesen, das fortgeschrittene Stadium dieser Erkrankung zu heilen. Diese Bakterien (welche nahe verwandt sind mit den Erregern der Borreliose, einem Problem der heutigen Zeit) verstecken sich nämlich nach einer Weile innerhalb der Körperzellen, so dass sie mit dem Salvarsan (und auch von Antibiotika, die es damals noch nicht gab) nicht erreichbar und therapierbar waren.

Kurz gesagt, gelang es Dr. Garcia in sensationeller Weise, Heilungen von Tertiärer Syphilis zustande zu bringen. Er wurde nach Austin, Texas und nach Washington eingeladen, wo er die fortgeschrittene Syphilis ebenfalls erfolgreich behandelte. Das war so sensationell (auch wenn es in den medizinischen Geschichtsbüchern nicht überliefert wird), dass er es sogar auf die Titelseite der New York Times schaffte; für einen mexikanischen Arzt in den USA etwas wahrlich Außergewöhnliches.

      

Die Garcia Generation: Der Erfinder der IPT, Dr. Donato Perez Garcia, 1896-1971 Dr. Donato Perez Garcia, 1960; und Dr. Donato Garcia Nr 3, der Enkel des Erfinders, der die IPT seit dem Jahr 2000 lehrt.

Bald danach kamen das Penizillin und der Krieg, so dass andere Wertigkeiten vorhanden waren. Auch kamen die Gegner auf den Plan. Die Behandlungsmethode verschwand aus der Öffentlichkeit. Sie wurde nur von der Ärztefamilie Garcia in Mexico City und später in Tijuana verwendet, ausgebaut, verbessert, und es wurden viele Erfahrungen gesammelt. Zum Beispiel konnte man schwer gelähmte Kinder heilen (Kinderlähmung), die sonst zum Tod verurteilt gewesen wären.

Es gelang ihm also mithilfe des Insulins, andere Medikamente in ihrem Wirkungspotential deutlich zu erhöhen, so dass damals unheilbare Zustände erfolgreich behandelt werden konnten. 1946 wurde dann unter Verwendung des chemotherapeutischen Medikamentes Cyclophosphamid der erste Krebs bei der Tochter eines Generals erfolgreich behandelt. Seither wird diese Therapieform auch in der Krebstherapie eingesetzt. Die IPT wurde allerdings erst wieder im Jahre 2000 vom Enkelsohn des Entdeckers erneut der medizinischen Öffentlichkeit vorgestellt und Ärzte wurden ausgebildet.

Heute wird mit der IPT hauptsächlich Krebs therapiert, obwohl sie sich zur Behandlung von chronischen Infektionen ebenfalls sehr gut eignet (z.B. Borreliose). Beim Krebs wendet man üblicherweise chemotherapeutische Substanzen an. Das Hormon Insulin wird dabei eingesetzt, um die Zellen zu öffnen, so dass deutlich weniger Chemotherapie verabreichet werden muss. Die Dosierung liegt bei nur 10 bis 20% der üblichen Menge.

Das Wirkprinzip der IPT

Betrachten wir jetzt vornehmlich die IPT am Beispiel der Krebstherapie mit chemotherapeutischen Substanzen. Das Hormon Insulin wird also eingesetzt, um die Zellen zu öffnen, so dass andere Medikamente in die Zelle hinein gelangen können. Chemotherapeutische Substanzen richten sich vorwiegend gegen Zellen, die in Teilung begriffen sind, was für Krebszellen charakteristisch ist.

Kurz über das Insulin: Wenn man isst, wird in der Bauchspeicheldrüse Insulin produziert und ins Blut abgegeben. Es gelangt an die Zellen, setzt sich an so eine Art „Andockstelle“ am Zellrand und meldet ihnen, dass es nun Essenszeit sei. Die Zellen hören kurz auf zu arbeiten und öffnen sich für den Nahrungsaustausch.

Es ist bekannt, dass Krebszellen etwa fünfmal mehr Insulin-Rezeptoren (Andockstellen) ausbilden bzw. insgesamt bis zu 20mal soviel insulinähnliche Rezeptoren haben, die dabei wirksam werden. Der Zweck davon ist, dass sich Krebszellen beim Essen vordrängen wollen und sozusagen nur den Rest der Nahrung der normalen Körperzelle übrig lassen möchten.

Diesen Überlebens-Trick der Krebszelle nützt die IPT nun ihrerseits gegen die Krebszelle aus. Man injiziert dem nüchternen Patienten (keine Nahrung vorhanden) eine bestimmte Menge an Insulin, täuscht somit „Essenszeit“ vor. Die Krebszelle empfängt viel mehr Insulin und bekommt daher auch mehr von den jetzt danach injezierten Giftstoffen ab. Normalerweise möchte eine Zelle ja nicht vergiftet werden. Deswegen empfiehlt die Pharmaindustrie, Chemotherapie hoch zu dosieren, damit diese trotz der Abwehr des Giftes wirkt (was aber den Organismus schwer belastet…). Weil aber die Zelle nun bereits geöffnet und sogar hungrig ist, braucht man keinen Widerstand mehr zu überwinden. Somit ist viel weniger chemotherapeutische Substanz nötig, um die erwünschte Wirkung zu erzielen.

Das Insulin bereitet also den Weg, damit diese Substanzen leichter in die Zelle gelangen. Da die chemotherapeutischen Medikamente vorrangig jene Zellen attackieren, die in Teilung begriffen sind, werden hauptsächlich die Krebszellen attackiert.

In der niedrigen Dosierung halten sich daher die Nebenwirkungen sehr in Grenzen. Zu einem erniedrigten Blutbild kommt es beispielsweise daher fast nie, auch nicht nach wöchentlichen Behandlungen durch mehrere Monate hindurch. Der besondere Vorteil bei dieser Therapie liegt somit darin, dass die Chemotherapeutika wesentlich niedriger dosiert werden können und dadurch keine oder kaum Nebenwirkungen auftreten.

Auf diese Weise braucht man daher auch nicht zu warten, bis sich der Organismus von einer Chemotherapie erholt hat (wie bei der üblichen Form). Man kann in wöchentlichen Abständen behandeln. Die Krebszelle braucht nämlich etwa eine Woche, um sich zu erholen und wieder in die Teilungsphase zu gelangen, so dass man ihr jedes Mal in ihrem empfindlichsten Moment einen Schlag versetzen kann. So ist es idealerweise möglich, einen kleineren Restkrebs bis zur Vernichtung zu verfolgen. Das zeigt uns die Erfahrung.

Ablauf der Behandlung

Bei der Behandlung injeziert man dem nüchternen Patienten eine errechnete Menge an Insulin. Sodann wird das Absinken des Blutzuckers beobachtet. An einem gewissen Punkt werden dann die chemotherapeutischen Substanzen verabreicht. Danach wird Glucose (Zucker) gegeben, so dass der hungrige Zustand beendet wird. Damit ist eine IPT-Sitzung abgeschlossen.

Das Verfahren besteht aber nicht nur aus dem Ablauf einer Sitzung, sondern vor allem aus dem planvollen Vorgehen über einen bestimmten Zeitraum. Das Vorgehen bei der IPT unterscheidet sich ganz wesentlich vom Vorgehen einer üblichen Chemotherapie. Es sollte also in keiner Weise damit gleichgesetzt werden.

Wann ist die IPT bei Krebs einsetzbar, wo liegen die Vorteile?

Zunächst ist sie bei solchen Erkrankungen sinnvoll, die üblicherweise auf chemotherapeutische Substanzen ansprechen. So ist bekannt, dass beispielsweise Plattenepithel-Karzinome oder Magen-, Speiseröhren-, oder Mastdarmkrebs im Allgemeinen nicht so gut auf eine Chemotherapie ansprechen. Dort ist auch mit der IPT keine großartige Wirkung zu erwarten. Ausnahmen gibt es immer, daher kann man es – aufgrund der geringen Nebenwirkungen und der wenigen anderen Therapieoptionen – auch in diesen Fällen versuchen.

Ein Einsatz ist speziell dann sinnvoll, wenn man auf die Ausmerzung von Restkrebs oder kleinen Tumoren abzielt. Ebenso, wenn die Lebensqualität im Vordergrund steht, wie etwa bei älteren Personen oder fortgeschrittenen Fällen.

Was ist der Nachteil der IPT?

Der Nachteil liegt vor allem darin, dass größere Tumormassen auf IPT nicht so gut ansprechen. Außerdem spricht sie nicht gut an, wenn auch die chemotherapeutischen Medikamente nicht gut ansprechen.

Ein weiterer Nachteil: Die Behandlung wird nur von wenigen Kassen teilweise bezahlt. Es werden bei der IPT wöchentliche Sitzungen gemacht, was natürlich mit der Zeit etwas kostspieliger werden kann. Die einzelnen Behandlungen sind aufwendig für Arzt und Personal.

Sollte es (manchmal) von Kassen in privaten Kliniken bezahlt werden, so jedenfalls leider nicht in der (für den letztlichen Therapieerfolg) wesentlichen länger dauernden Behandlungsabfolge, sondern nur für einzelne Sitzungen – anstelle der Chemotherapie – so sehen es die Kassen.

Womit ist IPT kombinierbar?

IPT ist mit vielen Methoden kombinierbar. Speziell in fortgeschrittenen Fällen ist eine Kombination mit Verfahren aus der biologischen Medizin sinnvoll. Bei lokalem Krebsgeschehen ist die lokale Hyperthermie oft ein günstiger, passender Baustein.

Wie findet man IPT-Ärzte?

Die Methode ist bisher noch nicht so weit verbreitet und es gibt recht wenig qualifizierte Anwender. Bei der Arztsuche muss man insbesondere beachten, dass eine gültige Ausbildung vorhanden sein sollte. Der Therapeut sollte auch Fortbildungen (zu IPTLD) besucht haben. Wie auf jedem Fachgebiet genügt es oft nicht, nur die Grundausbildung absolviert zu haben.

(Literaturquellen bei der Redaktion)

Weitere Informationen:
Europäischer Fachverband für Insulin Potenzierte Therapie (IPT/IPTLD)
www.ipt-insulin-potenzierte-therapie.info
Kroiss@Dr-Kroiss.at

Weitere Informationen (englisch):
auf der Seite von Dr. Donato Garcia: www.iptldmd.com

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Hier noch ein Hinweis der Redaktion:
Unsere Autoren sind bemüht, ihre Artikel für alle Leserinnen und Leser verständlich zu verfassen. Sollten Ihnen einzelne Begriffe in den Texten unverständlich sein, hier finden Sie Hilfe:
„Die blauen Ratgeber“, das Krebswörterbuch der Deutschen Krebshilfe e.V.,
finden Sie entweder über www.krebshilfe.de oder Tel. 0228-729 90-0 und natürlich auch über www.wikipedia.de

 

Spätfolgen kommen spät – eine Betroffene meldet sich nach 30 Jahren …

Prof. Dr. Harald Leo Sommer, Frauenarzt und Radiologe, Gynäkologische Onkologie 1. Universitätsfrauenklinik München, Campus Innenstadt

Hilferuf in Form eines langen Briefes einer jetzt 57jährigen ehemaligen Patientin: Der Grad der Behinderung sei nur mit 60% bemessen, das reicht nicht und entspräche nicht ihren tatsächlichen Funktionseinschränkungen. Diese bestehen in einer massiven Mischinkontinenz mit Blasenentleerungsstörungen, so dass ständige Gefahr unwillkürlichen Urin- aber auch Stuhlabganges besteht. Öffentliche Veranstaltungen, öffentliche Verkehrsmittel, aber auch Fahrradfahren sind nicht möglich. Soziale Kontakte sind erloschen, Partnerschaften sind zerbrochen, neue sind undenkbar…

Aber auch seit der Therapie 1982/83 (!) entstandene Allergien und Lebensmittelunverträglichkeiten durch Laktose- u. Fruktoseintoleranz sowie Pankreasinsuffizienz zwingen zu Diät und führen trotzdem zu ständigen Diarrhoen. Zahlreiche weitere Folgen wie chronische Gürtelrose mit Schmerzmittelbedarf, Schmerzen im Genitalbereich, rezidivierende Herpes- und Candidainfektionen mit schließlich reaktiver Depression sind verständlicher Anlass für regelmäßig zahlreiche Arztkonsultationen sowie Klinik- und Reha-Aufenthalte ohne Besserung der zerstörten Lebensqualität.

Die Ursachen? Ein Zervixkarzinom (Gebärmutterhalskarzinom), das primär radikal in sano operiert wurde. Bei dem Tumorstadium pT1bpN2 war es damals Standard „sicherheitshalber“ eine Strahlentherapie anzuschließen, die mit Telekobaltpedelbestrahlung bis 60 Gy auf das kleine Becken, 20 Gy lokal durch After loading und 45 Gy auf die paraaortalen Lymphknoten absolviert wurde. Die Patientin ist damit tumorfrei geblieben, für die Statistik, geheilt ist sie meines Erachtens nicht. Wie sie selbst feststellt, ist ihr Leben nicht mehr lebenswert. Besserung kommt nicht, sie kämpft nur noch um die materiellen Bedingungen des Überlebens.

In den letzten 10 Jahren hat die Technologie in der Radioonkologie große Fortschritte gemacht. Durch die Anwendung moderner Intensitätsmodulierter (IMRT) Techniken, der Entwicklung der volumetrischen Arc-Technik (VMAT) und der Tumortherapie konnten sowohl die Akut- als auch die Spättoxizitäten gesenkt werden. Eine Telekobaltbestrahlung des Beckens mit nahezu kompletter Tumordosis auf die lebenswichtigen Organe Blase und Darm gibt es nicht mehr in Deutschland. Doch wissen wir nicht, was die aktuellen zahlreichen systemischen Therapien (Chemo, Antikörper usw.) in Kombination mit den neuen Strahlentherapien als heutiger „Standard“ für Langzeitfolgen haben werden.

Wir können natürlich nicht Ergebnisse von Langzeitstudien abwarten, doch das mindeste ist, dass wir den Betroffenen ehrlich sagen, wir wissen noch nichts über die Spätfolgen unserer heutigen aggressiven Therapien. Das Berufen auf jeweils gültige „Interdisziplinäre S3-Leitlinien für Diagnostik, Therapie und Nachsorge“ bei einzelnen Tumoren schützt uns vielleicht juristisch aber niemals moralisch bei Folgen wie bei o. g. Patientin.

Die praktizierten Übertherapien gerade in der Adjuvanz, auch besonders in Studien, müssen kritisch hinterfragt werden – integrative Komplementärmedizin wie z. B. Hyperthermie als vierte Säule der Krebsmedizin additiv (nicht alternativ!) zu OP, Strahlen- und Chemotherapie ist wahrscheinlich der bessere Weg und belastet nicht die Zukunft der Patienten.

Es muss nicht zwangsläufig so bleiben, dass die Heilungschance einer potentiell tödlich verlaufenden Erkrankung mit dem Risiko späterer extremer Einschränkungen der Lebensqualität erkauft wird.

 

„Durch Forschen nur gewinnt man Vorsicht und Bedacht in allem Tun.“(Sophokles)

 

Der besondere Platz – Guggenheim in Friedrichshagen?

Dagmar Moldenhauer

Leserinnen und Leser unseres Periodikums wissen, dass ich an dieser Stelle über Erlebnisse und Erfahrungen für Sie schreibe, die mich persönlich überrascht, beglückt oder besonders beeindruckt haben. Das tue ich mit der Absicht, Sie auf oft scheinbar versteckte Schönheiten oder Erlebnisse aufmerksam zu machen. Sind Sie gerade in trüben Gedanken versunken, vielleicht können Sie mich – wenigstens für einen Moment – begleiten?

Heute möchte ich Sie mitnehmen in eine Galerie, in die Galerie LUX in Friedrichshagen, gelegen in einem Ortsteil von Berlin Köpenick. Hier führen die Kunsthändler Hannelore Maßannek und Manfred Schmidt in den privaten Räumen ihres Hauses eine Galerie, über die schon viel geschrieben wurde. Aber Guggenheim in Friedrichshagen? Ja, doch – denn Peggy Guggenheim hat einst diese Symbiose von Privatem, von Existenz und Ästhetik, in Venedig vorgeführt. Hier geschieht es auf beglückende Weise neu.

Es gab viel Presse vor, während und nach den zahlreichen Präsentationen. Die Galerie LUX zog Besucher aus ganz Berlin und im Laufe der Zeit aus ganz Deutschland an. Begegnungen mit den Arbeiten der bildenden Künstler waren und sind hier immer sehr intim, sehr nah. Entscheidung für eine Exposition von Arbeiten eines Künstlers sind hier von einer Grundidee bestimmt: Qualität!

Wenn ich zurückdenke, fallen mir Namen wie Werner Stötzer, Gerhard Rommel, Harald Metzkes, Alfred Hrdlicka/Wien, Robert Metzkes, Christine Perthen, Paul Kuhfuss, Arno Mohr, Sylvia Hagen oder auch Alexander Bertelson/ Russland ein.

Ich möchte für Sie nach dem Besonderen, dem Unverwechselbaren, suchen. Was macht gerade diese Galerie meiner Freunde so einzigartig, – neben meiner Sympathie für die beiden natürlich. Bei herausragenden Begegnungen mit Kunst und Kultur sind es immer die Akteure, die mit ihren ganz individuellen Begabungen, Talenten, mit ihrem Können und mit ihrem Charisma diese Erlebnisse zu etwas Besonderem machen. So auch hier.

   

Hier trifft man – nach einem kurzen Weg durch den mit Skulpturen gestalteten Garten – auf Menschen, die mit großer Kenntnis, mit dem richtigen Gefühl und dem genauen Blick, großartige Künstlerarbeiten präsentieren. Aber das ist mir immer noch zu wenig in der Charakterisierung dieser Galerie! Beide Galeristen haben das Wissen und die kreative, freundliche Fähigkeit des Fabulierens; mit Geschichten – über Musik – über die Schönheit von weißen Blumen und roten Äpfeln. Man fühlt sich hier willkommen – auf eine ganz persönliche Weise.

Die Ausstellung im Herbst/Winter 2013/14 zeigt:

Malerische Ansichten von Lou Albert-Lasard aus den Jahren 1923-1940

eine Künstlerin der 20er Jahre (geb. in Lothringen, 1885-1969). Sie war eine wunderschöne, exzentrische Frau, die eine enge Beziehung zu Rilke hatte und zu deren Freunden Chagall, Cocteau, Einstein, Ghandi und andere zählten. Ihre Bilder zeigen das sprühende Leben dieser Zeit, auch Landschaften und verschiedene Szenen des Alltags.

Zur Vernissage erklingt Musik vom Akkordeon – wir fühlen uns ziemlich französisch, einfach wunderbar.

Kontakt: Galerie Lux, Tel. +49(0)30 645 80 33

 

Aktuelles aus der Krebsforschung

Schimmelpilz-Aflatoxine sind hochgradig giftig

Wie gefährlich Mykotoxine (sekundäre Stoffwechselprodukte aus Schimmelpilzen) für Lebewesen sein können, wurde erstmals 1960 in England deutlich, als ein aus Erdnüssen bestehendes Futtermittel für den Tod von fast 100.000 Zuchtputen verantwortlich gemacht wurde. Erst nach diesem Vorfall beschäftigte sich auch die Humanmedizin mit den Auswirkungen von Aflatoxinen auf den menschlichen Organismus.

Die daraufhin erstellten Studien brachten Erschreckendes zu Tage, denn bereits geringe Mengen Aflatoxine können zu gravierenden gesundheitlichen Störungen beitragen, da sie in die Zelle und sogar bis in den Zellkern vordringen können. Ein geschwächtes Immunsystem (mit allen möglichen Folgeerkrankungen), Wachstumsstörungen (Aflatoxine hemmen die Zellkernteilung) und vor allem Krebserkrankungen (Leber- und Dickdarmkrebs) können die Folge einer starken Aflatoxin-Belastung sein.
(Quelle: Bundesamt f. Verbraucherschutz, 2008; Adv. Exp. Med. Biolog.571)

Krank durch technologischen Fortschritt?

Der Preis für ein angenehmes Leben dank technologischen Fortschritts kann hoch sein – nämlich dann, wenn das Immunsystem eines Familienmitgliedes geschwächt ist und derjenige plötzlich krank wird. Krank aufgrund von keimverseuchter Wäsche aus der Waschmaschine und krank aufgrund von hitzeunempfindlichen Pilzen auf dem Geschirr, krank aufgrund von Super-Erregern im Kaffee und krank aufgrund von aus den Haushaltsgeräten verströmten Schimmelpilzen in der Zimmerluft. Darauf zumindest lässt ein Bericht der British Mycological Society schließen. „Immunisieren“ Sie sich!

Da wir jedoch nicht annähernd wissen, wie viele und welche Keime uns an welchen Örtlichkeiten bedrohen oder uns in naher Zukunft noch bedrohen werden, sollten wir uns ganz besonders auf Methoden konzentrieren, die uns selbst stark und – gegen welche Keime auch immer – immun machen können.
(Quelle: Fungal Biology 2013)

Weniger zuckerreiche Lebensmittel

verbessern offenbar die Überlebenschancen bei fortgeschrittenem Darmkrebs, so die Antwort einer Studie, veröffentlicht in der Fachzeitschrift „Journal of the National Cancer Institute“. Die Forscher werteten Daten von mehr als 1.000 Patienten mit Darmkrebs im Stadium III aus, deren Ernährungsgewohnheiten sechs Wochen nach Operation und Chemotherapie erfasst worden waren. Dabei waren vor allem Lebensmittel mit hohem Kohlenhydratanteil von Interesse. Mit einem erhöhten Risiko für einen Krankheitsrückfall waren vor allem übergewichtige oder fettleibige Patienten ermittelt worden. Möglicherweise können Patienten, insbesondere übergewichtige Personen, mit fortgeschrittenem Darmkrebs ihre Überlebenschancen durch eine Ernährungsumstellung und die Reduzierung von kohlenhydratreichen Lebensmitteln verbessern.
(Quelle: Zimmermann, W.: CRC Hyperinsulinämie und Tumorprogression/ Fokus Onkologie 2013, 16/3)

Soja bei Brustkrebs

In der Vergangenheit gab es unterschiedliche Ansichten zu der Frage, ob Frauen, die sich einer Brustkrebstherapie unterziehen, Sojaprodukte verzehren sollten oder nicht. Nun haben Wissenschaftler des American Institute for Cancer Research (AICR) aktuelle Erkenntnisse in der Literatur evaluiert und in ihrer Veröffentlichung „Soy is safe for breast cancer survivors“ zusammengefasst.

Sie sind zu dem Ergebnis gekommen, dass keine einzige Untersuchung beim Menschen nachgewiesen hat, dass Sojalebensmittel von Nachteil sind. Sojaprodukte sind völlig sicher und haben langfristig selbst eine schützende Wirkung für die Gesundheit, so Karen Collins von AICR. Diese Erkenntnis stimmt mit den Untersuchungen der britischen Forscher Pamela Magee und Ian Rowland vom November 2012 überein. Sie kommen zudem zu dem Ergebnis, dass der Konsum von Soja mit einer niedrigeren Sterberate und einer geringeren Rückfallrate bei Brustkrebspatientinnen in Zusammenhang gebracht werden kann.
(Quellen: AICR, Nov.2012, Issue 109; Current Opinion in Clinical Nutrition & Metabolic Care, Nov. 2012)

 

Kostenerstattung bei komplementären (Krebs-)Behandlungen

Anspruch und Wirklichkeit in der aktuellen Rechtsprechung

Dr. Frank Breitkreutz, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht, BBP Rechtsanwälte, Berlin

Mehr und mehr naturheilkundliche, komplementäre oder neuartige Therapieoptionen haben den Test durch die Grundlagenforschung bestanden und sich zu einer ernsthaften therapeutischen Option entwickelt. Mit zunehmender Verbreitung unter niedergelassenen Ärzten und Heilpraktikern ist auch die Frage der Kostenerstattung so genannter Neuland- oder Außenseitermethoden in das Bewusstsein von Behandlern, Patienten, Kostenträgern und – zwangsläufig – auch Gerichten gedrungen.

Dieser Beitrag gibt einen kurzen, allgemein gehaltenen Überblick über die Rechtslage für privat und gesetzlich Versicherte und die aktuelle Rechtsprechung. Weitere Beiträge zur Erstattung spezieller Therapien folgen.

Kostenerstattung in der Komplementärmedizin: Eine besondere Herausforderung

Grundsätzlich gilt, dass sich gerade bei den so genannten Neuland- bzw. Außenseitermethoden – trotz vieler positiver Gerichtsurteile – eine feste Meinung der Rechtsprechung für oder gegen die Erstattungspflicht noch nicht gebildet hat, ja oftmals auch gar nicht bilden kann.

Dies hat seine Ursache nicht zuletzt darin, dass auch unter den Wissenschaftlern oft keine einheitliche Auffassung zum therapeutischen Stellenwert der einzelnen Verfahren existiert:

Abhängig von der jeweiligen Behandlungsmethode, der Tumorentität, dem Krankheitsstadium und der Art der Anwendung reicht das Meinungsspektrum von „hochexperimentell“ über „unter Umständen sinnvoll“ bis hin zu „vierte Säule in der Krebstherapie“.

Erstattungsverfahren sind daher stets in jeder Hinsicht anspruchsvoll, denn ihr Schwerpunkt liegt nicht nur im rechtlichen Bereich sondern gerade auch im tatsächlichen – dem rein medizinischen – Bereich. Unerlässlich ist vor allem eine exakte, erstattungsrechtlich optimierte Aufbereitung der individuellen Krankengeschichte und der Datenlage zur durchgeführten Therapie.

Die Theorie

Die Rechtslage ist relativ klar: Während bei gesetzlich Versicherten eine Kostenübernahme nur im Einzelfall und unter bestimmten, fest definierten Voraussetzungen im Rahmen der außervertragsärztlichen Versorgung in Betracht kommt, haben private Krankenversicherungen die angefallenen Behandlungskosten bereits dann zu erstatten, wenn die jeweilige Therapie im Einzelfall als vertretbar angesehen werden durfte.

➜ Der Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst den „allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse“. Bestimmt wird dieser nach geltendem Recht durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA). Für fast alle komplementärmedizinischen Verfahren hat sich der GBA entweder überhaupt noch nicht zu einer Einführung in die vertragsärztliche Versorgung geäußert oder sogar einen Ausschluss empfohlen. Deshalb sind die meisten komplementären Behandlungsmethoden nicht Bestandteil des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenkassen.

➜ Eine Kostenerstattung ist deshalb nur im Rahmen der außervertragsärztlichen Versorgung möglich, die seit 2012 in § 2 Abs. 1a SGB V geregelt ist. Nach dieser Vorschrift, die auf die „Nikolaus“-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zurückgeht, hat die gesetzliche Krankenversicherung auch Kosten für (noch) nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethoden zu übernehmen, wenn eine lebensbedrohliche Erkrankung vorliegt, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht (mehr) zur Verfügung steht und wenn die begehrte Behandlung im Einzelfall eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bietet.

➜ Verfügt der Patient über eine private Krankheitskostenversicherung, ist seine rechtliche Position ungleich stärker: Ein Erstattungsanspruch besteht hier bereits dann, wenn die jeweilige Therapie aus Sicht eines objektiven Behandlers als vertretbar angesehen werden durfte. Bei unheilbaren Erkrankungen, insbesondere bei onkologischen Verläufen, ist es ausreichend, dass die Behandlung mit einer nicht nur ganz geringen Erfolgsaussicht (keinesfalls: mit überwiegender Wahrscheinlichkeit) das Erreichen des Behandlungsziels als möglich erscheinen lässt.

Die Handhabung in der Praxis

Die vorstehend skizzierten Anforderungen an die versicherungsrechtliche Leistungspflicht sind vor allem bei onkologischen Verläufen durchaus erfüllbar. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Nachweis des klinischen Effektes nicht – wie sonst regelmäßig im Medizin- und Heilmittelwerberecht – ausschließlich durch kontrollierte, prospektive universitäre Studien erbracht werden muss. Vielmehr begnügt sich die Rechtsprechung – zu Recht – in diesem besonders vitalen Bereich mit gewissen Wahrscheinlichkeiten, die durchaus auch durch Daten jenseits des „Goldstandards“ der evidenzbasierten Medizin belegt werden können. Gleichwohl bleibt eine einheitliche, rechtssichere Beurteilung von Erstattungsansprüchen vergleichsweise schwierig, und zwar im wesentlichen aus zwei Gründen:

➜ Die Leistungspflicht der Krankenkasse hängt stets sehr stark vom individuellen Krankheitsverlauf ab. Deshalb können gerichtliche Entscheidungen zu vergleichbaren Tumorerkrankungen nur bedingt nutzbar gemacht werden, was eine einheitliche Rechtsprechung verhindert.

➜ Die einschlägigen Gerichtsverfahren werden naturgemäß durch Sachverständige dominiert. Dies führt oft dazu, dass für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit wesentlich strengere Maßstäbe angelegt werden, als sie die höchstrichterliche Rechtsprechung verlangt.

Nur zu oft wird der gerichtlich bestellte Sachverständige – in der Regel ein lokaler Universitätsprofessor aus dem Bereich der Onkologie – in gewohnter „wissenschaftlicher“ Manier ausführen, für die begehrte Therapie gäbe es in der zu beurteilenden Situation keine „evidenzbasierte Empfehlung“, ebenso wie auch die Leitlinien die entsprechende Behandlung in der vorliegenden Situation nicht vorsähen.

Arbeitet das Gericht (und der jeweilige Anwalt) in einer solchen Situation nicht exakt und stellt klar heraus, dass für die Erstattungspflicht bereits eine nicht nur ganz entfernte Aussicht auf spürbar positive Einwirkung ausreicht, mithin eine „evidenzbasierte“ Empfehlung überhaupt keine Voraussetzung der Erstattung ist, kommt es durch das Sachverständigengutachten zu einer wesentlichen Verschärfung des anzulegenden Maßstabs.

Häufige Fehlerquellen bei Erstattungsanträgen

Die Beurteilung von Erstattungsansprüchen bleibt trotz vieler positiver Gerichtsurteile stets eine Einzelfallentscheidung, die stark von der Datenlage zur jeweiligen Therapie und vom individuellen Krankheitsverlauf des Patienten geprägt ist. Insgesamt sind die Erfolgsaussichten (zynischerweise) umso größer, je unvorteilhafter sich die gesundheitliche Situation für den Erkrankten darstellt. Auch werden Verfahren wesentlich häufiger gewonnen, wenn die jeweilige Therapie „adjuvant“, mithin zusätzlich zu einer Chemo- oder Strahlentherapie durchgeführt wird. Demgegenüber existieren nur wenige Urteile, die eine Erstattungspflicht von solchen komplementäronkologischen Verfahren statuieren, welche die klassische „schulmedizinische“ Therapie nicht nur ergänzen sondern vollständig ersetzen.

Stark vereinfacht wird daher eine Kostenerstattung vor allem in fortgeschrittenen Krankheitsstadien durchsetzbar sein, in denen die bekannten Standardmethoden (Operation, Zytostatika- und/oder Radiotherapie) den Verlauf nicht aufhalten konnten. Umgekehrt wird man bei einer ausschließlich naturheilkundlichen Therapie in einem sehr frühen Stadium – ohne Rückgriff auf „Stahl oder Strahl“ – vor allem für gesetzlich Versicherte eine Kostenerstattung allenfalls auf dem Kulanzwege erreichen können.

Entscheidend bleibt stets die für den Einzelfall optimierte Darstellung, dass Standardmethoden nur noch bedingt zur Verfügung stehen und dass die begehrte Therapie durchaus noch eine positive Auswirkung auf den Krankheitsverlauf bieten kann. Ein solcher positiver Einfluss kann auch in der Verbesserung der Lebensqualität liegen, beispielsweise aufgrund einer besseren Verträglichkeit der Chemo- oder Strahlentherapie.

In diesem Zusammenhang sei auf zwei Aspekte hingewiesen, an denen in der Praxis eine Vielzahl von Erstattungsklagen scheitert:

➜ Gesetzlich Versicherte müssen eine Kostenerstattung für Leistungen außerhalb des GKVKataloges zwingend vor Therapiebeginn bei der Krankenkasse beantragen. Im Idealfall sollte die Therapie nicht begonnen werden, bevor eine Entscheidung der Versicherung vorliegt. Unterbleibt ein vorheriger Antrag, kann dieses formelle Versäumnis den gesamten Erstattungsanspruch zu Fall bringen.

➜ Oftmals treten während der „schulmedizinischen“ Therapie Unverträglichkeiten auf, die nicht selten zum Abbruch der Behandlung führen. Hier sollte unbedingt auf eine möglichst exakte und ausführliche Dokumentation geachtet werden. Denn nach herrschender Rechtsprechung kann auch dann nicht mehr von dem Vorliegen weiterer Standardmethoden ausgegangen werden, wenn diese zwar theoretisch zur Verfügung stünden, im Einzelfall aber wegen schwerwiegender Nebenwirkungen nicht (weiter) angewendet werden können. Mit anderen Worten „eröffnen“ Unverträglichkeiten der Primärtherapie den Weg zur Erstattung komplementärmedizinischer Verfahren, was möglichst gerichtsfest dokumentiert werden sollte.

Zusammenfassung und Ausblick

Nach derzeitiger Sach- und Rechtslage dürfte sich die Leistungspflicht privater und gesetzlicher Krankenversicherungen – stark vereinfacht – auf die Behandlung inkurabler Erkrankungen beschränken, für welche Standardverfahren nur noch bedingt zur Verfügung stehen. Wenngleich in diesem Bereich nur geringe Anforderungen an die Erfolgsaussichten gestellt werden, muss im Einzelfall wenigstens die nicht ganz fernliegende Aussicht bestehen, zumindest das Voranschreiten der Erkrankung zu verlangsamen bzw. die Lebensqualität zu verbessern.

(Literatur beim Autor)

Weitere Informationen
Dr. Frank Breitkreutz, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht, BBP Rechtsanwälte, Mommsenstraße 11, 10629 Berlin

 

Jüngste Gerichtsurteile

Kein Anspruch auf Spitzenmedizin

Ein 74jähriger Mann, der an Prostatakrebs erkrankt war, ließ in den Niederlanden eine spezielle MRT-Diagnostik vornehmen, mit deren Hilfe selbst kleine Lymphknoten-Metastasen identifiziert werden. Nun hatte er geklagt. Er wollte die Kosten von 1.500 Euro von seiner Kasse ersetzt bekommen. Da diese Diagnostik nicht zum GKVLeistungskatalog gehört, wurde seine Klage vom Landesgericht Hessen abgewiesen.
(Quelle: Arzt & Wirtschaft 09/2013)

Hoffnung für Patienten mit Amyotropher Lateralsklerose (degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems)

Gesetzliche Krankenversicherung muss auch experimentelle Therapien erstatten.

In sehr verzweifelten therapeutischen Situationen haben gesetzlich Versicherte unter bestimmten Voraussetzungen auch auf solche Behandlungen einen Anspruch, die nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) enthalten sind, § 2 Abs. 1a SGB V.

Hierzu ist kürzlich eine erfreuliche Entscheidung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg ergangen (LSG), die Patienten mit Amyotropher Lateralsklerose (ALS) Hoffnung gibt. Bei dieser sehr seltenen, in kurzer Zeit tödlich verlaufenden Erkrankung des motorischen Nervensystems kann die aktuelle Standardtherapie im Einzelfall zwar eine Verlängerung des Gesamtüberlebens von wenigen Wochen bewirken, wird aber oftmals von den Patienten nicht vertragen.

Eine Patientin unterzog sich daher kürzlich im Rahmen eines individuellen Heilversuches einer neuartigen Injektionstherapie mit einer besonders aufbereiteten Lösung von Hitzeschockproteinen (HSP), die allerdings noch nicht für die ALS-Therapie zugelassen war.

Die beantragte Kostenerstattung wurde von der AOK mit der Begründung abgelehnt, es handele sich um eine experimentelle Therapie, die keine Erfolgsaussichten biete. Auf gerichtlichem Wege obsiegte die Patientin zweitinstanzlich.

Der einzige zugelassene Arzneistoff biete der Patientin auch bei optimistischer Betrachtung der Datenlage lediglich die Aussicht einer Lebensverlängerung von einigen Wochen und könne wegen der aufgetretenen Unverträglichkeitsreaktionen überdies nicht angewendet werden. Die HSP-Therapie hingegen biete ausweislich der Datenlage und des erstaunlichen Behandlungserfolges offenbar auch die nicht nur ganz geringe Aussicht auf einen dauerhaften Rückgang der Symptome. In einer solchen Situation, so das LSG, müsse zumindest eine vorläufige Entscheidung im Rahmen eines Eilverfahrens zu einer Verpflichtung der GKV führen. Denn es ist stets grundrechtswidrig, einen gesetzlich versicherten Patienten in einer Palliativsituation auf eine „nur“ lindernde Therapie zu verweisen, sofern im Einzelfall eine neue Behandlungsmethode die nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung bietet.
(Quelle: Landessozialgericht Baden-Württemberg vom 04. September 2013; nicht publiziert, erstritten von Dr. Frank Breitkreutz, BBP Rechtsanwälte)

Patientin nicht auf Screening hingewiesen

Ein Frauenarzt, der seiner 66jährigen Patientin bei den regelmäßigen Krebsvorsorgeuntersuchungen nicht geraten hatte, am Mammographie-Screening teilzunehmen, wurde vom Oberlandesgericht Hamm zu einem Schmerzengeld von 20.000 Euro verurteilt. Das Unterlassen des Hinweises wurde als grober Behandlungsfehler eingestuft.

Nachdem die Frau regelmäßig Krebsvorsorgeuntersuchungen bei ihrem Arzt machen ließ, der die Brust auch sonographierte, erfolgte 2001 die letzte Mammographie.

2010 riet der Arzt seiner Patientin, am Mammographie-Screening teilzunehmen. Bei dieser Untersuchung wurde Brustkrebs diagnostiziert. Es folgte das ganze therapeutische Programm. Die Patientin verklagte den Arzt. Hätte er ihr früher zur Mammographie geraten, wäre ihr viel Leid erspart geblieben und der Krebs hätte einfacher geheilt werden können – so ihre Argumente.
(Quelle: OLG Hamm, Urt. V. 12.08.2013)

 


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