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Aktuelle Gesundheits-Nachrichten

Brustkrebs – Diagnostik und Therapie heute

Moderne Bestrahlungstechniken

Sport und Bewegung bei Krebs

Vitamine und Mikronährstoffe

Medizinrecht – Aktuelle Urteile

Milch ist nicht gleich Milch

Krankheitserfahrungen

Aktuelles aus der Krebsmedizin

 

Kann ein Buch verändern?

Liebe Leserin, lieber Leser,

es ist nicht die Aufgabe unserer Zeitschrift, Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt vorzustellen, geschweige denn, sie zu rezensieren. Aber: es gibt ein Buch, über das wir informieren wollen. Denn dieses Buch ist mutig, analytisch, realistisch, es regt an und auf!

Prof. Dr. Karl Lauterbach hat sein Buch „Die Krebsindustrie“ (erschienen bei Rowohlt Berlin) herausgegeben. Gestatten Sie, dass ich aus dem Klappentext zitiere: „Karl Lauterbach, Mediziner und Politiker, deckt auf, was im Gesundheitssystem schief läuft: die ungerechte Zweiklassenmedizin gerade bei Krebs, die falschen finanziellen Anreize für die Kliniken und die Pharmaindustrie, mangelnde Transparenz, was Behandlungserfolge und -methoden betrifft… Vor allem aber zeigt Lauterbach, was geschehen muss, damit die Pharmaindustrie ihre Forschung mehr in den Dienst des Patienten statt nur des Profits stellt.“ Der SPIEGEL schreibt: „Er (Karl Lauterbach) ist gebildeter, ehrgeiziger, unabhängiger, eloquenter als fast alle seine Kollegen im Parlament – Karl Lauterbach ist eine der ungewöhnlichsten Figuren der jüngsten Parlamentsgeschichte. Er ist angetreten, die deutsche Politik zu verändern“.

Dass das nicht einfach sein wird, zeigen Ein- und Widersprüche vom Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller oder auch vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie. Eine Fortsetzung der Auseinandersetzung mit dem Buch wird hoffentlich stattfinden.

Wir hoffen, dass die so überraschend verständlich verfasste Beschreibung der Krankheit Krebs ein wenig zu neuem Denken und zu Veränderungen in der Gesellschaft führen wird. Vielleicht kann ein Buch wirklich zu Veränderungen beitragen.

Bleiben Sie neugierig, kritisch und offen.

Dagmar Moldenhauer, Redaktionsleiterin

 

Für Sie in dieser Ausgabe

IN EIGENER SACHE

  • Die palliative Chemotherapie – pro und contra

THEMA HEUTE: BRUSTKREBS

  • Brustkrebs – Diagnostik und Therapie heute

WISSEN

  • Moderne Bestrahlungstechniken – bessere Heilungschancen und weniger Nebenwirkungen?
  • Bewegung und Sport bei Krebs

IM BLICKPUNKT

  • Vitamine und andere Mikronährstoffe in der Krebstherapie – Worauf ist zu achten?

RAT & TAT

  • Medizinrecht – Aktuelle Urteile: Hypertermie-Erstattung
  • Milch ist nicht gleich Milch? Risiko- oder Schutzfaktor im Hinblick auf Krebserkrankungen

ERFAHRUNGEN

  • Krebs – ein Wort, das man im Zusammenhang mit der eigenen Person nicht auszusprechen vermag

AKTUELLES AUS DER KREBSMEDIZIN

 

Die palliative Chemotherapie – pro und contra

Dr. med. Andreas-Hans Wasylewski

Als palliative Chemotherapie bezeichnet man eine medizinische Behandlung, die nicht das Ziel hat zu heilen, sondern die Linderung der Symptome und eine Verlängerung der Lebensphase bewirken soll. Patienten, die eine palliative Chemotherapie erhalten, wissen erschreckend häufig nicht, dass es keine Heilungschancen mehr gibt.

Es wird geschätzt, dass fast jeder zweite Krebspatient mit Metastasen innerhalb der letzten vier Lebenswochen eine Chemotherapie erhält. Das Ergebnis: die Patienten, die eine palliative Chemotherapie erhalten, leben nicht länger als Patienten ohne diese Behandlung. Dies ist das Ergebnis einer Studie aus den USA, die Daten von 386 Patienten auswertete (Wright AA, BMJ 2014).

Schließlich starben wesentlich mehr Patienten mit Chemotherapie während des Aufenthaltes auf einer Intensivstation (11 versus 2 Prozent, ohne Chemotherapie) und weniger zu Hause (47 versus 66 Prozent). Insgesamt ging es den behandelten Patienten laut dieser Studie am Ende ihres Lebens deutlich schlechter als den Patienten ohne Chemotherapie. In der letzten Lebenswoche waren bei viel mehr Patienten mit einer Chemotherapie Reanimationsmaßnahmen, Beatmungen oder beides erforderlich (14 versus 2 Prozent). Außerdem erhöhte die Chemotherapie die Wahrscheinlichkeit, dass die Patienten auf der Intensivstation und nicht in der von ihnen bevorzugten, familiären Umgebung sterben.

Auch die letzte prospektive Studie (Prigerson HG, JAMA Oncology online 2015) bestätigt, dass die palliative Chemotherapie bei Krebspatienten mit Metastasen das Leben nicht verlängert. Auch in dieser Studie verschlechterte sich die Lebensqualität dieser Patientengruppe in der letzten Lebenswoche signifikant gegenüber der Patientengruppe, die keine palliative Chemotherapie erhalten hatte.

Dass eine Chemotherapie am Ende des Lebens eher schaden als nutzen kann, sollte uns Ärzte nachdenklich machen. Der alte hippokratische Grundsatz der Medizin primumnon nocere (zuerst nicht schaden), als Tradition des moralisch geförderten ärztlichen Handelns, gilt dann nicht mehr?

Der Wert dieser Arbeit hat große Bedeutung, weil die Autoren die gängige Praxis anklagen, Krebspatienten im Finalstadium routinemäßig Chemotherapie anzubieten. Deshalb ist es jetzt notwendig, dass die Ärzte bei der Aufklärung vor einer palliativen Chemotherapie die Prognose und Folgen der Therapie unmissverständlich klarmachen und sicher sind, dass der Patient alles verstanden hat.

Vielleicht lässt sich die Situation verbessern, wenn sich alle Beteiligten stärker als bisher an der Charta der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin e.V., des Deutschen Hospiz- und Palliativ-Verbandes und der Bundesärztekammer orientieren, in der es heißt:

"Jeder Mensch hat ein Recht auf ein Sterben unter würdigen Bedingungen. Er muss darauf vertrauen können, dass er in seiner letzten Lebensphase mit seinen Vorstellungen, Wünschen und Werten respektiert wird und dass Entscheidungen unter Achtung seines Willens getroffen werden.”

Ihr Dr. Wasylewski

 

„Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben. Bewahret sie. Sie sinkt mit euch, mit euch wird sie sich heben“ (Friedrich Schiller)

 

Brustkrebs – Diagnostik und Therapie heute

Prof. Dr. med. Jens-Uwe Blohmer, Direktor der Klinik für Gynäkologie, Leiter des Brustzentrums der Charité, Charité Universitätsmedizin Berlin, Campus Mitte

Dr. med. Nikola Bangemann, Oberärztin des Brustzentrums Charité Universitätsmedizin Berlin, Campus Mitte

Was ist Brustkrebs?
Epidemiologie: Häufigkeiten und Heilungsraten

Von Brustkrebs spricht man, wenn Krebszellen primär in der Brust entstanden sind. Der Tumor geht am häufigsten von den Milchgängen aus, seltener von den Milchdrüsen. In Einzelfällen können auch andere Gewebsanteile zu einer Brustkrebserkrankung führen. Bei der Diagnose handelt es sich in ca. 75% um infiltrierende Erkrankungen, in ca. 25% der Fälle um Vorstadien von Brustkrebs (DCIS).

Im Laufe ihres Lebens erkrankt jede achte Frau. Insgesamt werden ca. 70.000 Neuerkrankungen jährlich registriert. Es handelt sich um die häufigste Krebserkrankung der Frau. Aktuell wird eine zunehmende Häufigkeit ab dem 40. Lebensjahr festgestellt, das mittlere Erkrankungsalter liegt allerdings bei 64 Jahren. Eine gute Nachricht gibt es. Die Krankheit lässt sich immer besser behandeln, die Zahl der Sterbefälle sinkt seit Jahren: Zum einen, wegen der besseren Früherkennung, zum anderen wegen großer Fortschritte in der Therapie, die heute weit gezielter und weniger belastend ist, als noch vor 20 Jahren.

Abb. 1
Häufigste Krebsneuerkrankungen im Erfassungsgebiet des GKR (Werte sind Mittelwerte der Diagnosejahre 2006-2008)

Risikofaktoren und Prävention

Jede betroffene Frau stellt sich die Frage: „Warum ich?!“ Darauf kann man in den meisten Fällen keine Antwort geben. Grundsätzlich gibt es verschiedene Risiken, die einen vermeidbar, die anderen nicht vermeidbar:

Vermeidbare und beeinflussbare Risiken (nach A. Scharl, AGO Leitlinie)

  • Übergewicht – BMI > 25%, fettreiche und kohlenhydratreiche Ernährung
  • Alkoholkonsum (mehr als das Korrelat von einem Glas Wein täglich)
  • Nikotinabusus
  • Mangel an Bewegung (weniger als das Korrelat von 3–5 Spaziergängen/Woche)
  • Hormonbelastung: Sehr frühe und dauerhafte Einnahme der oralen Kontrazeptiva, frühzeitige Hormoneinnahme nach den Wechseljahren, länger als 5 Jahre

Unbeeinflussbare Risiken

  • Dichte der Brust (5x höheres Risiko)
  • Kinderlosigkeit
  • Erblicher Brustkrebs (5–10% aller Brustkrebsfälle)
  • Späte erste Schwangerschaft

Einige Faktoren, die nicht das Risiko erhöhen, am Brustkrebs zu erkranken

  • Brustimplantate
  • Fehlgeburten und Schwangerschaftsabbrüche
  • Schlecht sitzender BH
  • Deo mit Aluminiumzusatz
  • Grüner Tee

Früherkennung, allgemein und bei familiärem Risiko

Lange Zeit verstand man unter Früherkennung in erster Linie das Abtasten der Brust. Eine Mammographie/Sonographie wurde eigentlich nur bei einem verdächtigen Tastbefund durchgeführt. Dies war leider eine sehr unsichere Methode, so dass Brustkrebs oft erst im fortgeschrittenen Stadium erkannt wurde. Auch der Versuch, die Methodik mit speziell ausgebildeten (auch mit blinden) Untersuchern zu verfeinern, hat nicht zum Erfolg geführt.

Das liegt vor allem daran, dass Vorstadien von Brustkrebs und auch Frühformen von Brustkrebs häufig nicht tastbar sind und sich in der „Tiefe der Brust verbergen“.

In großen Studien konnte belegt werden, dass die Etablierung eines Mammographie-Screening besser zur Früherkennung geeignet ist. Bei der Auswertung von 2008–09 wurden 2/3 der Erkrankungen im Stadium I erkannt und waren somit mit höherer Wahrscheinlichkeit ohne verstümmelnde Operationen heilbar.

In Deutschland gibt es seit 2002 ein zentral organisiertes Screeningprogramm. Alle Frauen zwischen dem 50. und 69. Lebensjahr werden alle zwei Jahre über die Landeseinwohnerämter angeschrieben und zur Teilnahme an dem Mammographiescreening eingeladen. Ziel ist die Erkennung von Frühstadien bzw. die Erkennung bösartiger Veränderungen in einem sehr frühen Stadium (Tumor < 1cm). Vielen stellt sich die Frage, warum jüngere Frauen nicht eingeladen werden: Das hat zwei Gründe: Zum einen erkranken jüngere Frauen seltener, so dass der Anteil letztlich sinnloser Strahlenbelastung relativ zunimmt. Zum anderen ist die Brustdrüse jüngerer Frauen aber auch wesentlich dichter. Je dichter die Brust, desto schlechter ist die Aussagekraft der alleinigen Mammographie.

Wie sieht die Vorsorge bei jungen Frauen mit familiärem Brustkrebsrisiko aus?

Sofern in einer Familie gehäuft Brust- und/oder Eierstockkrebs aufgetreten ist, kann in einem der Zentren für familiären Brust und Eierstockkrebs (16 Zentren in Deutschland: www.krebshilfe.de/wir-helfen/adressen/familiaerer-krebs/brustzentren oder www.brca-netzwerk.de) eine Beratung und ggf. auch eine Testung auf genetische Veränderungen (z.B. BRCA1-3-, RAD 51c-, PALBB2-Mutationen) erfolgen.

Anamnestische Kriterien für erblichen Brustkrebs (bezogen auf jeweils eine Familienlinie):

  • Wenigstens 3 Brustkrebserkrankungen
  • Zwei Brustkrebsfälle, einmal vor dem 50. Lebensjahr
  • Familienmitglied sowohl an Brust- als auch Eierstockkrebs erkrankt
  • Auftreten von Brustkrebs und Eierstockkrebs in der Familienlinie
  • Auftreten von zwei Fällen mit Eierstockkrebs
  • Brustkrebs vor dem 35. Lebensjahr
  • Mindestens zwei Fälle von Brustkrebs, in einem Fall bei einem Mann aufgetreten.

Im Falle eines nachweislich erhöhten Krankheitsrisikos können betroffene Familienmitglieder an intensivierten Vorsorgemaßnahmen, frühestens ab dem 25. Lebensjahr teilnehmen.

Im Falle einer Mutation erhalten die Frauen z.B. bis zum 55. Lebensjahr jährliche MRT Untersuchungen und Ultraschallkontrollen der Brust, ab dem 40. Lebensjahr auch ergänzend jährliche Mammographien.

Mit Hilfe dieser Maßnahmen lässt sich Brustkrebs früher entdecken, natürlich aber nicht verhindern. Sofern eine Mutation nachgewiesen wurde, liegt die Wahrscheinlichkeit, bis zum 70. Lebensjahr an Brustkrebs zu erkranken, zwischen 45 und 75%. Auch das Risiko, an Eierstockkrebs zu erkranken, ist erheblich höher als bei Frauen ohne Mutationen. Entsprechend werden die Patientinnen auch hinsichtlich prophylaktischer Operationen beraten. Diese können eine Entfernung der Brustdrüsen und ab dem 40. Lebensjahr. (bzw. 5 Jahre vor Ersterkrankung in der Familie) auch eine Entfernung der Eierstöcke und Eileiter beinhalten.

Alle Frauen werden eingehend über mögliche Rekonstruktionen der Brust beraten. Die Kosten tragen in den meisten Fällen die Krankenkassen.

Diagnostik Brustkrebs

Brustkrebs kann sich zum Beispiel durch Verhärtungen in der Brust, durch Schwellung der Brust, durch Einziehungen der Brustwarze, selten durch blutige Sekretion aus der Brustwarze oder durch Schwellung und gerötete Veränderung der Haut (Apfelsinenhaut) bemerkbar machen, manchmal auch durch Schwellungen der Lymphdrüsen im Bereich der Achsel. Ein Tastbefund wird mittels Mammographie und Mammasonographie untersucht.

   

Bringen diese Untersuchungen nicht genügend Klarheit, kann sich eine MRT Untersuchung, in bestimmten Zentren auch eine Tomosynthese („3D Mammographie“) oder ein 3D Ultraschall mit Elastographie zur weiteren Befunddifferenzierung anschließen. Manchmal wird minimal-invasiv direkt in die Brustgänge geschaut. Diese Untersuchung nennt sich Duktoskopie.

In jedem Fall ist eine Gewebeuntersuchung notwendig, um sicherzustellen, was hinter einem Tastbefund oder einer Auffälligkeit in der Bildgebung steckt. Das dazu erforderliche Gewebe wird meistens mit einer Hohlnadel aus dem fraglichen Brustareal entnommen. Meist ist es möglich, diese mit Hilfe des Ultraschalls zu platzieren, im Falle von suspektem Mikrokalk kommt die Vakuumstanzbiopsie unter Mammographiekontrolle zum Einsatz. Ganz selten lässt sich das auffällige Gewebe nur durch MRT erfassen. In bestimmten Zentren können dann Probeentnahmen unter MRT-Kontrollen veranlasst werden.

Therapie: Systemtherapie, Operation und Bestrahlung

Brustkrebs wird in 99% der Fälle operiert. Was weniger bekannt ist: Allen Frauen wird ebenfalls zu einer medikamentösen Behandlung geraten.

Anders als früher geht man heute davon aus, dass der Brustkrebs zwar zunächst in der Brust entsteht aber danach schnell in den ganzen Körper gestreut wird, also eine Systemerkrankung ist.

Später wachsen diese gestreuten Brustkrebszellen, werden im Röntgen, im CT oder MRT erkannt und dann als Metastasen bezeichnet. Damit muss Brustkrebs früh, also vor erkennbaren Metastasen mit Medikamenten behandelt werden, die im gesamten Körper, also systemisch wirken.

Individuell wird entschieden, ob die Medikamente im Sinne der adjuvanten („ergänzend helfenden“) Therapie nach der Operation gegeben werden oder ob der Behandlungsbeginn vor der Operation (neoadjuvant) sinnvoller ist. Die neoadjuvante medikamentöse Therapie kann mehrere Vorteile haben:

  • Der Tumor wird vor der Operation verkleinert. Danach ist die Operation weniger radikal.
  • Das Ansprechen der Therapie kann bei noch vorhandenem Tumor gut beurteilt werden. Die Wirkung des Medikamentes auf den erkennbaren Tumor lässt Rückschlüsse auf die Wirksamkeit auf gestreute Tumorzellen zu.
  • Die Operation kann mit mehr Zeit geplant werden.
  • Bei jungen Patientinnen kann vor Planung der Operation ein genetischer Test auf familiären Brustkrebs erfolgen.
  • Neue Substanzen können sehr schnell auf ihre Wirksamkeit überprüft werden (Forschung).
  • Gerade bei jungen Frauen mit sicherer Indikation zur Chemotherapie/Immuntherapie scheint die frühzeitige Systemtherapie die Prognose zu verbessern.

Die Art der Systemtherapie hängt nicht vom Zeitpunkt des Therapiebeginns, sondern von den Tumoreigenschaften ab:

  • Wie ausgedehnt ist der Tumor? Sind mehrere Lymphknoten befallen?
  • Ist der Tumor unabhängig von den weiblichen Geschlechtshormonen gewachsen?
  • Wächst er abhängig von einem bestimmten Merkmal, dem HER2 (humaner epithelialer Wachstumsfaktor Rezeptor 2)
  • Wie schnell wächst er?
  • Wächst er abhängig von den weiblichen Hormonen?
  • Als Zusatzinformation möglich: Tumorgenetische Tests wie Endopredict, Oncotype DX oder PAM50: Wie hoch ist das verbleibende Rezidivrisiko unter alleiniger antihormoneller Therapie?

Unabhängig von den Tumoreigenschaften muss der Arzt sich vor jeder Therapieplanung ein Bild von der individuellen Situation der Patientin machen.

  • Wie ist der Allgemeinzustand der Betroffenen, wie ist das biologische Alter einzuschätzen?
  • Bestehen weitere Krankheiten, z.B. Diabetes, Neuropathie, Herzinsuffizienz, Bluthochdruck?
  • Hatte die Patientin bereits eine Krebserkrankung? Ist sie in der Vergangenheit schon mit Chemotherapie, Bestrahlung oder operativ behandelt worden?
  • Besteht der Verdacht auf erblichen Brustkrebs oder wurde dieser bereits nachgewiesen?
  • Besteht der Verdacht auf Absiedlungen der Erkrankung oder wurden bereits Metastasen nachgewiesen?
  • Wie ist ihre psychische/psychiatrische Verfassung?
  • Wird die Patientin in der Familie/Freundeskreis gut unterstützt oder benötigt sie psychoonkologische Hilfe?
  • Hat sie kleine Kinder? Besteht Kinderwunsch?
  • Und ganz wichtig: Wie steht die Patientin zu einer Chemotherapie?

Für die Systemtherapie steht grundsätzlich eine ganze Palette von Substanzen zur Verfügung:

  1. Zytostatische Medikamente (bekannt als Chemotherapie)
  2. Zielgerichtete „Target“-Therapien (z.B. Trastuzumab, Pertuzumab, TDM-1, im weiteren Sinne auch Lapatinib, Everolimus, Palbociclib und Bevacizumab sowie Olaparib)
  3. Antihormonelle Therapien
  4. Perspektivisch: Verbesserung der Immunstimulation z.B. durch Checkpointmodulatoren (Pembrolizumab)

Eine Chemotherapie kommt in jedem Fall zum Einsatz, wenn der Tumor unabhängig von den weiblichen Geschlechtshormonen gewachsen ist (ca. 15% aller Brustkrebsfälle). Sie wird in Intervallen von 1 bis 3 Wochen über eine Dauer von 16 bis 24 Wochen verabreicht.

Im Falle einer HER2 Überexpression (bei 20–25% Mammakarzinome nachweisbar) wird die Chemotherapie mit einer Antikörpertherapie gegen HER2 gekoppelt. Als Standard gilt der Einsatz von Trastuzumab (Herceptin®) über 52 Wochen. Diese Substanz wurde 1996 in Studien geprüft und ist seit 2000 in Deutschland zugelassen. Seither hat sich die Prognose für Patientinnen, deren Tumor das Merkmal HER2 aufweist, entscheidend verbessert.

Aktuell mehren sich die Hinweise, dass eine doppelte HER2 Blockade, z.B. mit zwei verschiedenen Antikörpern (Trastuzumab+Pertuzumab) oder einer Antikörper/Thyrosinkinaseinhibitorkombination (Lapatinib) den langfristigen Therapieerfolg zusammen mit einer geeigneten Chemotherapie noch verbessern kann.

Mit TDM1 ist die Entwicklung eines ganz besonders interessanten Medikaments gelungen: An Trastuzumab wurde eine Chemotherapie (Emtasine) gekoppelt. Der Antikörper bringt diese dann wie ein trojanisches Pferd in die HER2 tragenden Zellen. Da HER2 im Wesentlichen an Tumorzellen, nicht aber an gesunden Zellen vorkommt, sind Nebenwirkungen deutlich geringer ausgeprägt, als unter üblichen Chemotherapien. Gleichzeitig ist das „Trojanische Pferd“ in Studien auch dann wirksam gewesen, wenn andere Therapien versagten. Absolute Voraussetzung: Der Nachweis von HER2 an dem überwiegenden Teil der Tumorzellen. Zugelassen ist TDM1 bisher bei fortgeschrittenem Brustkrebs, wird im Rahmen von Studien (ADAPT) aber auch bereits vor der Operation gegeben. Für Frauen, bei denen eine BRCA Mutation nachgewiesen wurde (genetisch defekter Hauptreparaturmechanismus der Zellen), wird aktuell ein so genannter PARP-Inhibitor geprüft. Diese Substanz beeinträchtigt die „Ersatzreparaturmechanismen“ der Zellen. Trifft diese Blockade auf Zellen mit fehlender Hauptreparatur, so sterben diese im Sinne der synthetischen Letalität ab. Bei Frauen ohne gestörten Hauptreparaturmechanismus hat der Wirkstoff keinen Nutzen.

Neuentwicklungen sind Zellzyklusmodulatoren wie Palbociclib und Immunstimmulatoren (Checkpointmodulator) wie Pembrolizumab. Beide Substanzen zeigen in Studien sehr viel versprechende Ergebnisse, sind aber noch nicht allgemein zugelassen. Der Standard im Falle einer Hormonrezeptorexpression (>70% aller Frauen mit Brustkrebs weisen diese Abhängigkeit des Tumorzellwachstums von weiblichen Geschlechtshormonen auf) ist die Antihormontherapie. Zum Einsatz kommen SERMS (selektive Estrogenrezeptormodulatoren) wie Tamoxifen, außerdem Aromatasehemmer (blockieren die Bildung von weiblichen Hormonen) und Maßnahmen zur Unterdrückung der Eierstockfunktion (medikamentös oder operativ).

Vor den Wechseljahren erhalten die Frauen Tamoxifen, ggf. auch kombiniert mit der Unterdrückung der Eierstockfunktion. In Studien mehren sich die Hinweise, dass bei sehr jungen Frauen (< 35 LJ) die Kombination von Aromatasehemmern mit der Ausschaltung der Eierstöcke besonders wirksam sein soll. Leider wird die bessere Wirksamkeit mit ausgeprägten Nebenwirkungen erkauft.

Bei jeder Patientin müssen Nutzen und Nebenwirkungen entsprechend sehr sorgfältig abgewogen werden.

Grundsätzlich sollten die Frauen die antihormonelle Therapie wenigstens fünf Jahre einnehmen. Unter Berücksichtigung der Nebenwirkungen wird entschieden, ob während der ganzen Zeit nur ein Präparat eingesetzt wird oder ob nach 2–5 Jahren der Wechsel (Switch) auf ein weiteres erfolgt. Je größer das Rezidivrisiko individuell ist, desto eher wird zu einer längeren antihormonellen Therapie geraten. Die Einnahme von Tamoxifen für 5 Jahre reduziert das relative Rezidivrisiko z.B. um 33%, die Einnahme für 10 Jahre kann das relative Risiko in 15 Jahren um 50% senken. Bei fortgeschrittenem Brustkrebs können mit sehr gutem Erfolg auch Rezeptordownregulatoren (Fulvestrant) zum Einsatz kommen. Mit Everolimus steht eine weitere Substanz zur Verfügung, die sekundäre Resistenzen gegen antihormonelle Therapien wirkungsvoll aufheben kann.

In der Schwangerschaft können die Frauen ebenfalls gegen Brustkrebs behandelt werden. Die Operation erfolgt nach den gleichen Gesichtspunkten, wie außerhalb der Schwangerschaft. Nach Abschluss der 14. Schwangerschaftswoche sind die Plazentabarriere und die Bluthirnschranke des Kindes gut ausgebildet, so dass auch eine adäquate medikamentöse Therapie möglich wird.

Übliche Chemotherapien wie Epirubicin, Cyclophosphamid und die Taxane können appliziert werden, ohne dass die Entwicklung des Kindes in Beobachtungsstudien nennenswert beeinträchtigt wurde. Allerdings fehlt es an Daten, um die Langzeitentwicklung der Kinder abschließend beurteilen zu können. Medikamente wie Trastuzumab könnten dagegen die fetale Entwicklung beeinträchtigen, auch antihormonelle Therapien können in der Schwangerschaft nicht gegeben werden.

Dennoch besteht Einigkeit, dass Brustkrebs in der Schwangerschaft so optimal behandelt werden kann, dass die Schwangerschaft keine Verschlechterung der Prognose darstellen muss, ein Abbruch entsprechend nicht notwendig ist.

Lokale Therapie von Brustkrebs

Unter lokaler Therapie versteht man die Operation und die Bestrahlung. Die Art der Operation hängt ab von verschiedenen Eigenschaften des Tumors und der individuellen Situation der Patientin. 70–80% aller Patientinnen können heute Brust erhaltend operiert werden. Fester Bestandteil der Brusterhaltung ist die Bestrahlung: Die Kombination beider Maßnahmen ist bei richtiger Indikation genauso sicher wie die radikale Brustentfernung.

Unter bestimmten Voraussetzungen ist die Brustentfernung notwendig:

  • Bei entzündlichem Brustkrebs (inflammatorisches Mammakarzinom)
  • Bei multizentrischem Krebs in mehreren Quadranten der Brust
  • Im Falle einer ungünstigen Relation von Brust- und Tumorgröße
  • Bei Kontraindikationen gegen eine Bestrahlung

Abb. Can J Plast Surg, 2012, 20 (2):75

Eventuell ist es möglich, zumindest die Haut zu belassen, was die Rekonstruktion der Brust erleichtern kann. (Subcutane Mastektomie, ggf. auch unter Erhalt des Brustwarzenkomplexes). Im Falle einer Brustentfernung wird mit jeder Frau ausführlich über die Möglichkeit eines sofortigen oder mehrstufigen Brustaufbaus gesprochen. Die Rekonstruktion kann zum Beispiel mit Silikonimplantaten erfolgen. Sofern ein Hauterhalt möglich war, kann der Aufbau gleichzeitig mit Entfernung der Drüse geplant werden. Das Implantat wird dann unter den teilweise abgelösten Brustmuskel gelegt, der untere Pol des Implantats zusätzlich mit Netz oder einer s.g. azellulären Matrix abgedeckt.

Nach radikaler Entfernung der Brust können ebenfalls Silikonprothesen zum Einsatz kommen, allerdings muss die Rekonstruktion dann immer in mehreren Operationsschritten durchgeführt werden.

Eine weitere Rekonstruktionsoption besteht in der Verwendung von Eigengewebe: Dieses kann z.B. vom Bauch oder vom Po gewonnen werden und wird heute in der Regel mikrochirurgisch an die Gefäßversorgung im Bereich der Brust angeschlossen. In mehreren Gesprächen mit ihren Operateuren wird die Patientin herausfinden, welche Methode für sie am besten geeignet ist.

Bitte lesen Sie dazu auch den Beitrag von Dr. med. Uwe von Fritschen in unserer Ausgabe Nr. 11 (2013) zum Thema „Brustrekonstruktion nach MammaCa – welche Möglichkeiten haben wir heute?“ (Die Redaktion)

Lymphknotenentfernung

Zur sicheren Beurteilung der Ausdehnung des Tumors wird der erste Lymphknoten der Brustabstrombahn (Sentinel = Wächterlymphknoten) aus der Achsel entnommen. Der Eingriff kann vor oder während der eigentlichen Brustoperation erfolgen. Zuvor wird der Lymphknoten mit Hilfe einer radioaktiven Substanz (Technetium 99) markiert, manchmal auch mit einer Farblösung. In seltenen Fällen muss bei Befall eines oder mehrerer „Wächter“ die Entfernung weiterer betroffener Lymphknoten angeschlossen werden. Aktuell wird in Studien untersucht, ob es in Zukunft Alternativen zum beschriebenen Vorgehen geben könnte, z.B. die bildgesteuerte Stanzbiopsie des anreichernden Lymphknotens.

Bestrahlung

Die Bestrahlung ist fester Bestandteil der brusterhaltenden Operation. Das relative Risiko, ein Lokalrezidiv zu erleiden, kann um 50% reduziert werden. Die Bestrahlung beinhaltet eine extra Bestrahlung der ehemaligen Tumorregion (Boost im Bereich des Tumorbettes) und die Bestrahlung der gesamten Brust mit etwas geringerer Dosis. Seit einiger Zeit kann die Stahlentherapie auch „hypofraktioniert“, mit höherer Dosis pro Applikation, erfolgen. Die Gesamtbestrahlungszeit wird dadurch auf etwa 3 Wochen verkürzt.

In Fällen mit geringem Rezidivrisiko und Fehlen einer DCIS Komponente ist eine intraoperative Bestrahlung nur des Tumorbettes möglich:

Schritt 1
Die Position des Tumors wird ermittelt

Schritt 2
Der Tumor wird operativ entfernt

Schritt 3
Der Strahlenapplikator wird in der Brust in der Tumorhöhle platziert. Die Bestrahlung dauert 30 min.

Schritt 4
Der Applikator wird entfernt und die Wunde geschlossen

Nach Brustentfernung kann die Bestrahlung gelegentlich ebenfalls zur Reduktion des Lokalrezidivrisikos indiziert sein, z.B. bei Befall mehrerer Lymphknoten, bei Vorliegen eines inflammatorischen Mammakarzinoms und bei Befall der Haut.

Bitte lesen Sie zu diesem Thema auch den folgenden Beitrag von Dr. Lutz Moser, Chefarzt und Ärztlicher Leiter der Strahlentherapie am HELIOS Klinikum. Die Redaktion

Rehabilitation und Nachsorge nach Brustkrebs

Nach Abschluss der Therapie beginnt die Nachsorge: Innerhalb der folgenden fünf Jahre sollte sich die Patientin alle drei Monate bei dem nachsorgenden Arzt zur Verlaufskontrolle vorstellen, außerdem werden ihr in den ersten drei Jahren halbjährlich bildgebende Kontrollen mittels Ultraschall und/oder Mammographie angeboten. Anschließend werden zeitlebens jährliche Mammographiekontrollen angeraten. Weitergehende bildgebende Untersuchungen, z.B. Knochenszintigraphie, Oberbauchsonographien, Röntgenaufnahmen der Lunge oder auch Computertomographien sind nur erforderlich, wenn die Patientin neu aufgetretene, unklare Beschwerden beschreibt.

Die Ziele der Nachsorge stellen sich so dar:

  • Lokalrezidive im heilbaren Stadium erkennen
  • Therapiebedingte Beschwerden erkennen und lindern (z.B. Lymphödem, Osteoporose, Knochen- und Gelenkschmerzen, Depression)
  • Verordnung von Heilmitteln oder physikalischer Therapie bei Bedarf
  • Psychoonkologische und soziale Unterstützung
  • Erörterung von präventiven und gesundheitsfördernden Maßnahmen (Ernährungsumstellung, Substitution von Vitamin D3, körperliche Aktivität, Akupunktur, ggf. naturheilkundliche Beratung ...)
  • Bei Beschwerden ggf. weitergehende Untersuchungen zur Abklärung veranlassen und ggf. die Behandlung von Metastasen in die Wege leiten
  • Anschlussheilbehandlungen/Kurmaßnahmen vermitteln.

(Literatur bei den Autoren)

Weitere Informationen:
http://frauenklinik.charite.de/behandlung/brustkrebs
Korrepondierende Autorin: Dr. Nikola Bangemann
Oberärztin des Brustzentrums Leitung der Abteilung für medikamentöse Tumortherapie und
des senologischen Studienzentrums Charité Berlin, Campus Mitte

 

Aktuelles aus der Krebsmedizin

Brustkrebs

Fettansatz am Bauch - schlecht für die Brust. Das Brustkrebsrisiko steigt, wenn sich im Bauchbereich viel Fett anlagert. Auf die Figur zu achten, lohnt nicht nur wegen des Äußeren, sondern auch in Hinsicht auf die Gesundheit: Immer wieder bestätigen sich Befunde, dass starkes Übergewicht und viel Fettbildung vor allem im Bauchbereich mit einem erhöhten Risiko für Brustkrebs einhergehen. In diese Befunde reihen sich die Ergebnisse einer aktuellen Studie in der Fachzeitschrift Cancer. An der Studie hatten fast 51.000 Frauen zwischen 35 und 74 Jahren teilgenommen. Ein Einschlusskriterium war, dass die Teilnehmerinnen eine Schwester haben mussten, die zuvor an Brustkrebs erkrankt war. Zu Beginn der Untersuchung wurden die Studienteilnehmerinnen hinsichtlich Größe, Gewicht, Taillen- und Hüftumfang vermessen, zudem gab es einen Fragebogen beispielsweise zur Einnahme von Hormonen gegen Wechseljahresbeschwerden.

Im Laufe der durchschnittlich fünfeinhalbjährigen Beobachtungszeit erkrankten fast 3.000 Teilnehmerinnen an Brustkrebs. Ein erhöhtes Körpergewicht, ein hoher Body Mass Index (BMI), ein starker Taillenumfang und ein größerer Taille-Hüft-Quotient waren mit einem erhöhten Risiko für Brustkrebs verbunden. Dies galt im besonderen Maße für Frauen nach der Menopause, Frauen mit hormonempfindlichen Tumoren und Frauen, die gegenwärtig keine Hormone gegen Wechseljahresbeschwerden einnahmen. Ein rechnerisches Modell, das den BMI berücksichtigte, bestätigte schließlich einen Zusammenhang von Taillenumfang und Brustkrebsrisiko bei Frauen vor und nach den Wechseljahren.
(Quelle: White, A. J. et al.: Overall and central adiposity and breast cancer risk in the sister study. Cancer, Onlinevorabveröffentlichung am 20. Juli 2015, DOI: 10.1002/cncr.29552)

Gebärmutterhalskrebs

Die „Pille“ schützt lang anhaltend vor Gebärmutterkrebs. Wissenschaftler berechneten, wie viele Fälle von Gebärmutterkrebs in den letzten Jahrzehnten durch die Einnahme von Kontrazeptiva verhindert wurden. Auch nach dem Absetzen hält der Schutzeffekt noch lange an. Nebenwirkungen von medikamentösen Therapien müssen nicht immer nur unerwünschter Natur sein – mitunter entpuppen sich Wirkstoffe bei langjähriger Einnahme auch als Schutz vor Krankheiten, auf die man es ursprünglich gar nicht abgezielt hatte. So kamen Wissenschaftler jetzt nach eingehenden Berechnungen zu dem Schluss, dass in den westlichen Industrieländern seit der Einführung der „Antibaby-Pille“ in den letzten 50 Jahren vermutlich rund 400.000 Fälle von Gebärmutterkrebs bei Frauen vor dem 75. Lebensjahr verhindert wurden – die Hälfte davon allein im letzten Jahrzehnt. Der Bericht zur Studie erschien kürzlich in der Fachzeitschrift The Lancet Oncology.
(Quelle: Collaborative Group on Epidemiological Studies on Endometrial Cancer: Endometrial cancer and oral contraceptives: an individual participant meta-analysis of 27 276 women with endometrial cancer from 36 epidemiological studies. The Lancet Oncology, Onlinevorabveröffentlichung am 4. August 2015, DOI: http://dx.doi.org/10.1016/S1470-2045(15)00212-0)

 

Moderne Bestrahlungstechniken – Bessere Heilungschancen und weniger Nebenwirkungen?

Dr. med. Lutz Moser, Chefarzt, Strahlentherapie Medizinisches Versorgungszentrum, HELIOS Klinikum Emil von Behring, Berlin

Die Behandlung von Tumorerkrankungen wird zunehmend komplexer. Entscheidend ist die spezifische Tumorbiologie und -situation, die zur Festlegung einer Behandlung durch eine Operation, Bestrahlung oder eine medikamentöse Therapie (Chemotherapie, Antikörper- und Immuntherapie) führt. Häufig und zunehmend werden die Methoden aber kombiniert, um die Heilungserfolge weiter zu verbessern. Therapieerfolg, Verträglichkeit und Lebensqualität dürfen sich in der Tumortherapie nicht gegenseitig ausschließen.

Die technischen und medikamentösen Entwicklungen der letzten Jahre wurden nicht nur genutzt, um die Erfolgsraten der Therapie immer weiter zu verbessern. Auch strebt man an, Begleiterscheinungen und Nebenwirkungen während der Therapie möglichst zu reduzieren. Therapiestudien legen mittlerweile einen großen Schwerpunkt auf die Erfassung und Verbesserung der Lebensqualität von Patienten. Das gilt sowohl für die Zeit während der Therapie, als auch in den Jahren danach. Diese Ergebnisse werden dann in die tägliche Routine übernommen.

Die Strahlentherapie ist ein unverzichtbarer Bestandteil der modernen Krebstherapie

Ziel einer Strahlentherapie ist es, direkt Krebszellen in einem Tumor, in befallenen Lymphknoten oder verstreut in der unmittelbaren Umgebung so zu schädigen, dass sie absterben und vom körpereigenen Abwehrsystem abgebaut werden können. Dies erreicht man durch eine gezielte Ausrichtung hochenergetischer Strahlung. Technisch erfolgt die Bestrahlung zumeist durch eine gezielte Photonen-Bestrahlung mit Linearbeschleunigern. Das sind Geräte, in denen zunächst linear Elektronen durch Magnetfelder auf eine hohe Energie beschleunigt werden und dann Photonen erzeugen. Das Gerät rotiert dabei langsam um den liegenden Patienten, so dass aus allen erdenklichen Richtungen auf die Tumoren bestrahlt werden kann. Eine einzelne Bestrahlungssitzung dauert täglich nur wenige Sekunden oder Minuten. Komplette Bestrahlungsserien setzen sich dann aus mehreren Sitzungen über einige Wochen zusammen.

Abb. 1 Modernes Bestrahlungsgerät (Linearbeschleuniger)

Frauen mit Brustkrebs profitieren sehr von den neusten technischen Entwicklungen der Strahlentherapie. Die Therapie von Brustkrebs besteht oft in einer Behandlungsfolge aus Operation, Chemotherapie, Strahlentherapie und Hormontherapie. Die genaue und individuelle Therapiesequenz basiert dabei auf der spezifischen Tumorbiologie und Tumorausdehnung.

Nach einer brusterhaltenden Operation senkt eine nachfolgende Bestrahlung der Brust das Risiko eines Wiederauftreten des Tumors in der operierten Brust. Die Bestrahlung dient so zur weiteren Verbesserung der Heilungsrate.

Wird nach der Operation eine Chemotherapie empfohlen, schließt sich die Strahlentherapie an die Chemotherapie an. Standard ist hierbei eine Bestrahlung der Brust über 5 Wochen mit anschließender Fokussierung auf den ehemaligen Tumorsitz („Boost“) über weitere 1½ Wochen.

Entwicklungen in der Strahlentherapie von Brustkrebs sind zum einen technischer Natur, zum anderen werden aber auch die Dosierung und Dauer der Bestrahlungsserien untersucht und optimiert.

Durch die zunehmende Rechnerleistung moderner Computer ist es möglich, eine genaue dreidimensionale Bestrahlungsplanung individuell für jeden Patienten zu berechnen und diese durch die modernen Bestrahlungstechniken auch täglich genau durchzuführen. Dadurch wurde es möglich, Bereiche mit leichten Über- und Unterdosierungen zu vermeiden und damit die Ausprägung der Hautrötung, als die häufigste Nebenwirkung bei der Bestrahlung, zu reduzieren. Eine wünschenswert homogene Dosisverteilung ermöglicht zum Beispiel die intensitätsmodulierte Bestrahlungstechnik (IMRT), eine Bestrahlungstechnik, die kleinste Bereiche im zu bestrahlenden Volumen unterschiedlich stark bestrahlt. Damit werden Unter- und Überdosierungen vermieden.

Diese Technik ermöglicht auch die Integration der lokalen Dosisaufsättigung schon während der ersten Bestrahlungsserie, bei der bisher nur zunächst die gesamte Brust bestrahlt wurde. Der wesentliche Vorteil dieser „Simultanen-Boost-Technik“ (SIB) ist eine Verkürzung der Gesamtbehandlungszeit um 1½ Wochen.

Besondere Rücksicht wird bei der Bestrahlung auf die Schonung von Herz und Lunge gelegt.

Eine zu hohe Strahlenbelastung führt hier nur sehr selten zu Beschwerden während der Behandlung. Problematisch können aber spätere Veränderungen sein, die durch eine chronische Gewebeschädigung der Bestrahlung verursacht werden. So wird eine Minimierung des bestrahlten Lungenvolumens angestrebt und eine wenn möglich komplette Schonung des Herzen. Das Risiko, Jahrzehnte nach einer Bestrahlung einen Herzinfarkt zu bekommen, wäre nach einer teilweisen Mitbestrahlung des Herzen leicht erhöht.

Vermeiden lässt sich dies, insbesondere bei linksseitigem Tumorsitz, durch eine atemgesteuerte Bestrahlung („Respiratory Gating“). Dabei erfolgt die Bestrahlung nur in tiefer Einatmung, exakt in der Lage, in der das Herz die größte Entfernung zur Brustwand hat. Ein versehentliches Ausatmen oder Husten unterbricht automatisch die Bestrahlung, so dass eine sichere und korrekte Bestrahlung mit Schonung des Herzens gewährleistet wird. Über einen kleinen Bildschirm ermöglichen wir dabei der Patientin über eine visuelle Darstellung eine direkte Kontrolle der Atembewegungen. Die aktive Mitarbeit an einer schonenderen Bestrahlung wird dabei sehr positiv aufgenommen. Nicht unbedeutend ist diese Schonung, weil unter den modernen Chemotherapiekonzepten auch einige Medikamente Verwendung finden, die Schädigungen am Herzen hervorrufen können. So kann man durch eine moderne Bestrahlungstechnik zumindest den negativen Beitrag der Strahlentherapie am Herzen verhindern.

Abb. 2 Die Verlagerung des Herzen bei tiefer Einatmung gewährleistet eine optimale Schonung des Herzen bei tangentialer Bestrahlung (CT-Schnittbild einer Bestrahlungsplanung, rechtes in tiefer Einatemphase)

In England und Kanada, wo die Therapiezentren weit voneinander entfernt liegen und Patienten zum Teil lange Wege auf sich nehmen, wurden Bestrahlungskonzepte entwickelt, die eine deutliche Verkürzung der Gesamtbehandlungszeit zur Folge haben, bei allerdings höherer täglicher Bestrahlungsdosis (Hypofraktionierte Bestrahlung).

Nach anfänglich weit verbreiteter Skepsis, was mögliche verstärkte Nebenwirkungen angeht, etablieren sich diese Behandlungsschemata nun langsam auch weltweit. Die gute Verträglichkeit konnte in großen Untersuchungen über Zeiträume von über 10 Jahren nachgewiesen werden. Risikoadaptiert lässt sich so in manchen Fällen eine Bestrahlungsserie auf 3-4 Wochen reduzieren. Die Fachgesellschaften haben dabei auch in Deutschland genau festgelegt, welchen Frauen solch ein Vorgehen angeboten werden kann. In einer Studie wird nun auch die Anwendbarkeit einer gleichzeitig integrierten Boostbestrahlung bei einer solchen hypofraktionierten Bestrahlung untersucht (Hyposib-Studie).

Abb. 3 Unterschiedliche Behandlungsschemata bei der Bestrahlung von Brustkrebs

Beim Prostatakrebs bieten die modernen Bestrahlungstechniken eine echte Alternative zur Operation. Mit einer Bestrahlung der Prostata oder einer Operation, der Entfernung der Prostata, sind gerade in Frühstadien extrem hohe Heilungsraten möglich. Beide Behandlungsmethoden stehen mittlerweile gleichwertig nebeneinander. Die Entscheidung, welche Behandlung man durchführt, fällt nach einem ausführlichen Gespräch mit dem behandelnden Urologen unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Vor- und Nachteile. Die Inanspruchnahme einer Zweitmeinung bei anderen Ärzten kann hier bei Bedarf Hilfe bieten und zur Entscheidung beitragen. Die Intensitätsmodulierte Bestrahlungstechnik hat auch beim Prostatakarzinom zu einer deutlichen Verbesserung der Therapieerfolge beigetragen. Diese Form der perkutanen Bestrahlung ermöglicht eine wesentlich genauere Bestrahlung der Prostata durch eine anatomisch optimierte Ausrichtung der Zieldosis mit gleichzeitiger Schonung der Blase und des Enddarms.

Durch diese Technik ist esmöglich geworden, ohne verstärkte Nebenwirkungen die Dosis im Tumor zu steigern und damit ein besseres Ansprechen zu erreichen. Um die Bestrahlung möglichst schonend durchzuführen, sind aber Gesamtbehandlungszeiten von 8 Wochen erforderlich. Verkürzte Bestrahlungsserien mit höheren Einzeldosen pro Tag, wie beim Brustkrebs, können noch nicht empfohlen werden.

Abb. 4 Enge Dosisverteilung durch die Intensitätsmodulierte Bestrahlung beim Prostatakarzinom

Bewegliche Tumoren stellen eine große Herausforderung für eine Bestrahlung dar. Um einen Lungentumor sicher zu bestrahlen, wurde lange ein relativ großes Lungenvolumen bestrahlt, um den Tumor sicher in jeder Position während der Atmung zu erreichen. Das hat dann zur Folge, dass unnötig viel normales Lungengewebe einer hohen Bestrahlungsdosis ausgesetzt wird. Da die Lunge aber ein relativ strahlenempfindliches Organ ist, können ausgedehnte Bestrahlungen neben dem Risiko einer Lungenentzündung eine deutliche Verschlechterung der Lungenfunktion verursachen.

In vielen Fällen ist dies als Atemnot bei körperlicher Belastung zu spüren, so dass zum Beispiel Treppensteigen ohne regelmäßige Pausen nichtmehr möglich ist. In darauf spezialisierten strahlentherapeutischen Abteilungen können Lungentumoren mit einigem technischen Aufwand nun atemgesteuert bestrahlt werden. Der Tumor wird dabei nur bestrahlt wenn er während seiner atemabhängigen Bewegung eine bestimmte Position einnimmt. Genau in diesem Augenblick erfolgt dann die exakt ausgerichtete Bestrahlung. Dies ist mittlerweile auch als Rotationsbestrahlung intensitätsmoduliert möglich. Damit wird eine unnötige Bestrahlung gesunder Lungenstrukturen verhindert und das Risiko für die Lebensqualität einschränkende Beschwerden minimiert. Diese technischen Möglichkeiten ermöglichen nun auch eine effektive Hochpräzisionsbestrahlung bei Lungentumoren, die wegen schlechter Lungenfunktion oder schlechter körperlicher Verfassung nicht operiert werden können. Ohne einen operativen Eingriff sind dadurch bei sehr guter Verträglichkeit hohe Heilungsraten möglich.

Der Mund- und Rachenbereich reagiert hochempfindlich auf eine Bestrahlung. Als oft unabdingbarer Bestandteil bei der Behandlung von Tumoren im HNO-Bereich ist die Bestrahlung aber vergesellschaftet mit extrem belastenden und einschränkenden Nebenwirkungen. Viele Organe liegen hier eng beieinander und ermöglichen die verschiedenen Funktionen. Kauen, Sprechen, Schmecken, Riechen und Schlucken sind natürliche Vorgänge, die uns erst bewusst werden, wenn sie nicht mehr problemlos funktionieren.

Viele Strukturen im HNO-Bereich sind aber sehr strahlenempfindlich, reagieren früh und ausgeprägt auf eine Bestrahlung. Für Patienten ist es extrem belastend, wenn diese Grundfunktionen durch eine Therapie beeinträchtigt werden. Die Kraft und Motivation solch eine Behandlung durchzustehen leidet. Wie bei den bisher erwähnten Tumoren hat die intensitätsmodulierte Bestrahlung (IMRT) auch hier zu einer deutlichen Reduzierung der Nebenwirkungen geführt. Mit viel genauerer Präzision, die Dosis im bestrahlten Bereich zu verteilen, ist es nun möglich, einzelne Speicheldrüsen, große Anteile der Mundschleimhäute, die Speiseröhre und die Kaumuskulatur zu schonen. Die moderne intensitätsmodulierte Bestrahlung hat wesentlich dazu beigetragen, dass nach einer Strahlentherapie für immer bleibende Beeinträchtigungen, wie eine Mundtrockenheit, Kariesanfälligkeit und Schluckbeschwerden, viel geringer ausgeprägt sind als noch vor 10 Jahren.

Die technischen und konzeptionellen Entwicklungen in der Strahlentherapie haben in den vergangenen Jahren bei vielen Tumoren dazu beigetragen, die Heilungsraten weiter zu verbessern. Genauso wichtig war es aber, durch die modernen Techniken die Verträglichkeit der Strahlentherapie deutlich zu verbessern. So können behandlungsbedingte Nebenwirkungen und langfristige Beeinträchtigungen durch eine Krebsbehandlung erfolgreich reduziert oder vermieden werden.

Weitere Informationen und Kontakt:
Medizinisches Versorgungszentrum am HELIOS Klinikum Emil von Behring
Chefarzt Dr. med. Lutz Moser, Strahlentherapie
Walterhöferstraße 11, 14165 Berlin
Telefon 030 8102-1155, Fax 030 8102-41155, www.helios-kliniken.de/berlin-behring

 

Aktuelles aus der Krebsforschung

Früherkennung

Studie attestiert der Darmkrebs-Vorsorge in Deutschland hohe Qualität. Die Darmspiegelung ist Bestandteil des gesetzlichen Krebsvorsorgeprogramms in Deutschland. Wissenschaftler vom Deutschen Krebsforschungszentrum und vom Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung (Zi) werteten nun alle Befunde der ersten zehn Jahre nach Einführung des Screening-Programms aus. Dabei stellte sich heraus, dass die Rate der Personen, bei denen Gewebeveränderungen entdeckt wurden, innerhalb dieser Periode deutlich angestiegen ist. Diese Rate gilt als Maßstab für die Zuverlässigkeit und Effektivität der Darmkrebs-Vorsorge und entspricht den international geforderten Qualitätskriterien.

Deutschland war 2002 eines der ersten Länder weltweit, das die Darmspiegelung als Bestandteil des gesetzlichen Krebsvorsorgeprogramms eingeführt hat. Seither haben über fünf Millionen Menschen daran teilgenommen. Als Maßstab für die Qualität der Untersuchung gilt die Entdeckungsrate von Gewebeveränderungen (Adenomen), die sich möglicherweise zu Krebs weiterentwickeln können: Je zuverlässiger der Arzt solche Veränderungen entdeckt (und sogleich entfernt), desto geringer ist das Risiko, dass eine gefährliche Krebsvorstufe übersehen wird. Wissenschaftler um Hermann Brenner im Deutschen Krebsforschungszentrum werteten nun gemeinsam mit Kollegen um Lutz Altenhofen vom Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung (Zi)* die Adenom-Detektionsrate** für die ersten zehn Jahre des Screening-Programms aus. Sie fanden heraus, dass Ärzte mit den Jahren sowohl bei Männern als auch bei Frauen, über alle Altersstufen hinweg, zunehmend mehr Gewebeveränderungen entdeckten.

Diese Steigerung ging allerdings hauptsächlich auf das Konto der sehr kleinen und zumeist harmlosen Adenome unter einem Zentimeter Durchmesser. Hier stiegen die Detektionsraten zwischen 2003 und 2012 bei Männern von 13,3 auf 22,3 Prozent, bei Frauen von 8,4 auf 14,9 Prozent. Fortgeschrittene Gewebeveränderungen oder echte Krebsfälle entdecken die Ärzte gegen Ende des untersuchten Zeitraums ebenfalls häufiger als zu Beginn des Screening-Programms, allerdings war hier der Anstieg weniger stark.

Was steckt hinter der gesteigerten Detektionsrate? Hermann Brenner und Kollegen sehen keine Anhaltspunkte dafür, dass Gewebeveränderungen tatsächlich häufiger auftreten, beispielsweise aufgrund geänderter Lebensstilfaktoren innerhalb der Bevölkerung. Für wahrscheinlicher halten die Epidemiologen, dass die Verbreitung moderner, leistungsfähiger Untersuchungsinstrumente und eine sehr hohe Qualität des Vorsorgeprogramms in Deutschland für diesen Trend verantwortlich sind.

Diese positive Entwicklung hat allerdings zwei Seiten. Auf der einen Seite verbessert es den präventiven Effekt einer Darmspiegelung, wenn Gewebeveränderungen möglichst vollständig erfasst werden. Auf der anderen Seite sehen die Forscher jedoch die Gefahr zu häufiger Kontrollen, wenn beim Screening zunehmend kleinere und zumeist harmlose Adenome entdeckt werden. Dies sollte daher bei den Empfehlungen zur Kontrolluntersuchung berücksichtigt werden. „Die Herausforderung ist nun, für Patienten mit kleineren Adenomen sinnvolle Intervalle für die Kontrolluntersuchung zu definieren“, sagt Hermann Brenner.

Bislang empfehlen die Ärzte Patienten, bei denen ein fortgeschrittenes Adenom gefunden wurde, die Untersuchung nach drei Jahren zu wiederholen, bei einem kleinen Adenom nach fünf Jahren. Patienten ohne Befund wird zu einer wiederholten Darmspiegelung nach zehn Jahren geraten.

* Die Screening-Koloskopie wird seit ihrer Einführung vom Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung (Zi) wissenschaftlich begleitet, finanziert von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und vom Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen.

** Adenom-Detektionsrate: Prozentsatz der untersuchten Personen, bei denen mindestens ein Adenom entdeckt wurde.
(Quelle: Hermann Brenner, Lutz Altenhofen, Jens Kretschmann, Thomas Rösch, Christian Pox, Christian Stock, and Michael Hoffmeister: Trends in Adenoma Detection Rates During the First 10 Years of the German Screening Colonoscopy Program. Gastroenterology 2015, DOI: 10.1053/j.gastro.2015.04.012)

67. Urologen-Kongress in Hamburg

„Urologie umfasst mehr“, so lautete das Motto des 67. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Urologie e.V. (DGU), der vom 23. bis 26. September 2015 im Congress Center Hamburg (CCH) stattfand. Den Beweis für die Vielfalt der Urologie trat die Fachgesellschaft auf der DGU-Eröffnungs-Pressekonferenz an. Direkt im Anschluss informierten DGU, Deutsche Krebsgesellschaft und Deutsche Krebshilfe in einer gemeinsamen Pressekonferenz über aktuelle Entwicklungen bei den beiden Großprojekten der Prostatakrebsforschung: der PROBASE-Studie und der PREFERE-Studie.

Unter der Moderation von DGU-Generalsekretär Prof. Dr. med. Oliver Hakenberg wurde die Diskussion mit der gemeinsamen Pressekonferenz von DGU, Deutscher Krebsgesellschaft und der Stiftung Deutsche Krebshilfe weitergeführt. Mit über 12.000 Probanden befindet sich die PROBASE-Studie auf einem guten Weg. Die Rekrutierungszahlen der PREFERE-Studie liegen bisher jedoch hinter den Erwartungen zurück. Um mehr Ärzte und Patienten von der Teilnahme an PREFERE zu überzeugen, wollen die Verantwortlichen nun die Aufklärungsarbeit intensivieren.

Über die aktuellen Entwicklungen informierten: Gerd Nettekoven, Vorstandsvorsitzender der DKH, Prof. Dr. med. Peter Albers, Universitätsklinikum Düsseldorf, Studienleiter PROBASE Prof. Dr. med. Michael Stöckle, Universitätsklinikum des Saarlandes, Studienleiter PREFERE, Prof. Dr. med. Thomas Wiegel, Strahlentherapie, UniversitätsklinikumUlm, Studienleiter PREFERE. Die Redaktion der Zeitschrift wird in den NEWS in der November-Ausgabe weiter darüber informieren.
(Quelle: DGU - Presse)

 

Sport und Bewegung in der Krebstherapie

Erfahrungen aus Studien, Beobachtungen aus der Praxis

Prof. Dr. med. M.H. Schoenberg, FRCS München

Die Problematik bösartiger Tumorerkrankungen wird in Zukunft weiter an Bedeutung zunehmen. Glücklicherweise hat sich die Gesamtprognose aller Tumorerkrankungen besonders in industrialisierten Ländern in den letzten Jahren deutlich verbessert, wobei die Überlebensraten verschiedener Tumorerkrankungen sich sehr unterscheiden können. Während früher eine Krebserkrankung in nur etwa 30% „geheilt“ werden konnte, stieg die 5-Jahres-Überlebensrate aller Tumorerkrankungen auf 60% bei erkrankten Frauen und auf 53% bei erkrankten Männern (25). Optimistische Einschätzungen von Courneya et al. (8) gehen davon aus, dass möglicherweise in den nächsten 20 Jahren etwa zwei Drittel aller Erkrankten rezidivfrei die 5-Jahre-Überlebensrate erreichen werden.

Die Ursachen für diese positiven Entwicklungen sind neben den zunehmend an Bedeutung erlangenden Früherkennungsmaßnahmen im Wesentlichen die verbesserten multimodalen Therapiemöglichkeiten.

Gleichwohl muss Krebs als chronische Erkrankung betrachtet und als solche therapiert werden.

Dies bedeutet im Rückblick aber auch, dass etwa 3–4% der Gesamtbevölkerung westlicher Industrieländer im Laufe ihres Lebens zwar an einem bösartigen Tumorleiden erkrankten, dieses aber überlebt haben(9). Für den Raum der Bundesrepublik Deutschland sind etwa 2,5 Millionen Menschen die so genannten Krebsüberleber (engl.: „cancer survivors“). Die Prognose der tumorerkrankten Patienten wird aber nicht nur von der Progression des Primärleidens bestimmt. Etwa 20% der Patienten versterben nicht an der eigentlichen Tumorerkrankung, sondern an Begleiterkrankungen, die sich nachfolgend entwickelt haben.

Typische Begleiterkrankungen, die sich nach primärer Therapie und einer ggf. angeratenen inaktiven Lebensweise entwickeln, sind Adipositas, Diabetes mellitus, Herzkreislauferkrankungen. Sofern sie bereits bestehen, können sie an Schwere zunehmen (z.B. durch kardiotoxische Chemotherapeutika). Auch kann Osteoporose mit der Gefahr von vermehrten Frakturen auftreten.

Darüber hinaus können sich bei einigen Tumorentitäten (Prostatakarzinom, Mammakarzinom) Therapien, die die hormonelle Situation der Patienten beeinflussen, auch o.g. Begleiterkrankungen innerhalb von kürzester Zeit verstärken. Zunehmend fragen Patienten, welche Vorteile Krebstherapien im Vergleich zu den möglichen Risiken haben (22). Bekanntermaßen leiden Patienten nicht nur am Anfang, d.h. nach der Diagnosestellung an Depressionen und beklagen einen erheblichen Verlust an Lebensqualität (6). Patienten ziehen sich nicht selten von jeglichen sozialen Kontakten zurück und vereinsamen.

Körperliche und im engeren Sinne sportliche Aktivitäten schützen neben gesunder Ernährung und der Vermeidung von Schadstoffen wie Nikotin und Alkohol vor der Entwicklung bösartiger Tumore.

Konsequenterweise stellte das Expertengremium der World Cancer Research Fund (31) (WCRF, London www.wcrf.org) fest, dass Sport und regelmäßige Bewegung die Wahrscheinlichkeit, an einem bösartigen Tumor zu erkranken, signifikant senken kann.

Diese Feststellung beruht auf einer Vielzahl von Studien, die in den letzten zwanzig Jahren durchgeführt wurden. Unter anderem analysierten Orsini und Mitarbeiter bei 40.000 erwachsenen Männern die Entwicklung von bösartigen Erkrankungen. Sie stellten fest, dass körperliches Training von geringer bis mittlerer Intensität (z.B. eine Stunde schnelles Gehen pro Tag) die Krebsinzidenz um 16% minderte und die Intensität der sportlichen Aktivität indirekt mit der Erkrankungswahrscheinlichkeit und der nachfolgenden Krebsmortalität korrelierte (23).

Insbesondere die Entwicklung des Kolonkarzinoms (7/34) und des Mammakarzinoms, das in der Postmenopause entsteht, ist sehr gut untersucht worden. Es zeigte sich, dass der Schutzeffekt körperlicher Aktivität und Sport bei diesen Erkrankungen sehr ausgeprägt ist. Wie wichtig selbst nur ein bescheidenes Ausmaß an körperlicher Aktivität ist, zeigt eine wissenschaftliche Untersuchung von Wen et al. aus Taiwan. Die Studie umfasste fast 420.000 Teilnehmer (jeweils etwa 200.000 Männer und Frauen), die 12 Jahre lang zwischen 1996 und 2008 regelmäßig untersucht wurden. Wenn man die Studie genau analysiert, stellt man fest, dass ein sportliches Engagement, das regelmäßig aber moderat betrieben wird, zur Vorbeugung gegen Krebserkrankungen ausreichend ist. „Moderat“ bedeutete in dieser Studie, etwa 30 min körperliche Aktivität pro Tag, wobei man auch körperliche Aktivitäten zusammenführen kann (z.B. 3 mal 1 Stunde pro Woche).

Es zeigte sich, dass Teilnehmer, die sich nur 15 Minuten am Tag körperlich bewegten, ihre Lebenserwartung um 3 Jahre steigern konnten und signifikant seltener an Krebs erkrankten.

Die Untersuchung zeigt auch, dass mit einem regelmäßigen moderaten Training mehrfach in der Woche bessere Ergebnisse erzielt werden können, als mit wenigen Trainingseinheiten und hoher Intensität.

Auch bei anderen Erkrankungen scheinen die Intensität der körperlichen Anstrengung und die Häufigkeit eine wichtige Rolle zu spielen. Die Wahrscheinlichkeit, an einem Diabetes mellitus oder an Herzkreislauferkrankungen zu versterben, ist indirekt abhängig von der Dauer und der Intensität der sportlichen Aktivitäten. Je aktiver und intensiver man Sport betreibt, umso unwahrscheinlicher (seltener) erkrankt man an den oben genannten Krankheiten(35).

Abb. 1 Korrelation zwischen Verminderung des Gesamtsterblichkeitsrisikos und täglicher körperlicher Aktivität in Minuten (35).

Sport in der Krebstherapie - Verbesserung der Lebensqualität

Neben den in vielen sehr guten und sorgfältig durchgeführten Studien ermittelten positiven Effekten körperlicher Betätigung und Sport zur Reduktion des Krebsrisikos konnte in letzter Zeit festgestellt werden, dass selbst bei Patienten, die bereits an einer bösartigen Tumorerkrankung leiden, durch körperliche Aktivität und Sport insbesondere die Lebensqualität der Patienten deutlich verbessert werden kann.

Darüber hinaus scheinen körperlich aktive Patienten die Nebenwirkungen der verschiedenen multimodalen Therapieformen (Chemotherapie, Radiation, Operation) signifikant besser zu vertragen, so dass diese wichtigen Therapieformen häufiger ohne Einschränkung und Dosisreduktion durchgeführt werden können (28).

Sport und körperliche Aktivität werden somit zunehmend als „Medikament“ begriffen, das gleichsam auch als „Psychopharmakon“ die Lebensqualität steigert.

Etwa 60 bis 80% aller Tumorpatienten erkranken im Rahmen der Therapie ihrer Tumorerkrankung an einem chronischen Erschöpfungszustand, das als tumorbedingtes Fatigue-Syndrom bezeichnet wird. Die Patienten leiden an einem ausgeprägten Schwächegefühl, sind häufig kurzatmig und depressiv. Diese Beschwerden nehmen häufig im Endstadium der Tumorerkrankung zu (11,20). Es entsteht somit ein „Circulus vitiosus“ (Teufelskreis) d. h. die Muskulatur wird schwächer und verschmächtigt sich. Die Patienten werden deshalb inaktiver, was zu einer deutlichen Verschlechterung des Allgemeinzustandes führt. Bei diesen Patienten kann häufig die im Allgemeinen belastende multimodale Therapie nicht immer wie geplant durchgeführt werden. Bachmann et al. konnten zeigen, dass im Rahmen der Behandlung von Pankreaskarzinompatienten das tumorbedingte Fatigue-Syndrom die Prognose der Patienten deutlich verschlechterte (3).

Nicht nur durch Krankengymnastik, sondern durch aktives sinnvolles körperliches Training kann das tumorbedingte Fatigue-Syndrom verhindert oder erfolgreich behandelt werden, d.h. Ausschluss der Muskelatrophie bzw. bei einigen Patienten erneuter Muskelaufbau.

Dies befähigt die Patienten, sich wieder erfolgreich körperlich zu betätigen und ihre Lebensqualität sowie ihr Lebensgefühl deutlich zu verbessern (1, 8, 12). Findet diese körperliche Betätigung im Rahmen von Sportgruppen statt, so kann auch der soziale Rückzug und die häufig beobachtete Vereinsamung verhindert werden (28).

Neben Muskelaufbau verbessert regelmäßiges aerobes Ausdauertraining, z.B. Fahrradfahren, signifikant die Leistungsfähigkeit und Lebensqualität der Patienten. Dimeo et al. konnten in einer 2008 publizierten Studie zeigen, dass selbst Patienten, die eine Hochdosis-Chemotherapie und Stammzelltransplantation erhalten hatten, durch ein Training mit dem Fahrradergometer sich bereits während des stationären Aufenthaltes deutlich leistungsfähiger und besser fühlten und somit eine deutlich gesteigerte Lebensqualität aufwiesen (10).

In einer großen kürzlich publizierten Metaanalyse sämtlicher Studien zur Bedeutung der körperlichen Aktivität nach einer Krebserkrankung konnten Speck et al. zeigen, dass in allen untersuchten Tumorentitäten eine moderate körperliche Betätigung zu positiven Effekten bezüglich Fitness, Muskelstärke, physikalischen Aktivitäts-Index, Lebensqualität und psychisches Wohlbefinden führten. Hierbei waren Mamma- und Kolonkarzinom am besten untersucht (28).

Dieser Zusammenhang von körperlicher Aktivität und Verbesserung der Lebensqualität konnte in weiteren Studien auch bei Prostata- und Ovarialkarzinomen beobachtet werden (29, 32, 33).

Kürzlich stellten Forscher in einer Studie fest, dass gerade der Muskelabbau und die beginnende Kachexie sich nicht nur sehr negativ auf die Lebensqualität, sondern auch auf die Prognose der Patienten auswirken. Die Autoren vermuten, dass der Gewichtsverlust und Verlust der Muskelmasse durch biochemische Signale der Tumorzellen ausgelöst werden und möglicherweise den Übergang der Tumorerkrankung von einem lokalen Prozess in ein systemisches Krebskontinuum überleitet (3).

Die positive Wirkung eines aeroben Ausdauertrainings gepaart mit Muskelaufbautraining kann somit als logische Folge auch die Prognose der Patienten deutlich verbessern.

Bestimmung der körperlichen und sportlichen Aktivität

Um die Auswirkungen von sportlicher Aktivität auf die Prognose von Tumorerkrankungen zu bestimmen, kann es schwierig sein, die Intensität sportlicher und körperlicher Aktivität miteinander zu vergleichen. Körperliche Aktivität ist nicht nur Sport im engeren Sinne. Körperliche Aktivität ist auch im Beruf, Haushalt und sehr vielgestaltig in der Freizeit möglich. Um körperliche und sportliche Aktivität zu bestimmen und zu vergleichen, hat sich das sog. metabolische Äquivalent (MET) bewährt. Ein MET entspricht dem Energieverbrauch des Körpers von einer Kilokalorie pro Kilogramm Körpergewicht und Stunde (2). In Tabelle 1 werden typische Freizeitsportarten bzw. Aktivitäten im Haushalt oder Garten mit MET-Werten pro Stunde aufgeführt.

Einige Studien haben den MET-Wert als Anhalt für körperliche und sportliche Aktivität verwendet, um die jeweiligen Aktivitäten zu vergleichen. Es zeigte sich, wie Orsini et al. feststellten, dass 4 MET-Werte pro Tag, z.B. eine Stunde schnelles Gehen, etwa 20 bis 28 MET pro Woche (entsprechend der Gehgeschwindigkeit) entsprechen.

Diese körperliche Aktivität mindert die Inzidenz an einem Malignom zu erkranken um 16%. Wird die sportliche Betätigung um weitere 30 Minuten pro Tag gesteigert, so verringert sich die Krebsmortalität um 33% (23).

Auch wenn man an einem Malignom erkrankt ist, scheint Sport und körperliche Bewegung beginnend mit 9 MET pro Woche (etwa 3 Stunden Spazieren gehen) bereits die Prognose deutlich zu verbessern. Der größte prognostisch günstige Effekt zeigt sich, wenn Patienten 18 MET pro Woche erreichen. Dies würde (s. Tabelle 1) z.B. zwei Stunden Spazieren gehen, eine Stunde Fahrrad fahren und eine Stunde Tanzen pro Woche bedeuten, wobei sich als „Nebenwirkung“, ggf. über vermehrte soziale Kontakte, die Lebensqualität der Patienten signifikant verbessert (2).

 

 


Aktivität

Spazieren gehen
Joggen
Fahrrad fahren
Rudern 50 W
Segeln Hobbie Cat
Tanzen
Klavier spielen
Fußball spielen
Skifahren
Golf spielen
Schwimmen
Geschirr spülen
Rasen mähen
Holz hacken
Gartenarbeit


MET-Werte

3,0
7,0
4,0
3,5
3,0
4,5
2,5
7,0
7,0
4,5
8,0
2,3
5,5
6,0
5,0

Tabelle 1 MET-Werte entsprechend einer einstündigen körperlichen Aktivität (2)

Verbesserung der Prognose

In einer groß angelegten Studie in Melbourne (Australien) wurden Patienten, die an einem Kolonkarzinom erkrankt waren, in 2 Gruppen eingeteilt. Die eine Gruppe war im wesentlichen inaktiv, die andere Patientengruppe trieb im Gegensatz dazu regelmäßig Sport. Beide Patientengruppen erhielten die gängige leitlinienentsprechende multimodale Therapie bei Kolonkarzinom. Etwa 5 bis 6 Jahre nach Diagnosestellung zeigte sich, dass bei der sportlichen Gruppe die Mortalität um 39% niedriger war. Diese Prognoseverbesserung betraf jedoch nur Patienten in den sehr häufigen Tumorstadien UICC II und UICC III. In einem sehr frühen Tumorstadium (UICC I) bzw. bei Kolonkarzinomen, die bereits metastasiert waren (UICC IV) konnte dieser positive Effekt nicht festgestellt werden (14).

Meyerhardt et al. stellten ebenfalls in einer prospektiven, randomisierten Studie fest, dass bei Patienten, die sich mindestens 3x wöchentlich 45 Minuten bewegten bzw. Sport trieben, das Rezidivrisiko signifikant gemindert war bzw. sich die Prognose um 45% verbesserte. Dieser positive Effekt war unabhängig von der Art, jedoch abhängig von der Intensität der körperlichen und sportlichen Betätigung (17,18). Entscheidende Verbesserungen der Prognose beim Kolonkarzinom im Stadium UICC II und III waren bei über 18 MET-h/Woche zu erreichen (siehe Abb. 2). Anhand der MET-Tabelle kann jeder Patient unter verschiedenen Aktivitäten wählen um dieses MET-Niveau zu erreichen.

Abb. 2 Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und Prognose beim Dickdarmkrebs nach Meyerhardt et al. 2006 (17)

Ebenfalls publizierten vor kurzem Campbell (Campbell et al. 2013) (39) eine prospektive Studie mit 2.300 Patienten mit einem Dickdarmkrebs, die sogar 16 Jahre nachbeobachtet wurden. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Studien, die die körperliche Aktivität der Patienten untersuchten, evaluierten diese Autoren, wie häufig und wie lange Patienten ihre Freizeit sitzend verbringen. Es zeigte sich im Umkehrschluss zu den vorangegangenen Studien, dass Patienten, die mehr als 6 Stunden pro Tag sitzen, eine um 27% schlechtere Prognose haben. Die Freizeit sitzend zu verbringen ist für Krebspatienten gefährlich.

Das neue Motto heißt: „Sitzen ist das neue Rauchen“.

Fasst man die Ergebnisse einer Vielzahl von Studien zusammen, so zeigt sich, dass vier Stunden zügiges Spazierengehen pro Woche die Prognose und die Lebensqualität der Tumorpatienten signifikant günstig beeinflusst. Dies entspricht interessanterweise den Ergebnissen einer „aktiven“ Diabetes mellitus-Therapie. Auch bei diesen Patienten ist eine Verbesserung des Stoffwechsels und eine Verminderung der Herz-Kreislauf- Erkrankungen zu erwarten, wenn sie sich täglich aktiv bewegen (24).

Die Prognoseverbesserung durch sportliche Aktivität (s. Abb. 2) ist interessanterweise unabhängig von der sportlichen Lebensweise der Patienten vor der Diagnosestellung. Auch unsportliche Patienten sollten daher im Rahmen ihrer körperlichen Fähigkeiten einen ausgewogenen, moderaten Sport betreiben oder sich, in welcher Form auch immer, körperlich betätigen.

Auch adipösen Patienten wird empfohlen, nach vorheriger körperlicher Untersuchung in „Maßen“ körperlich aktiv zu sein, da die positiven Effekte der sportlichen Betätigung unabhängig vom Gewicht der Patienten, bzw. der Gewichtsab- bzw. Gewichtszunahme nach Tumordiagnose sind (19).

Die Ergebnisse zum Einfluss von sportlicher Aktivität und der Prognose des kolorektalen Karzinoms sind auch beim Mamakarzinom gültig (26, 27, 30).

In mehreren Beobachtungsstudien wurde festgestellt, dass körperliche Aktivität auch bei Patientinnen mit Brustkrebs vor einem Rezidiv schützen. In einer großen prospektiven Beobachtungsstudie wurden 3.000 Krankenschwestern in den Vereinigten Staaten, die an einem Brustkrebs erkrankt waren, bis zu 18 Jahren nachbeobachtet. Es zeigte sich, dass sportliche Betätigung wie schnelles Gehen 3 bis 5 Stunden pro Woche, das Rezidivrisiko um 40 bis 50% reduziert war (36). Ein Blick auf unsere MET-Tabelle bestätigt die Ergebnisse der ersten Studie (the nurse health study), dass 3 bis 5 Stunden schnelles Gehen die Prognose verbessert, denn 3 bis 5 Stunden schnelles Gehen sind nach unserer MET-Tabelle auch 9 bis 12 MET-h pro Woche (siehe Abb. 3).

Abb. 3 Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und Krankheitsverlauf bei Brustkrebs nach Holmes et al. 2005 (36)

Im Dezember 2010 wurden diese Ergebnisse durch eine prospektiv kontrollierte klinische Studie bestätigt. Die Autoren Bertram LA et al. untersuchten über 7 Jahre die sportlichen Betätigungen von 2.361 Patientinnen, die an einem Mammakarzinom Stadium I bis III erkrankt waren. Es zeigte sich, dass besonders sportliche Patientinnen ihr Rezidivrisiko um 53% vermindern konnten. Selbst wenn nur die relativ moderaten Richtlinien zur körperlichen Aktivität in dieser Studie (WHEL-Studie) beachtet wurden, konnte die Mortalität um 35% gesenkt werden (5). In der Zwischenzeit wurden weitere Untersuchungen durchgeführt, die alle zu einem ähnlichen Ergebnis führten. Frauen, die nach Diagnose etwa 8 bis 9 MET-h pro Woche schafften, konnten die Prognose zu 35 bis 50% und ihre Lebensqualität deutlich verbessern.

Wenige Medikamente sind in der Lage, solche Erfolge vorzuweisen. (37)

Nur wenige Studien sind zum Prostatakrebs und sportlichen Aktivitäten publiziert worden. Die britische Gesundheitsbehörde initiierte eine Untersuchung von 2.700 Männern. Ähnlich wie beim Darm- und Brustkrebs zeigte sich in der Untersuchung, dass moderat durchgeführter Sport die Prognose dieser Krebserkrankung deutlich verbessert. Auch scheint eine so genannte Dosis-Wirkung-Beziehung zu bestehen. Die Verbesserung des Krankheitsverlaufes scheint abhängig von der Intensität und Häufigkeit der sportlichen Betätigung der Patienten zu sein (38).

Auch beim Prostatakrebs scheinen 9 MET-h pro Woche die Schwelle zu sein, bei der ein positiver Effekt feststellbar ist. 9 MET-h pro Woche sind etwa 3 Stunden zügiges Gehen pro Woche. Allein durch diese Maßnahme kann der Krankheitsverlauf um 30% verbessert werden. Wer in der Lage ist, beachtliche 48 MET-h pro Woche zu schaffen, kann die Prognose um 60% verbessern.

Im Gegensatz zu den Untersuchungen zum Brust-, Darm- und Prostatakrebs können beim Lungen- und Bauchspeicheldrüsenkrebs keine wissenschaftlich belastbaren Aussagen zur Auswirkung von Sport und Bewegung auf die Prognose getroffen werden.

Es zeigt sich jedoch, dass zunächst auch bei diesen Diagnosen körperliche Aktivität möglich ist und einen positiven Effekt auf das seelische Befinden und die Lebensqualität der Patienten hat. Moderates Training vermindert Angstzustände, Depressionen, Krankheitssymptome, die Patienten fühlen sich besser und haben eine deutlich höhere Lebensqualität.

Sporttherapie

Generell wurde bislang angenommen, dass life style-Veränderungen, d.h. entsprechende Empfehlungen der behandelnden Ärzte gerade von älteren Patienten, nur selten angenommen werden. Dies konnte jedoch in neueren Studien widerlegt werden. Morey et al. (21) konnten in einer randomisierten kontrollierten klinischen Untersuchung zeigen, dass insbesondere ältere Patienten sehr wohl zu life style-Veränderungen bereit sind. Als Ergebnis dieser Studie, die bei langfristig Überlebenden von kolorektalen, Mamma- und Prostatakarzinomen durchgeführt wurde, zeigte sich nicht nur, dass eine spezielle Diät und regelmäßige körperliche Aktivität den körperlichen Funktionsverlust signifikant verhindert, sondern dass die zumeist älteren Patienten das Programm erfolgreich beendeten. Die Autoren kommen zum Schluss, dass auch bei älteren Patienten diätetische Beratung und individuelle oder in Gruppen durchgeführte Anleitung zur körperlichen Aktivitätssteigerung dankbar angenommen werden.

Allgemeine Empfehlungen

Die Leistungsfähigkeit jedes Tumorpatienten variiert erheblich. Je nach Alter, Krebsart, Stadium, aktueller Therapie, aber auch Nebenerkrankungen, ist die Belastbarkeit jedes Patienten verschieden. Dementsprechend sollten Empfehlungen zur körperlichen Aktivität immer an den aktuellen Leistungsstatus jedes einzelnen Patienten angepasst werden. Diese Empfehlungen können für sehr schwache, leistungsgeminderte Patienten von z.B. 5 min. Gehen pro Tag bis zu 60 min. Laufen für leistungsstarke, fitte Patienten variieren. Jedoch können aus den bisher durchgeführten Studien allgemeine Empfehlungen abgeleitet werden.

So profitieren Darmkrebspatienten/-innen von regelmäßiger moderater Aktivität von ca. 3–4 h pro Woche, wie etwa ca. täglich 30 min. zügiges Marschieren. Ein allgemeines Krafttraining zum Erhalt der Muskulatur und Verhinderung eines Muskelverlustes sollte optimaler Weise 2 mal pro Woche zusätzlich durchgeführt werden. Diese Empfehlungen können sicherlich nicht von allen Tumorpatienten direkt umgesetzt werden. Sie sollten jedoch als Orientierung dienen. Die Empfehlungen für einzelne Patienten müssen immer individuell angepasst werden.

Entscheidend ist, zu beginnen! Die sportliche Aktivität sollte nicht als Belastung empfunden werden und immer Spaß machen.

Welche Sportarten kann ich durchführen?

Entscheidend bei diesem neuen Konzept ist, die Freude an körperlicher Aktivität und Sport nach Krebsdiagnose wieder zu stimulieren und zu stärken. Dementsprechend sollen grundsätzlich Patienten die Sportart betreiben, die ihnen am meisten Spaß macht und die eventuell auch schon vor der Erkrankung betrieben wurde. Durch ein Ausdauertraining soll eine Stabilisierung und Verbesserung des Herz-Kreislauf-Systems sowie des Stoffwechsel- und Atmungssystems erreicht werden.

Neben einer Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustands können die Lebensqualität und das subjektive Befinden durch eine erhöhte Ausdauer im Alltags- und Berufsleben sowie in der Freizeit gesteigert werden.

Der Erhalt und die Verbesserung der Herz-Kreislauf-Aktivität sind insbesondere nach einer Operation und nach längeren Krankenhausaufenthalten von großer Bedeutung. Deshalb stellt ein regelmäßiges moderates Ausdauertraining für jeden Tumorpatienten die Basis des körperlichen Trainings dar. Ausdauersportarten, die sich für einen Tumorpatienten anbieten, sind zum Beispiel Walken, Nordic Walking, Wandern, Joggen, Radfahren oder auch Schwimmen. Je nachdem welche Sportart dem Patienten Spaß macht, kann der Arzt auch im Hinblick auf die Krebserkrankung und den aktuellen Krankheitszustand mit dem Patienten besprechen und ihm entsprechende Sportarten empfehlen.

Wie belaste ich mich richtig?

Die Intensität, mit der Betroffene die körperliche Aktivität durchführen, sollte grundsätzlich im moderaten Bereich liegen. Das heißt, ein Trainingsreiz sollte durch die körperliche Aktivität gesetzt werden. Eine komplette Ausbelastung ist jedoch zu vermeiden. Die Intensität sollte vor allem bei Tumorpatienten an den aktuellen Krankheitsstatus angepasst werden. Das heißt, bei Beginn der Trainingstherapie kann zum Beispiel Walken der richtige Belastungsbereich sein. Nach einiger Zeit, wenn sich die Leistungsfähigkeit verbessert hat, kann die Intensität erhöht werden, so dass der Patient von Walken in Nordic Walking und gegebenenfalls auch wieder ins Laufen übergehen kann. Radfahren besonders auf dem Ergometer hat den Vorteil, dass besonders die Oberschenkelmuskulatur gestärkt und Gelenke geschont werden. Gerade auch für Krebspatienten mit Knochenbeteiligung ist das neben dem Schwimmen die beste Belastungsform.

Das Ausdauertraining sollte immer im aeroben Bereich liegen („Laufen ohne zu Schnaufen“) und muss der jeweiligen Situation des Patienten individuell angepasst werden. Es ist nicht sinnvoll, sich zu erschöpfen, da dies sich für den Patienten und seinen Krankheitsverlauf schädlich auswirken könnte.

Eine spezifische, individuelle Empfehlung kann mittels einer sportmedizinischen Untersuchung festgelegt werden. Dies ist jedoch nicht unbedingt für alle Patienten notwendig, denn allgemeine Empfehlungen sind oft zunächst ausreichend.

Entscheidend ist, langsam beginnen und kontinuierlich steigern, ohne sich zu überanstrengen und den Spaß und die Freude an körperlicher Aktivität zu verlieren.

Die o.g. allgemeinen Empfehlungen, sich möglichst 30 min pro Tag moderat körperlich zu betätigen, können nicht von allen Patienten direkt umgesetzt werden. Insbesondere ältere Patienten, die sehr viel häufiger an Krebs erkranken, schaffen am Anfang der Therapiephase diese Trainingsintensität nicht. Bei diesen Patienten kann der Umfang der körperlichen Betätigung z.B. nur 5 min tägl. betragen. Diese Aktivität sollte sich im Verlauf der Therapie jedoch steigern. Es ist besser, mehrmals am Tag eine kurze Bewegungseinheit, d.h. 5 min andauernde körperliche Betätigung durchzuführen und diese mehrfach zu wiederholen. Dagegen können andere Patienten, die bereits leistungsfähiger sind, ggf. direkt mit 15–20 min Sport beginnen und diese steigern. Tumorpatienten profitieren von sportlichen Aktivitäten, die mehrmals pro Woche durchgeführt werden. Sporttherapie sollte eher häufiger und kürzer, als einmal lang und erschöpfend sein. Das bedeutet aber auch, dass nach jeder sportlichen Aktivität auch auf eine ausreichende Erholungsphase geachtet werden sollte.

Zusammenfassung

Durch richtiges sportliches Training bzw. körperliche Aktivität kann das Risiko, an einem Tumor zu erkranken, deutlich gesenkt werden. Hierfür sind nach Empfehlung von Orsini (23) und Chao (7) 15 bis 30 MET pro Stunde pro Woche empfehlenswert.Wie aber Wen et al. feststellten, kann eine regelmäßige, gleichwohl geringe sportliche Aktivität bereits positiv, d.h. protektiv gegen eine Krebserkrankung wirken.

Auch nach einer Krebserkrankung scheint körperliches Training von 18 MET pro h pro Woche die Lebensqualität und die Prognose der Tumorpatienten zu verbessern. Vor Aufnahme eines sportlichen Trainings sollte eine sportmedizinische Untersuchung durchgeführt werden. Anhand dieser Untersuchung werden individuelle Trainingsbereiche und Trainingsinhalte festgelegt. Die Intensität des körperlichen Trainings darf nicht zu hoch sein, sollte motivieren und nicht abschrecken. Idealerweise enthält das Training Flexibilitäts-, Ausdauer-, Kraft- und Koordinationselemente.

Es bleibt zu wünschen, dass Bewegungsprogramme für Tumorkranke in naher Zukunft im Sinne der „best supportive“ Therapie einen festen Platz in der Tumortherapie einnehmen.

Literaturquellen bei der Redaktion

Weitere Informationen:
Korrespondierender Autor: Prof. Dr. med. M.H. Schoenberg, FRCS
Döllingerstraße14A, 80639 München
Telefon 0049-89-17879421
keywords: physical activity, cancer, best supportive care

 

„Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht. Sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer“ (Seneca)

 

Vitamine und andere Mikronährstoffe in der Krebstherapie: Worauf ist zu achten?

Apotheker Uwe Gröber, Akademie für Mikronährstoffmedizin Essen

Prof. Dr. med. Klaus Kisters, Medizinische Klinik I, St. Anna Hospital, Herne

Einleitung

Nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts erkranken in Deutschland jedes Jahr mehr als 450.000 Menschen neu an Krebs. Zu den häufigsten Krebserkrankungen zählen Lungen- und Dickdarmkrebs sowie in Abhängigkeit vom Geschlecht Brust- und Prostatakrebs. Die Diagnose Krebs trifft die Betroffenen und ihre Angehörigen meist unerwartet und plötzlich. Auch wenn die Fortschritte in der Therapie dafür gesorgt haben, dass viele Patienten mit Krebs noch lange gut leben, reagieren die Betroffenen meist sehr verängstigt, auch aufgrund der häufig belastenden und intensiven Therapie.

Neben regelmäßiger körperlicher Aktivität, dem Erlernen von psychologischen Bewältigungstechniken sowie einer bedarfsgerechten Ernährung, kann die kontrollierte Einnahme von Mikronährstoffen wie Vitamin D, Selen und L-Carnitin einen wichtigen Beitrag dazu liefern, das Immunsystemzu unterstützen, Entzündungsprozesse zu verringern, Nebenwirkungen der Therapie zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.

Problem Mangelernährung

Zum Zeitpunkt der Diagnose haben je nach Krebsart und Krebsstadium bereits 30 bis 90% der Patienten ungewollt an Gewicht verloren. Viele Patienten ernähren sich unausgewogen und nehmen stark ab, weil sie aufgrund der Erkrankung unter Appetitlosigkeit und Depressionen leiden, bestimmte Lebensmittel nicht mehr vertragen oder sich das Geschmacks- und Geruchsempfinden verändert hat.

Darüber hinaus begünstigen krankheitsbedingte Stoffwechselstörungen und vor allem Nebenwirkungen der Chemo- und Strahlentherapie (z.B. Schleimhautschäden, Übelkeit, Erbrechen), dass der Betroffene weiter an Gewicht verliert und somit eine Mangelernährung auftritt. Unter Mangelernährung bauen Krebspatienten vor allem vermehrt Muskulatur, aber auch Fettgewebe ab (Abb.1).

Abb. 1 Entwicklung der Mangelernährung

Mangelernährung ist bei Krebspatienten mit einer deutlichen Minderung der Leistungsfähigkeit, erhöhtem Risiko für Begleitkomplikationen, reduzierter Lebensqualität und einer erhöhten Sterblichkeit verbunden.

Mehr Fett und Eiweiß

Aktuelle Erkenntnisse aus der Ernährungsmedizin sprechen dafür, dass Krebspatienten – vor allem solche mit schlechtem Ernährungsstatus – sich nicht kohlenhydratreich ernähren, sondern deutlich mehr Eiweiß und Fett verzehren sollten.

Der Körper eines Krebspatienten benötigt für eine ausreichende Energieversorgung vor allem Eiweiß und Fett. Demgegenüber haben Krebszellen einen vermehrten Bedarf an einfachen Kohlenhydraten und Glukose.

Eine aktuelle Studie an 1.011 Darmkrebspatienten zeigt, dass eine hohe Kohlenhydratzufuhr das Wiederauftreten der Krebserkrankung begünstigt und die Sterblichkeit signifikant erhöht.

Professor Dr. med. Holm vom Uniklinikum Mannheim, empfiehlt Krebspatienten eine tägliche Eiweißzufuhr von mindestens 1,4 bis 2,0 kg Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht – also eine ähnlich hohe Eiweißaufnahme wie bei einem Kraftsportler. Die übrigen Kalorien sollten zumindest zu 50% aus Fett stammen. Kohlenhydrate (z.B. Kartoffeln, Nudeln, Süßigkeiten, süße Getränke,Weißmehlprodukte) sollten natürlich eingeschränkt werden. Diese als metabolisch adaptierte Kost bekannte Ernährungsform berücksichtigt bereits den bei Krebserkrankungen veränderten Stoffwechsel.

Studien haben gezeigt, dass Krebspatienten im Hinblick auf die Stabilisierung des Körpergewichtes und der Muskelmasse von einer eiweiß- und fettreichen, aber kohlenhydratarmen Kost profitieren können.

Mikronährstoffmangel bei Krebs

Die verschiedenen Faktoren (z.B. Appetitlosigkeit, Stoffwechselstörungen), die zur Entwicklung einer Mangelernährung bei Krebspatienten beitragen, betreffen nicht nur die Energie liefernden Makronährstoffe (Eiweiß, Fette, Kohlenhydrate), sondern vor allem auch die Stoffwechsel regulierenden Mikronährstoffe (Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente). Da Makronährstoffe die natürlichen Träger von Mikronährstoffen sind, zählt die Mangelernährung zu einer der Hauptursachen bei Krebspatienten für eine mangelhafte Versorgung mit Vitaminen und anderen lebenswichtigen Mikronährstoffen. Unter den onkologischen Basistherapien kann sich der Mikronährstoffmangel noch verschärfen.

Studien belegen, dass sich der Ernährungsstatus von Krebspatienten durch die Einnahme von Vitamin- und Mineralstoff-Präparaten verbessern lässt.

Bei den meisten Krebspatienten besteht ein multipler Mangel an Mikronährstoffen, den man auch durch eine entsprechende Laboruntersuchung (z.B. Messung von Selen im Vollblut, Messung von 25-OH-Vitamin D im Serum) erfassen kann.

Die Bedeutung einer Supplementierung von Vitaminen und anderen Mikronährstoffen als begleitende Maßnahme zur Ernährungstherapie wird durch die Ergebnisse von Studien untermauert, wonach die Einnahme eines Multivitamin-Mineralstoff-Präparates sowohl die Lebensqualität als auch die Prognose von Krebspatienten verbessern kann. So war in einer Studie der Mayo Klinik an 1.129 Lungenkrebspatienten das Sterberisiko bei Verwendern von Mikronährstoff-Präparaten im Vergleich zu Patienten, die keine Supplemente einnahmen, um 26% vermindert. Zudem war in dieser Studie der Einsatz eines Mikronährstoffpräparates mit einer Verbesserung der Lebensqualität verbunden.

Ausgewählte Mikronährstoffe in der Krebstherapie

Vitamin D

Eine mangelhafte Versorgung mit Vitamin D findet sich krankheits- und therapiebedingt besonders häufig bei Krebspatienten. Ein Vitamin-D-Mangel (25-OH-D < 20 ng/ml) kann den Verlauf einer Krebserkrankung (z.B. Brustkrebs) nachteilig beeinflussen, die Effektivität tumordestruktiver Maßnahmen (Chemo-, Strahlentherapie) stören und die Lebensqualität der betroffenen Patienten verringern. Bereits am Tag der Diagnose sollte deshalb bei jedem Krebspatienten der 25-OH-D-Status kontrolliert und entsprechend durch die kontrollierte Einnahme von Vitamin D-Supplementen normalisiert werden.

In einer kanadischen Studie beobachteten Wissenschaftler vom Mount Sinai Hospital in Toronto den Krankheitsverlauf von 512 Frauen mit Brustkrebs etwa zwölf Jahre lang, von 1997–2008.

Das Durchschnittsalter der Frauen betrug bei Diagnosestellung 50,4 Jahre. 37,5 % der Patientinnen mit Brustkrebs hatten bei Diagnosestellung einen ausgeprägten Vitamin D-Mangel (25 OH D < 20 ng/ml). Nur 24 % der betroffenen Frauen hatten einen fast normalen Vitamin D-Status (25-OH-D > 29 ng/ml). Ein Vitamin D-Mangel war mit dem Auftreten aggressiverer Brustkrebsformen verbunden. Nach zwölf Jahren war bei Frauen mit einem Vitamin D-Mangel das Risiko für eine Metastasierung gegenüber denjenigen mit normalem Vitamin D-Status um 94 % erhöht. Die Wahrscheinlichkeit, vorzeitig an der Erkrankung zu versterben, stieg bei einem Vitamin D-Mangel um 73 %. Eine aktuelle Metaanalyse mit 4.443 Brustkrebspatientinnen, die vor kurzem im Fachjournal Anticancer Research veröffentlicht wurde, zeigt, dass Patientinnen mit einem guten 25-OH-D-Status (25(OH)D: ~ 30 ng/ml) gegenüber Patientinnen mit einem Vitamin D-Mangel (25-OH-D:~17 ng/ml) nahezu eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit haben, die Krebserkrankung zu überleben.

Krebsmedikamente können Vitamin D abbauen

Eine Reihe der in der medikamentösen Krebstherapie eingesetzten Arzneistoffe (z.B. Epirubicin, Doxorubicin, Docetaxel) kann zusätzlich den Vitamin D-Abbau fördern und damit sogar das Risiko für einen therapiebedingten Vitamin D-Mangel sowie Knochen- und muskuläre Störungen (z.B. Osteoporose, Muskelschwäche, Fatigue) erhöhen.

Aromatasehemmer werden durch Vitamin D verträglicher

Aromatasehemmer (z.B. Anastrozol, Letrozol) sind Arzneimittel zur Zusatzbehandlung von Brustkrebs bei Frauen nach den Wechseljahren. Sie hemmen die Bildung von weiblichen Geschlechtshormonen, der Östrogene, die einen Wachstumsreiz für die Krebszellen darstellen. Häufige Nebenwirkungen dieser Medikamente sind Knochen- und Gelenkschmerzen (Arthralgien) sowie Fatigue-Symptome. In einer aktuellen Studie an Brustkrebspatientinnen konnte durch die hochdosierte Gabe von Vitamin D die Arthralgierate und auch die Fatigue-Beschwerden deutlich gegenüber den Patientinnen, die nicht begleitend Vitamin D einnahmen, gesenkt werden. Auch bei einer Therapie mit Tamoxifen solle der Vitamin D-Haushalt normalisiert werden.

Bisphosphonate wirken besser durch Vitamin D

Neben der Osteoporosetherapie werden Bisphosphonate auch in der Therapie von Krebserkrankungen (z.B. Knochenmetastasen) eingesetzt. In Deutschland sind folgende Bisphosphonate zugelassen: Etidronat, Clodronat, Alendronat, Ibandronat, Risedronat und Zoledronat. Ein Vitamin D-Mangel kann die Wirksamkeit der Bisphosphonate verringern und gleichzeitig Nebenwirkungen dieser Medikamente erhöhen. Die Kiefernekrose ist eine gesicherte Nebenwirkung der Bisphosphonate (z.B. Pamidronat, Zoledronat). Daher ist eine Therapie mit Bisphosphonaten bei einemVitamin D-Mangel kontraindiziert, d.h. vor dem Einsatz von Bisphosphonaten muss der Arzt den 25-OH-D-Haushalt in jedem Fall auf einen normalen Status von 40–60 ng/ml (bzw. 100-150 nmol/l) durch die adäquate Supplementierung von Vitamin D einstellen.

Empfehlungen für die Praxis

In der Praxis hat sich zum schnellen Ausgleich eines Vitamin D-Mangels initial die hoch dosierte Einnahme von Vitamin D3 bewährt. Bekanntlich erhöhen 40 I.E. (= 1 μg) Vitamin D3 den Blutspiegel an 25-OH-D um etwa 1 nmol/l im Blutserum. Danach lässt sich mit Hilfe einer einfachen Formel, die das Körpergewicht (KG) berücksichtigt, die initiale Vitamin D-Dosierung (VDI) wie folgt berechnen:

VDI: 40 × [Sollwert - Istwert (nmol/l)] × kg KG

Bei einer Person mit einem 25(OH)D-Wert von 10 nmol/l und einem Körpergewicht von 65 kg würde sich danach die initiale Vitamin D-Dosierung (VDI) bei einem Sollwert von 150 nmol/l wie folgt berechnen:

40 × [150–10 (nmol/l)] × 65 kg KG = 364.000 I.E. Vitamin D3

Die auf diese Weise errechnete Initialdosis von 364.000 I.E. Vitamin D3 sollte über 7–10 Tage verteilt eingenommen werden, d.h. 9 Tage lang etwa 40.000 I.E. Vitamin D3 täglich. Im Anschluss an diese kurzfristige und hoch dosierte Vitamin D3-Therapie ist eine regelmäßige Einnahme von täglich 40–60 I.E. Vitamin D3 pro kg KG empfehlenswert. Nach etwa acht Wochen sollte der 25-OH-D-Status nochmals kontrolliert werden, um zu überprüfen ob, die Vitamin D3-Dosierung ausreichend war und beibehalten werden kann.

Deutschland zählt wie viele andere Staaten in Europa zu den selenarmen Gebieten. Auch bei ausgewogener Ernährung erhält ein Erwachsener kaum je mehr als 45 μg Selen pro Tag, da unsere Lebensmittel in der Regel nur wenig Selen enthalten. Gute Selenquellen sind Paranüsse, Steinpilze, Innereien (z.B. Nieren) und Seefisch (z.B. Thunfisch). Zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebserkrankungen sollte ein Erwachsener etwa 1,5 bis 2 μg Selen pro Kilogramm Körpergewicht am Tag zuführen (bei 70 kg Körpergewicht: 105-140 μg Selen pro Tag). Der persönliche Selenstatus lässt sich einfach beim Arzt anhand einer Bestimmung der Selenspiegel im Blutserum oder im Vollblut ermitteln.

Nach den Ergebnissen einer großen US-amerikanischen Studie mit über 13.800 Personen sollte der Selenspiegel im Blutserum für die optimale Funktion der selenabhängigen Enzyme sowie die optimale krankheitsvorbeugende Wirkung des Spurenelements zwischen 110 und 130 μg/l liegen, das entspricht in etwa einem Selenwert im Vollblut von 130 bis 155 μg/l (siehe auch Tab.1).

 

 


Blutserum

< 80 μg/l
110-130 μg/l
≥ 900 μg/l


Vollblut

< 100 μg/l
130-155 μg/l
≥ 1087 μg/l


Bewertung des Selenstatus

Selenmangel
Optimaler Referenzbereich
Beginnende Toxizität

Tab. 1 Laborwerte für Selen

Wichtig: Zu niedrige, aber auch zu hohe Selenwerte können langfristig einen negativen Einfluss auf die Gesundheit haben. Vor der Supplementierung von Selen sollte daher sowohl bei Gesunden als auch bei Krebspatienten der Selenstatus labordiagnostisch überprüft werden.

In klinischen Studien mit Krebspatienten konnte durch die Gabe von Selen während der Chemo- und Strahlentherapie die Nebenwirkungsrate reduziert und zum Teil auch die Überlebensrate günstig beeinflusst werden, ohne die Krebs zerstörende Wirkung der Therapie zu beeinträchtigen.

Selen verringert Nebenwirkungen der Chemotherapie

In klinischen Studien an Krebspatienten, die mit den Chemotherapeutika Cisplatin, Cyclophosphamid, Doxorubicin oder Vincristin behandelt wurden, konnte man durch den simultanen Einsatz von Selen zur Chemotherapie die schädigende Wirkung auf das Blutzellsystem (Hämatotoxizität) und auf die Nierenfunktion (Nephrotoxizität) signifikant verringern. Zum Teil war auch eine Verbesserung des Gesamtüberlebens beobachtbar. Um einen optimalen Schutzeffekt zu erzielen, geben komplementärmedizinisch arbeitende Ärzte den behandelten Krebspatienten unmittelbar vor der Chemotherapie nicht selten Infusionen mit hochdosiertem Selen (z.B. 1000 μg Selen als Natriumselenit).

Selen verringert Nebenwirkungen der Strahlentherapie

In Studien an Patienten mit HNO-Tumoren führte die simultane Gabe von Selen zur Bestrahlung zu einer signifikanten Verringerung von Schluckstörungen (Dysphagie). Die simultane Gabe von Selen zur Bestrahlung von Patientinnen mit Uterustumoren führte gegenüber der Plazebogruppe zu einer signifikanten Reduktion der strahlenbedingten Durchfallrate (radiogenen Diarrhörate). In der Krebstherapie sollte grundsätzlich das anorganische Selen, das Natriumselenit, eingesetzt werden (Dosierung: 200-500 μg/Tag p.o.). Diese Selenform wird vom Körper gut verwertet und ist therapeutisch gut steuerbar. Das organische Selenomethionin und die Selenhefe sind nicht so gut steuerbar und können sich zudem im Körper anreichern. Diese Selenformen sind im Dosierungsbereich von 50 bis 100 μg Selen vor allem für Gesunde empfehlenswert.

L-Carnitin

Ein Mangel an L-Carnitin wird bei zahlreichen chronischen Erkrankungen, insbesondere auch bei Krebserkrankungen beschrieben.

Studien zufolge weisen bis zu 80 % der Patienten mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen einen Mangel an L-Carnitin auf, der vom Körper nicht ausgeglichen werden kann.

Die bisher bekannten Ursachen für einen Mangel an L-Carnitin bei Krebspatienten sind vielfältig:

  • Ernährungsbedingter Mangel bei Malnutrition (z.B. Mangel an Eisen, Vitamin C, L-Methionin)
  • Wechselwirkung mit Chemotherapeutika (z.B. Epirubicin, Doxorubicin) mit der zellulären L-Carnitinaufnahme (Transport von L-Carnitin in die Zelle)
  • Störung der Biosynthese von L-Carnitin durch Chemotherapeutika (z.B. Epirubicin, Doxorubicin)
  • Steigerung der Ausscheidung von L-Carnitin über die Nieren (z.B. Cisplatin, Ifosfamid)

Für den Einsatz von L-Carnitin im Rahmen der Krebstherapie sprechen die gute Verträglichkeit, die immunstabilisierende Wirkung, die potenzielle zellschützende Wirkung unter der Chemotherapie sowie die fehlende Beeinträchtigung des erwünschten krebszellzerstörenden Effekts der Chemotherapie. Einige Chemotherapeutika führen dazu, dass dem Körper vermehrt L-Carnitin verloren geht. Das kann den Allgemeinzustand und die körperliche Leistungsfähigkeit der Betroffenen schwächen.

Die Supplementierung von L-Carnitin (z.B. 3x 1.000 mg pro Tag) kann Studien zufolge bei Krebspatienten den Ernährungszustand und die Lebensqualität verbessern, das Immunsystem stabilisieren sowie Nebenwirkungen der Chemotherapie (z.B. schädigende Wirkung auf Herzmuskel- und Nervenzellen) verringern. Zur Verbesserung des Ernährungszustandes bei Krebspatienten mit körperlicher Auszehrung und Abgeschlagenheit wird L-Carnitin auch kombiniert mit den langkettigen Omega-3-Fettsäuren Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA).

Omega-3-Fettsäuren (EPA, DHA)

Aufgrund ihrer ausgeprägten antientzündlichen Wirkung wirken die Omega-3-Fettsäuren Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) dem Gewichtsverlust bei Krebspatienten entgegen. Auch der Appetit wird durch Eicosapentaensäure (EPA) bei den Betroffenen verbessert. In Studien an ausgezehrten Krebspatienten konnte man durch Supplementierung von Eicosapentaensäure (EPA) das Körpergewicht verbessern, den weiteren Gewichtsverlust verhindern sowie die Lebensqualität und Prognose steigern. Erste Arbeiten geben auch Hinweise darauf, dass Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) die krebszelltoxische Wirkung der Chemo- und Strahlentherapie verbessern kann. Bei Krebs wird empfohlen, täglich 1.500 mg bis 2.000 mg der langkettigen Omega-3-Fettsäuren (EPA) zu supplementieren.

Vitamin C

Der Bedarf an Vitamin C ist in Phasen hoher körperlicher Belastung und bei verschiedenen Erkrankungen (z.B. Diabetes, Krebs) erhöht. Bei Krebspatienten, vor allem mit fortgeschrittenen Erkrankungen, findet sich häufig ein ausgeprägter Vitamin C-Mangel, der sich sogar in Symptomen der klassischen Vitamin C-Mangelkrankheit Skorbut bemerkbar machen kann (z.B. Muskelschwund, Erschöpfung, Müdigkeit, Zahnfleischbluten). In erster Linie sollte man als Krebspatient auf eine an Vitamin C-reiche Ernährung mit viel frischem Obst und Gemüse achten.

Zur allgemeinen Basisversorgung mit Mikronährstoffen empfiehlt sich die Einnahme eines Vitamin C-haltigen Multivitamin-Mineralstoff-Präparates in physiologischer Dosierung (z.B. mit 500 mg Vitamin C pro Tagesportion). In aktuellen Studien mit Brustkrebspatientinnen konnte man durch Vitamin C-Infusionen die Häufigkeit von Appetitlosigkeit und Erschöpfungssymptomen deutlich vermindern. Vitamin C-Infusionen werden vor allem bei Wundheilungsstörungen nach Operationen, bei Erschöpfungssymptomen (Fatigue) und körperlicher Auszehrung (Kachexie) unter ärztlicher Kontrolle eingesetzt.

(Literatur bei den Autoren)

Weitere Informationen: www.mikronaehrstoff.de

 

Medizinrecht – Aktuelle Urteile: Hyperthermie-Erstattung

Dr. Frank Breitkreutz, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht, Berlin

Hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit der Kosten für hyperthermische Behandlungen existiert bekanntlich keine einheitliche Meinung. Eine jedwede Übernahme durch Kostenträger ist ebenso wenig gesichert, wie eine pauschale Ablehnung der Behandlungskosten gerechtfertigt ist.

Angesichts der unterschiedlichen Erscheinungsformen hyperthermischer Behandlungen (aktive und passive Hyperthermie; Ganzkörper- oder regionale Tiefenhyperthermie), der Kombinationsmöglichkeiten mit anderen Therapien (Monohyperthermie oder begleitend zu Tumorentitäten, die wiederum potentiell unterschiedlich auf den postulierten Wirkmechanismus reagieren) muss dies nicht verwundern. Es handelt sich doch insgesamt um ein recht komplexes und vielschichtiges Themengebiet mit unterschiedlich belastbaren Datenlagen.

Wie so oft entscheidet der Einzelfall.

I. Die Theorie …

Ohne an dieser Stelle die spezialgesetzlichen Details zu vertiefen, unterscheiden Gesetzgeber und Rechtsprechung zwischen „normalen“ Erkrankungen und unheilbaren, direkt lebensbedrohlichen Indikationen:

  • Bei den üblichen akutmedizinischen Krankheiten ist die Kostenerstattung im Interesse an einem bezahlbaren (Kranken-) Versicherungsschutz auf solche Behandlungen begrenzt, für die eine nach den Maßstäben der evidenzbasierten Medizin nachgewiesene Wirksamkeit besteht.
  • Bei unheilbaren und lebensbedrohlichen Erkrankungen hingegen, bei der jeder, leitliniengerecht wie experimentell, gleichwohl durchgeführten Behandlung zwangsläufig Versuchscharakter zukommen muss, kann denklogisch nicht auf die tatsächliche Eignung der Methode abgestellt werden. Hier sind Kosten schon dann zu erstatten, wenn die Behandlung im Zeitpunkt ihrer Vornahme als wahrscheinlich angesehen werden konnte, zumindest auf eine Verlangsamung der Erkrankung hinzuwirken. Ausreichend ist bereits, dass dieses mit nicht nur ganz geringer Erfolgsaussicht möglich erscheint. Für gesetzlich Versicherte kommt hinzu, dass Standardmethoden des Leistungskataloges nicht mehr zur Verfügung stehen dürfen.

Vereinfacht ist, wenn auch für gesetzlich und privat Versicherte unterschiedlich geregelt, umso weniger Evidenz notwendig, je seltener und lebensbedrohlicher die Erkrankung ist und je weniger „schulmedizinische“ Versorgungsalternativen (noch) zur Verfügung stehen.

II. … und die Praxis

Trotz dieser durchaus liberalen Rechtslage erweist sich der Erstattungsstreit über Hyperthermie-Kosten in der Realität nicht selten als Kampf gegen Windmühlen. Hauptgrund ist die Beurteilungshoheit der Sachverständigen über die medizinischen Voraussetzungen der Leistungspflicht. Denn nicht der Behandler selbst, sondern der gerichtlich bestellte Sachverständige (in der Regel ein lokaler Universitätsprofessor und/oder Chefarzt des einschlägigen Fachgebietes) „entscheidet“, ob im jeweiligen Streitfall tatsächlich die Aussicht auf spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestand oder nicht.

Hier wiederum wird aus Sicht des Verfassers fast immer ein überspanntes Evidenzniveau angelegt.

Die weit überwiegende Anzahl der Sachverständigen verfahren beim Verfassen ihrer (Aktenlage-)Gutachten schlichtweg nach dem Grundsatz, dass es bei unzureichender Publikationslage zwangsläufig an jeglicher Erfolgsaussicht der begehrten Therapie fehlen muss („Was nicht publiziert ist, kann nicht helfen“). Indizien jenseits hochrangiger Journals – wie etwa die zeitliche Korrelation von Behandlung und Besserung des Gesundheitszustandes und/oder der Laborparameter; die wissenschaftliche Plausibilität des Ansatzes oder präklinische Ergebnisse – werden fast nie beachtet.

Durch diese „Ausgliederung“ der streitentscheidenden Frage unterliegen Versicherte oft auch dort, wo ein – nicht selten erstaunlicher – Heilerfolg greifbar auf die hyperthermische Behandlung zurückgeht.

Eine in diesem Zusammenhang erfrischende Lektüre bieten die nachstehenden Entscheidungen aus der Mandatspraxis des Verfassers. Lesenswert sind sie vor allem wegen der erfreulich lebensnahen Begründung der jeweils erforderlichen Alternativlosigkeit bzw. der hinreichenden Erfolgsaussicht.

1. Sozialgericht Nürnberg verpflichtet Techniker Krankenkasse zur Übernahme immunbiologischer Behandlung (01/2015)

Sachverhalt

Bei dem Patienten wurde ein hirneigener Tumor diagnostiziert (Glioblastom, WHO-Grad IV). Nach neurochirurgischer Resektion erfolgte eine Bestrahlung; eine Chemotherapie wurde wegen fehlender Methylierung nicht durchgeführt. Angesichts der Bedrohlichkeit der Erkrankung unterzog sich der Patient neben der Strahlentherapie einer immunbiologischen Behandlung, bestehend im Wesentlichen aus dendritischen Zellen, onkolytischen Viren, Mistelpräparaten und hyperthermischer Behandlung.
Für den Zeitraum nach der Tumorresektion konnte so ein stabiler Befund erreicht werden. Ungefähr 12 Monate nach der Erstdiagnose wurde allerdings ein Rezidiv festgestellt, was zur erneuten operativen Entfernung des Hauptherdes führte. Zusätzlich beabsichtigte der Patient, die immunbiologische Behandlung weiterzuführen.

Verfahren

Die beantragte Kostenerstattung lehnte die Techniker Krankenkasse ab: Durch die wissenschaftlich anerkannte Kombination aus Operation, adjuvanter Strahlentherapie und Zytostase (neben anerkannter palliativer Begleittherapie) sei in jedem Fall eine Verbesserung der Lebensqualität, oft auch ein relativ langes Überleben gewährleistet. Die begehrte Therapie hingegen biete – sowohl hinsichtlich ihrer Einzelbestandteile als auch in ihrer Kombination – unter keinen Umständen die Aussicht auf spürbar positive Auswirkung auf den Krankheitsverlauf.

Da der Patient seine privaten Rücklagen für die Finanzierung der Behandlung aufgebraucht hatte, wurde eine gerichtliche Eilentscheidung beantragt. Das zuständige Sozialgericht Nürnberg erließ die begehrte einstweilige Anordnung und verpflichtete die Techniker Krankenkasse mit Beschluss vom 29. Januar 2015, sowohl die Kosten für die weitere immunbiologische Behandlung (vorläufig) zu übernehmen als auch die ebenfalls begehrte MTX-HSA-Chemotherapie nebst Eigenblut-Ozoninfusionen (vorläufig) als Sachleistung zu gewähren.

Zur Begründung argumentierte das Gericht im Wesentlichen mit der gebotenen Folgenabwägung: Gewisse Indizien für die Aussicht auf spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf lägen vor, wie sich aus den Stellungnahmen des behandelnden Arztes sowie den aufbereiteten Nachweisen über die aktuellen Forschungstätigkeiten ergäbe. Demgegenüber bestünde trotz der aktuell möglichen Kombinationstherapien aus Operation, Bestrahlung und Chemotherapie noch immer eine relativ schlechte Prognose für Glioblastom-Patienten. Da ein medizinisches Fachgutachten wegen der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen Eile nicht einzuholen sei, müsse anhand einer Folgenabwägung entschieden werden. Hier wiederum wiege das Interesse des Patienten an einer möglichen Lebensverlängerung deutlich schwerer als die Belange der Versichertengemeinschaft.

2. Sozialgericht Aachen verpflichtet KKH zur Kostenerstattung für eine Thermo-Chemotherapie (02/2015)

Sachverhalt

Bei dem gesetzlich Versicherten wurde im Juli 2013 ein metastasiertes PankreasCa diagnostiziert. An die unmittelbar erfolgte Operation schloss sich eine sechsmonatige Chemotherapie an. Kurz vor deren Ende wurde ein Rezidiv des Tumors festgestellt. Später wurden überdies multiple Lebermetastasen diagnostiziert.
Da sich der Tumor als chemotherapieresistent erwies und der Patient die konventionelle Chemotherapie nur schlecht vertrug, entschloss er sich zur Durchführung einer Thermo-Chemotherapie (Chemotherapie unter extremer Ganzkörperhyperthermie, nachstehend: TCHT). Unter der TCHT gingen die Beschwerden deutlich zurück, vor allem die Schmerzen. Auch konnten ein weiteres Größenwachstum der Tumormasse und der bisherige Anstieg der Tumormarker aufgehalten werden.

Verfahren

Trotz des erfreulichen Therapieverlaufs verweigerte die gesetzliche Krankenversicherung unter Berufung auf ein eingeholtes MDK-Gutachten die beantragte Kostenerstattung: Als Behandlungsalternative stehe eine weitere (palliative) Chemotherapie zur Verfügung. Im Übrigen seien hyperthermische Verfahren durch den Gemeinsamen Bundesausschuss negativ bewertet, mithin aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen worden. Letztlich existiere kein Nachweis eines medizinischen Nutzens der TCHT.

Die vom Verfasser beantragte einstweilige Anordnung wurde antragsgemäß erlassen: Das zuständige Sozialgericht Aachen verpflichtete die gesetzliche Krankenversicherung mit Beschluss vom 02. Februar 2015, die Kosten für einen weiteren Zyklus der begehrten TCHT (vorläufig) zu übernehmen. Zur Begründung führte es aus, dass hyperthermische Verfahren zwar in der Tat durch den GBA negativ bewertet worden seien, dies allerdings einer außervertraglichen Versorgung nach den „Nikolaus“-Grundsätzen nicht entgegenstehe. Die in § 2 Abs. 1a SGB V kodifizierten Voraussetzungen wiederum lägen vor, wie sich unter anderem aus der Stellungnahme des behandelnden Arztes ergäbe.

Erfreulich lesen sich insbesondere die Ausführungen des Gerichtes zu den nicht (mehr) vorhandenen Versorgungsalternativen: Nach Auffassung der befassten Kammer sprach angesichts der vorgelegten Befunde und Studienergebnisse einiges für einen Zusatznutzen der begehrten Therapie, was (zumindest in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes) dem Fehlen einer Standardtherapie gleichzustellen sei (!). Angenehm lebensnah ist weiter, dass die geforderte Aussicht auf „spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf“ (allein) damit begründet wurde, dass der Patient unter der Therapie weitgehend beschwerdefrei wurde und ausweislich der bildgebenden Untersuchungen kein weiteres Größenwachstum der Tumormasse zu verzeichnen war. Dies bestätige auch die Labordiagnostik (Tumormarker), weshalb, so das Gericht, auch für die Zukunft „eine erhebliche Beschwerdelinderung und ein deutliches Mehr an Lebensqualität“ zu erwarten sei.

3. Das Beste zum Schluss:
Sozialgericht Berlin verurteilt Techniker Krankenkasse zur ambulanten regionalen Tiefenhyperthermie in Gestalt der Elektrohyperthermie (03/2015)

Sachverhalt

Bei der Mandantin wurde ein Leiomyosarkom des Uterus mit multiplen Lungenmetastasen diagnostiziert. Ein auf Heilung ausgerichteter Therapieansatz bestand nach übereinstimmenden Angaben der behandelnden Ärzte und des MDK nicht (mehr); die Erkrankung konnte nur noch palliativ behandelt werden. Auf Anraten ihrer behandelnden Ärzte unterzog sich die Patientin neben der Chemotherapie einer hyperthermischen Behandlung in Gestalt der regionalen Tiefenhyperthermie (als „Elektrohyperthermie“).

Ziel der Hyperthermie war, die Nebenwirkungen der Chemotherapie zu mildern und die Lebensqualität zu erhöhen. Ferner bestand nach aktueller Datenlage die Aussicht auf eine Lebensverlängerung.

(Gerichts-)Verfahren

Die beantragte Kostenerstattung lehnte die Techniker Krankenkasse auf der Grundlage mehrerer MDK-Stellungnahmen ab: Ein therapeutischer Nutzen sei nicht nachweisbar; im Übrigen stünden weitere (palliative) Chemotherapien zur Verfügung. Der sodann unter Aufbereitung der medizinischen Datenlage erhobenen Klage wurde mit Urteil vom 18. März 2015 vollumfänglich stattgegeben: Das zuständige Sozialgericht Berlin verurteilte die Techniker Krankenkasse zur Erstattung der bisher entstandenen Kosten für die (ambulanten) hyperthermischen Behandlungen. Zusätzlich verpflichtete das Gericht die Gesetzliche Krankenversicherung, auch für die Zukunft hyperthermische Behandlungen als Sachleistung zu erbringen.

Hinreichende Erfolgsaussicht der Hyperthermie:
Erfreulich lebensnahe Begründung

Unter erfreulich lebensnaher Begründung führte das Gericht aus, dass im Streitfall aufgrund verfassungsrechtlicher Gewährleistungen ein Anspruch auf Kostenerstattung bzw. künftige Versorgung mit der außervertraglichen Methode bestehe. Für die begehrte hyperthermische Behandlung lägen die Voraussetzungen des „Nikolaus“-Paragraphen § 2 Abs. 1 a SGB V vor, mithin

  • eine lebensbedrohliche Erkrankung
  • für deren Behandlung anerkannte Methoden nicht (mehr) zur Verfügung stehen
  • eine hinreichende Erfolgsaussicht der begehrten hyperthermischen Behandlung.

Leitliniengerechte (Palliativ-)Therapie keine „allgemein anerkannte Behandlungsmethode“ i. S. v. § 2 Abs. 1 a SGB V

Angenehm liest sich insbesondere die Auseinandersetzung mit der zweiten Voraussetzung des § 2 Abs. 1 a SGB V, dem Vorhandensein vertragsärztlicher Versorgungsalternativen. Das Gericht führte insoweit unter substantiierter Auseinandersetzung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung aus, dass auch in einer reinen Palliativsituation ein Anspruch auf außervertragliche (Palliativ-)Behandlung besteht, sofern die „neue“ Methode einen über die Standardbehandlung hinausgehenden Therapieerfolg bieten kann. Dieser wiederum könne, so das Gericht ausdrücklich, auch „nur“ in einer (weiteren) Verbesserung der Lebensqualität liegen.

Wörtlich heißt es in der Entscheidung:
„Nach Auffassung der Kammer lag und liegt hier die Aussicht auf einen über die palliative Standardtherapie hinausgehenden Erfolg der Hyperthermiebehandlung vor. Ein solcher kann nicht nur darin liegen, dass eine Aussicht auf Heilung besteht. Vielmehr kann er auch in einer nicht unerheblichen Verlängerung der Lebenserwartung oder einer erheblichen Verbesserung der Lebensqualität bestehen. Bietet die alternative Therapie gegenüber der Standardtherapie die Aussicht auf eine (weitere) Verlängerung des Lebens, so steht jedenfalls im Hinblick auf die zusätzliche Lebenserwartung eine anerkannte Behandlungsmethode nicht zur Verfügung“. Soweit ersichtlich, hat dies bislang noch kein (Sozial-)Gericht derart deutlich ausgesprochen.

III. Zusammenfassung

Zwar werden die Voraussetzungen der Erstattungspflicht hyperthermischer Behandlungen bei inkurablen Erkrankungen in der Praxis oft zu streng ausgelegt, vor allem durch die „Auslagerung“ der streitentscheidenden Beurteilung auf die gerichtlich bestellten Sachverständigen. Die vorgestellten Gerichtsentscheidungen setzen insoweit allerdings ein positives Zeichen. Es bleibt zu hoffen, dass sich weitere Gerichte dieser Beurteilung anschließen. Dies gilt vor allem für die vom Sozialgericht Berlin vorgenommene Auslegung der Frage nach (noch) zur Verfügung stehenden Standardmethoden.

Weitere Informationen:
Dr. Frank Breitkreutz
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht, BBP Rechtsanwälte
Mommsenstraße 11, 10629 Berlin
Bildquelle: Dr. Breitkreutz, fotolia.com: -ree ei

 

Aktuelles aus der Krebsforschung

Darmkrebs

Wissen, wo ein Rückfall am wahrscheinlichsten ist:

Der Ursprungsort von Dickdarmkrebs wirkt sich darauf aus, an welcher Stelle bei einem Rückfall Metastasen bevorzugt auftreten. Eine Erkrankung an Darmkrebs zu heilen, gelingt nur durch eine Operation. Doch auch wenn zunächst alles Tumorgewebe entfernt zu sein scheint, kann es nach einer gewissen Weile zu einem Rückfall kommen, entweder am gleichen Ort oder mit Tochtergeschwülsten, so genannten Metastasen, in einem anderen Organ. Wissenschaftler untersuchten in einer aktuellen Studie, welche Faktoren eine Rolle dafür spielen, an welcher Stelle Rückfälle auftreten.

Die Forscher untersuchten die Daten von mehr als 10.000 Patienten mit Darmkrebs. Befallen waren der rechte oder linke Dickdarmabschnitt (Kolon) bzw. der obere oder untere Enddarmabschnitt (Rektum). Die Patienten waren durchschnittlich 71,5 Jahre alt, die meisten hatten einen Tumor im Stadium T3 und noch keinen Lymphknotenbefall. Ein Fünftel von ihnen hatte neben der Operation noch eine Radio-Chemotherapie erhalten. Bei 16 Prozent der Patienten kam es innerhalb von fünf Jahren zu einem Rückfall, am häufigsten in der Leber, Lunge oder lokal, an der eigentlichen Erkrankungsstelle.

Der ursprüngliche Entstehungsort des Tumors wirkte sich auf die Metastasierung aus: Bei Patienten mit Tumoren im linken Dickdarm kam es häufiger zu einzelnen Lebermetastasen, Enddarmkrebs hingegen kehrte entweder am gleichen Ort wieder oder breitete sich in die Lunge aus. Diese Ausbreitungstendenzen von Darmkrebs zu kennen, könne nach Ansicht der Studienautoren bei der Nachsorge von Darmkrebspatienten helfen und die entsprechenden Untersuchungen intensivieren.
(Quelle: Augestad, A. M. et al.: Metastatic spread pattern after curative colorectal cancer surgery. A retrospective, longitudinal analysis. Cancer Epidemiology 2015, http://dx.doi.org/10.1016/j.canep.2015.07.009; 21.08.2015)

Leberkrebs

Neuer Hinweis auf Schutzwirkung von Statinen

Vermutlich weniger Leberkrebs mit Statinen, die den Cholesterinspiegel senken. In einer britischen Registerstudie waren 1.195 Leberkrebspatienten (hapatozelluläres Karzinom HCC) mit Patienten ohne HCC verglichen worden. Dabei zeigte sich, dass die Einnahme von Statinen unter Berücksichtigung von Risikofaktoren mit einem signifikant niedrigeren Erkrankungsrisiko einherging. Der Zusammenhang zwischen Statinen und Leberkrebs war deutlicher bei Patienten mit als ohne chronische Lebererkrankung.
(Quelle: J Nati ancer Inst. 2015))

 

Milch ist nicht gleich Milch?

Risiko- oder Schutzfaktor im Hinblick auf Krebserkrankungen

Vera Spellerberg, Dipl. Oecotrophologin

Milch eines unserer wichtigen Grundnahrungsmittel ist gegenwärtig vielen Angriffen ob ihres gesundheitlichen Risikos ausgesetzt. Milcheiweißallergien im Kindesalter, zunehmende Lactoseintoleranz bei Frauen oder MSR-Virusgefahr durch Massentierhaltung in der Milchwirtschaft werden gegenwärtig ergänzt durch Vorwürfe, Milchverzehr könne außerdem das Krebsrisiko fördern.

Doch was ist dran an diesen Vorwürfen? Wie ist der von der DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) und anderen wichtigen nationalen und internationalen ernährungswissenschaftlichen Instituten empfohlene Milchverzehr einzuordnen, auch im Hinblick auf das Krebsrisiko?

Einige Aspekte im Rückblick: Eine ausreichende Lactasebildung im Dünndarm zur Milchzuckerverdauung musste sich evolutionsbiologisch erst durchsetzen, um aus Milch ein Grundnahrungsmittel, welches nährte und verdaulich war, werden zu lassen. Genau diese Verträglichkeit wurde entwicklungsgeschichtlich in den ersten Jahrtausenden eher durch den Verzehr von Schaf- und Ziegenmilch gewährleistet, da diese zu Beginn der milchverzehrenden Ära als Nahrungsressourcen eine viel größere Rolle spielten, während die Kuhmilch als regelmäßige Nahrungsquelle erst viel später genutzt wurde. Vielleicht ist deshalb auch die Adaption der Schaf- und Ziegenmilch viel erfolgreicher verlaufen, da sie auch heute noch signifikant seltener Milcheiweißallergien hervorrufen als die Kuhmilch. Kommt es zu dieser Milchallergie, die ja im Kindesalter sehr verbreitet ist, bieten Schaf- und Ziegenmilch oft eine gute Alternative.

Die Allergieforschung begründet diese bessere Verträglichkeit u.a. mit der kleinmolekularen Struktur, insbesondere der Fett- und Eiweißmoleküle und der dadurch verbesserten Verdaulichkeit und Bioverfügbarkeit. Trotz dieses ernährungsphysiologischen Vorteils, spielen diese Milchsorten heutzutage mengenmäßig als Nahrungsquelle kaum eine Rolle in der Bevölkerung.

Laut DGE liegen die empfohlenen Mengen für Kuhmilch pro Tag bei ca. 250 ml Milch und 50 – 60 Gramm Käse. Hartkäse wie Edamer und Emmentaler haben mit die höchsten Kalziumwerte, womit auch einer der wichtigsten Nährstoffe aus Milch genannt ist.

Wenn auch der Osteoporose-Vorwurf im Zusammenhang mit dem Milchverzehr immer wieder laut wird, so liefern doch alleine die o.g. Milch- und Milchproduktmengen ca. 600 mg Kalzium pro Tag. Damit ist Kuhmilch was die Kalziumversorgung angeht, laut DGE ein absolutes Spitzenprodukt.

Um Osteoporose vorzubeugen, sollte man ca. 1000 – 1200 mg Kalzium pro Tag zu sich nehmen, wobei ergänzend zur Milch: Gemüse, Vollkornprodukte und nicht zuletzt das Mineralwasser besonders geeignet sind. Kalzium benötigt außerdem zur Resorption in den Knochen Vitamin D und auch da sind die Relationen zwischen Kalziumanteil in der Milch und Vitamin D optimal aufeinander abgestimmt.

Milch versorgt zudem mit hochwertigem Eiweiß, mit Kohlenhydraten, mit fettlöslichen Vitaminen wie: A, D, E und K und mit einer Fülle an Spurenelementen. Nicht zuletzt überzeugt die Milch auch durch ihr breites und differenziertes Spektrum an kurz-, mittel- und langkettigen Fettsäuren, von denen bis heute immerhin bis zu 400 verschiedene isoliert wurden. Besonders die kurz- und mittelkettigen Fettsäuren machen das Milchfett super leicht verdaulich und das spielt u.a. in der diätetischen, gastrointestinalen Therapie bei Darmkrebs eine wichtige Rolle. Das Fettsäurespektrum des Milchfettes gliedert sich insgesamt zu einem Drittel in ungesättigte und zu zwei Drittel in gesättigte Fettsäuren auf. Genau die Letztgenannten übernehmen wichtige biologische Aufgaben als Energiequelle für Dickdarm-Zellen und sind damit in der Krebs-Prävention bedeutsam, berichten Arnold und Jahreis von der Universität Jena. Daneben wirken weitere gesättigte Fettsäuren nachweislich krebsschützend mit einer ausgeprägten antitumoralen Wirkung wie die sogenannten Capron-, Capryl- u. Caprinsäuren. Aber auch die Laurinsäure bewirkt durch ihr antibakterielles Spektrum einen nachweislich krebshemmenden Effekt. Alle genannten Fettsäuren sind natürlicher Bestandteil des Milchfettes.

Aktuell hierzu ergänzt das Bayrische Kompetenzzentrum Ernährung, in Kooperation mit dem Max-Rubner-Institut, dass bereits ein Glas Milch pro Tag das Risiko an Darmkrebs zu erkranken verringere.

Der Grund für diese Annahme: Kalzium in Verbindung mit der konjugierten Liniolsäure (CLA) und Molkenprotein schütze vor verschiedenen Krebserkrankungen. Molkenproteine erhöhen zwar das Größenwachstum des menschlichen Körpers und nehmen vor allem Einfluss auf die vermehrte Insulinproduktion, was problematischer Weise auch einen anabolen, muskel- und fettbildenden Effekt haben kann und den Anteil der Übergewichtigen in der Bevölkerung fördert.

Adipositas korreliert jedoch stark mit Brust- und Darmkrebs, die ja in Deutschland besonders oft vorkommen. Verstärkt wird dieser nachteilige Effekt außerdem durch den überproportionalen Verzehr gesüßter und besonders fettreicher Milchprodukte, wie fette Käsesorten und Sahnejoghurts etc. so dass hier ein indirekter Einfluss auch von Milchprodukten auf die Krebsentstehung ausgehen kann.

Milchsaure-Produkte wie Quark, Joghurt und Buttermilch, wirken dagegen protektiv, insbesondere im Hinblick auf Darmkrebs. Aus dieser Warte ist es auch zu verstehen, warum auf der internationalen Ebene die Ernährungsinstitute so um Milchmengen und -qualitäten streiten, denn Deutschland liegt mit der Empfehlung von 250 ml Milch oder Joghurt pro Tag (ca. 1 Glas), in fettarmer Qualität, eher am unteren Ende der Skala, während Amerika, Großbritannien und Australien mit 570 Milliliter Milch pro Tag, deutlich darüber liegen.

Dass geringere Milch-Verzehrmengen im Hinblick auf das Krebskrisiko eher günstig sind, belegte auch eine Metaanalyse zum Thema: Krebsrisiko durch Milchverzehr, durchgeführt von Johanna W. Lampe vom Cancer Research Center in Seattle.

Ihre Auswertung ergab, dass das Risiko beispielsweise im Hinblick auf Dickdarm- und Blasenkrebs zu erkranken, mit ca. 2–3 Gläsern Milch pro Tag sich deutlich verringere, dass jedoch gleichzeitig das Risiko gegenüber Prostatakrebs bei diesen und höheren Milchmengen zunahm.

So gesehen sei von einem regelmäßig höheren Milchkonsum grundsätzlich abzuraten. Wenn auch nicht abschließend verifiziert ist, wo genau das krebsauslösende Moment der Milch liegt, gibt es laut Lange jedoch einige Hinweise: Demnach scheint Milch Signalwege für Zellwachstum und -steuerung anzuregen und außerdem Regulationsmechanismen im Zellzyklus zu unterdrücken, was zu Tumorwachstum führen kann.

Prof. Leitzmann erwähnt in diesem Zusammenhang ebenfalls, dass der Kalziumgehalt der Milch und Milchprodukte möglicherweise ein Prostatakrebsrisiko darstelle und der höhere Fettgehalt im Käse laut Studienauswertung des World Cancer Research Found einen Einfluss auf die Entstehung von Dickdarmkrebs haben könne. Im Gegensatz dazu ist bekannt, dass Kalzium- und auch Kalziumsupplemente das Risiko an Dickdarmkrebs zu erkranken senke, so Leitzmann.

Der Grund hierbei: Kalzium verringere das Zellwachstum und fördere den programmierten Zelltod, die Apoptose. Ein weiterer Vorteil so Leitzmann, Kalzium gehe im Darm mit Fett- u. Gallensäuren unlösliche Verbindungen (Kalkseifen) ein, die einfach ausgeschieden werden und somit keinen Schaden an den Darmepithelien vornehmen können.

Wahrscheinlich schädlich, weil mit einem vermehrten Krebsrisiko einhergehend, ist auch industriell erzeugte Milch, zeigt eine aktuelle Harvard Studie! Diese Studie untersuchte Milch aus Massentierhaltung und entdeckte dabei, dass der Östrogenanteil der Milch deutlich erhöht war. Dieses Ergebnis machte den Forschern Sorgen, da einige einschlägige Tumorarten stark hormonabhängig sind und unter Verdacht stehen, für Hoden-, Prostata- und Brustkrebs verantwortlich zu sein. Vor allem das Melken trächtiger Kühe ist den Wissenschaftlern ein Dorn im Auge, so Dr. Davaasambuu. Der Hormonanteil der Milch in der Studie lag durchschnittlich um 33% höher als in der Vergleichsmilch, einer Rohmilch aus traditionell erzeugter Herstellung. Diese enthielt laut Havard Experten signifikant niedrigere Spiegel an Hormonen und dabei besonders an krebsfördernden Estronsulfat. Erwähnt sei an dieser Stelle auch, dass der Zusammenhang zwischen Hormonen und Tumorwachstum in der Krebsforschung schon lange bekannt ist. Der regelmäßige Verzehr derartiger Milchprodukte ist für das Forscherteamder Harvard University somit ein klares Indiz für die Häufigkeit der hormonbedingten Krebserkrankungen in den westlichen Industrieländern.

Auch bekräftigende epidemiologische Daten zeigen, dass in Ländern wie Dänemark und der Schweiz, in denen das Milchtrinken und Käseessen eine Art Nationalessen ist, der Hodenkrebs signifikant häufiger ist als beispielsweise in Algerien; einem Land, wo kaum Milch- und Milchprodukte verzehrt werden. Auch in Japan war innerhalb der letzten 50 Jahre zu beobachten, dass der erhöhte Milchprodukteverzehr mit einem Anstieg von Prostatakrebs einherging.

Derartige Zusammenhänge konnte die Krebsforschung auch in zahlreichen Laborversuchen bestätigen. Dennoch, so konstatiert der Harvard-Forscher Davaasambuu, ist Milch zwar ein komplexes, aber in Anbetracht der Nährstoffdichte auch ein überaus wertvolles Lebensmittel für die menschliche Ernährung. Sie enthält alle bereits o.g. Nährstoffe und als Roh- oder Vorzugsmilch angeboten, artgerecht gefüttert und von weidenden Kühen gemolken, ist sie ein potenter Aminosäurelieferant mit reichlich Omega-3 Fettsäuren und immunwirksamen Bifidusbakterien bestückt, die innerhalb von Tagen aus Milch eine Dickmilch werden lassen.

Schlussfolgernd lässt sich sicher sagen: Milch ist nicht gleich Milch!

In Anbetracht der Diskussion und Auseinandersetzung auch mit der veganen Szene, die ja den totalen Ausstieg aus der milchtrinkenden-Ära fordert, darf man sicher auch guten Gewissens unterstellen, dass Qualität und Menge des weißen Elixiers zuerst zur Disposition stehen, bevor es eventuell gerechtfertigt ist, für alle Menschen den Ausstieg aus dem Milchkonsum zu fordern.

Bezüglich des Krebsrisikos haben ja zumindest die Vegetarier laut Prof. Leitzmann die deutlich bessere Situation als die Allgemeinbevölkerung. Alle oben genannten, bis jetzt bekannten Krebsarten, die direkt oder indirekt auch mit dem Milchkonsum zu tun haben könnten, sind bei den Vegetariern deutlich weniger zu finden, als bei den Nicht-Vegetariern.

Zudem muss den Veganern zugute gehalten werden, dass sie insbesondere bei den geschlechtsspezifischen, weiblichen Krebsarten, signifikant besser abschneiden als alle Nicht-Veganer. Eine Situation, welche eventuell die kritischen Ausführungen der o.g. Harvard-Studie bestätigen. Eventuell liegt eine weitere Bekräftigung bezüglich der o.g. Fakten darin, dass immerhin der Durchschnittsdeutsche im Schnitt die immense Menge von ca. 67 Liter Milch- und Milchprodukte im Jahr verzehrt und das vorzugsweise als hochindustriell erzeugte Milch, mit allen auch verarbeitungstechnischen Problematiken und Risiken.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Milch von trächtigen, hoch hormonell belasteten Kühen, die eine auch aus Tierschutzgründen nicht zu akzeptierende Milchleistung erbringen müssen, sollte nachdrücklich abgelehnt werden. So dass die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung und des Max-Rubner-Instituts bezüglich der o.g. Milchverzehrsmengen und dem daraus resultierenden Krebsschutz zwar nachvollziehbar sind, die notwendigen Regelungen auf eine gesunde Produktion der Milch jedoch ausstehen.

Abschließend sei ein historisches Beispiel erwähnt, in dem Milchverzehr tatsächlich unumstritten massenhaft Schilddrüsenkrebs, insbesondere bei Kindern, hervorgerufen hat und das war verursacht durch das Reaktorunglück von Tschernobyl.

Weitere Informationen: veraspellerberg@web.de

 

„Das Rechte zu sehen, es aber nicht zu tun, ist Feigheit.“ (Konfuzius)

 

Aktuelles aus der Krebsforschung

Lungenkrebs

Wie gut die Immuntherapie bei Lungenkrebs wirkt

Ein neuer Wirkstoff kurbelt bei fortgeschrittenem nicht-kleinzelligem Lungenkrebs das Immunsystem an. Die Überlebensaussichten der Patienten verbessern sich dadurch erheblich. Das körpereigene Immunsystem gegen die Krebszellen durch Medikamente anzukurbeln – die Idee ist nicht neu, auf diese Weise wirksame Therapien hingegen schon. Für die Therapie von nicht-kleinzelligem Lungenkrebs, der sich schon in andere Organe ausgebreitet und dort Metastasen gebildet hat, wurde in den USA kürzlich ein neuer Wirkstoff zugelassen, der durch eine so genannte Checkpoint-PD-1-Blockade das Immunsystem anregt. Nun wurden auf der Jahrestagung der American Society of Clinical Oncology Ende Mai in Chicago die Ergebnisse der Zulassungsstudie ausführlich vorgestellt. Checkpoint-Blocker, wie das jetzt zugelassene Nivolumab, verhindern, dass hemmende Signale an den T-Zellen des Immunsystems ausbleiben. Die T-Zellen bleiben dadurch aktiviert und können die Krebszellen bekämpfen. In der Studie wurde bei Patienten mit fortgeschrittenem nicht-kleinzelligem Lungenkrebs, der nicht ausreichend auf eine Platinhaltige Chemotherapie angesprochen hatte, die Wirkung von Nivolumab im Vergleich zur Chemotherapie mit Docetaxel getestet. In der Nivolumabgruppe gab es ein signifikant besseres Überleben, das Sterberisiko sank um 41 Prozent. Auch die Zeit, bis die Krankheit weiter voranschritt, verlängerte sich. Deutlich mehr Patienten in der Nivolumabgruppe als in der Docetaxelgruppe sprachen auf die Behandlung an. Zudem erwies sich die Therapie als verträglicher, weniger Grad 3-4 Nebenwirkungen traten auf. Nach Ansicht der Studienautoren stelle der Checkpoint-PD-1-Blocker Nivolumab eine deutliche Verbesserung in der Therapie von Patienten mit fortgeschrittenem nicht-kleinzelligem Lungenkrebs dar, deren Erkrankung nicht ausreichend auf eine erste Platinhaltige Chemotherapie anspricht.
(Quelle: Spigel, D. R. et al.: A phase III study (CheckMate 017) of nivolumab (NIVO; anti-programmed death-1 [PD-1]) vs docetaxel (DOC) in previously treated advanced or metastatic squamous (SQ) cell non-small cell lung cancer (NSCLC). Journal of Clinical Oncology 2015, 33, 15_suppl (May 20 Supplement):8009; 16.06.2015)

Wer länger sitzt, ist früher tot

Relativ klar aufgezeigt in einer Metaanalyse: Langes Sitzen erhöht die Gesamtsterblichkeit, sowie die Häufigkeit von Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes. Dieses Ergebnis wurde von Prof. Dr. med. C. Diehm zusätzlich kommentiert. „Unklar ist gegenwärtig noch, ab welchem Zeitraum ein sitzender Lebensstil zum ausgeprägten Risikofaktor wird. Die Mechanismen sind auch noch nicht ganz klar. Im Fazit heißt es: “Langes Sitzen kann nicht mit gelegentlicher sportlicher Aktivität ausgeglichen werden. Regelmäßiges moderates Training ist erforderlich, um gesund zu bleiben. Der Mensch ist offenbar nicht für Passivität und körperliche Inaktivität geschaffen.“
(Quelle: MMW-Fortschr. Med. 2015)

 

Krebs – ein Wort, das man im Zusammenhang mit der eigenen Person nicht auszusprechen vermag

notiert von Birgit Wilmes

Im Mai 2011: ich kam gerade wieder von einer Geschäftsreise zu den Filmfestspielen in Cannes. Ich war braun gebrannt und zufrieden, da ich eine gute Zeit gehabt hatte. Meine Eltern waren mal wieder so liebenswert, in der Zeit meiner Abwesenheit auf meinen Sohn Alonso aufzupassen und ich freute mich sehr, wieder zu Hause zu sein.

Der Tag meiner Heimkehr war ein Freitag, der 20. Mai 2011. Gemeinsam aßen wir zu Abend und da meine Eltern noch da waren, legte ich mich zu meinem Sohn ins Bett, der bereits tief und fest schlummerte.

Ich fasste mir mit der linken Hand über die rechte Brust und bemerkte eine komische, bewegliche, feste Stelle über meiner Brust. Panik ergriff mich sofort, als ob ich ahnte, was geschehen wird. Ich wollte meine Mutter wecken, aber ich war schon panisch genug, was soll ich da noch meine 76-jährige Mutter verrückt machen. Am nächsten Morgen erzählte ich meinen Eltern von der Stelle und verabredete mit ihnen, gleich montags zum Arzt zu gehen. Meine Eltern fuhren leider sonntags wieder heim. Montagmorgen ging ich sofort zu meinem Frauenarzt in Potsdam. Er untersuchte mich und schickte mich direkt weiter zum Ärztehaus zur Mammographie und zum Ultraschall. Auf meine Frage hin, ob ich mir Sorgen machen müsste, bekam ich zur Antwort: „man muss sich immer Sorgen machen“ – das war das letzte Mal, dass ich ihn sah, denn ich war von seiner wenig einfühlsamen Art enttäuscht und verunsichert.

Am gleichen Nachmittag ging ich zur Mammographie ins Ärztehaus. Die Mammographie war „sauber“, ohne weitere Erkenntnisse. Die Ärztin, die die Ultraschalluntersuchung durchführte war alarmiert; in ihrer Art und Weise mit mir umzugehen, jedoch sehr feinfühlig. Sie verwies mich mit Nachdruck weiter an ein Brustzentrum, um abzuklären, was in meinem Körper geschah.

Durch einen lieben Freund kam ich zur Oberärztin der UKE in Hamburg. Frau Dr. S. war wunderbar. Obwohl sie mir nicht wirklich etwas Gutes zu sagen hatte, konnte Sie mich dennoch auffangen. „Die Sonographie sieht nicht gut aus. Ich möchte jetzt gleich bei Ihnen eine Biopsie durchführen lassen“. Sie schickte mich zu ihrer Kollegin in den dritten Stock. Die Kollegin stanzte ca. 10 Proben aus dem Gewebe in der Brust. Mit Frau Dr. S. besprach ich, dass sie mich mit den Ergebnissen anrufen wird; auch wenn sie Ergebnisse in der Regel nicht telefonisch bespricht. Da ich jedoch in Potsdam wohne, stimmte sie zu.

Am 9. Juni 2011 – ich saß gerade in meinem seit Mai übernommenen neuen Büro, als mein Handy klingelte. Es war Frau Dr. S., die mir mitteilen wollte, dass es ihr leid täte, aber der Befund sei leider positiv. Es handelte sich um ein Mammakarzinom. Meine Reaktion instinktiv war zu fragen „das sind doch die Guten, oder?!“. Das Feuerwerk in meinem Kopf begann: Warum ich? Muss ich sterben? Ich habe Angst! Was wird aus meinem Sohn? Das passiert doch eigentlich immer anderen! Ich erlebte mich in einer Art Schockstarre. Musste mich dennoch mit der Situation auseinander setzten.

Über diverse Empfehlungen kam ich zu Prof. B., dem Leiter des Brustzentrums des St. Gertrauden Krankenhauses in Berlin. Prof. B. gehörte unter die 10 besten Ärzte auf seinem Gebiet. Ich war froh, in guten Händen zu sein und gab die Verantwortung nur allzu gern ab. Wir besprachen die weiteren Schritte und ich entschied mich, mit der OP zu starten und im Anschluss Chemotherapie und Bestrahlung folgen zu lassen.

In den Besprechungen mit Prof. B. erklärt ich ihm, dass es mir sehr wichtig sei, dass er die Krebszellen großzügig wegschneide, denn ich wollte auf gar keinen Fall, dass das von Krebs befallene Gewebe angeschnitten wird. Eine Freundin von mir ist 1999 an den Folgen von Brustkrebs verstorben und ich habe seinerzeit häufig und viel mit ihrem Onkologen gesprochen, der mir erklärte, dass, wenn das Krebsgewebe angeschnitten wird, eine Flüssigkeit aus der Krebszelle fließt, die sich irgendwo im Körper festsetzen und dort zu Metastasen heranwachsen kann. Ich weiß, dass seine Aussage umstritten ist, sie macht mir aber als Erklärung einer Metastasenbildung am meisten Sinn.

Am 28.06.2011 fand die OP mit dem Ergebnis statt, dass eine Nachresektion vonnöten war. Die Nachresektion wurde am 12.07.2011 durchgeführt. Beide Operationen verliefen problemlos und ich war froh, dass ich sie hinter mir hatte. Das – was zuvor meine größte Sorge war – völlig außer acht lassend, fuhr ich zunächst mit der Chemotherapie (TAC) fort. Diese fand sechs Mal, verteilt auf 18 Wochen statt. Nach Abschluss der Chemotherapie bekam ich sechs Wochen lang täglich Bestrahlung. Es war das volle Programm – nicht einfach – aber dennoch habe ich es gut durchstanden. Ich habe ja alles so gemacht, wie es mir gesagt wurde, also musste es ja gut werden. Als ich alle Therapien hinter mir hatte, fing ich wieder an am Leben teil zu haben. Das war wunderbar!

2013 sah ich zusammen mit meiner Schwester und meiner Mutter den wunderbaren Film des Regisseurs Marc Rothemund: „Heut bin ich blond“. Die Protagonistin des Filmes erfährt von ihrer Krebserkrankung, nachdem sie aufgrund von anhaltendem Husten zum Arzt geht. Seit dem Zeitpunkt meiner Therapien hatte ich ebenfalls ein anhaltendes Husten/Hüsteln und meine Schwester beschwor mich, dass ich einen Arzt aufsuchen und den Husten prüfen lassen sollte.

Meine Onkologin schickte mich zum CT Thorax und ich muss sagen, dass ich bei der Untersuchung schon arg nervös war. Das Ergebnis jedoch war frappierend. Die durchführende Ärztin teilte mir mit, dass die Lunge absolut in Ordnung sei, ich jedoch dringend meine Leber untersuchen lassen solle, da sie dort etwas auf dem Ausschnitt des CT Thorax gesehen habe. Das war der erste Schock. Sofort holte ich mir einen Termin zum MRT der Leber. Als die Ärztin, die mir sehr vertraut war, da ich bei ihr bereits die Bestrahlung erhalten hatte, mich aufrief, um das Ergebnis der MRT Untersuchung zu besprechen und mich nicht ansah, wusste ich, etwas stimmt nicht.

Diagnose der Leberuntersuchung im Juli 2013: Lebermetastasen!

Ich war verzweifelt. Was hatte ich falsch gemacht? Was heißt das für mich? Ich muss sagen, ich wusste zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass Lebermetastasen aus schulmedizinischer Sicht als nicht heilbar gelten. Eine Diagnose, die ich so nicht hinnehmen wollte. Dennoch folgten diverse Chemotherapien und Tumormarker, die die Form einer Sinuskurve übernahmen. Ein ständiges auf und ab von Gefühlen, Hoffnungen, Angst und Freude.

Ein positiver Nebeneffekt dieser Krankheit sind die Menschen um mich herum, die mir beistehen, die für mich da sind und bereit sind, mir in jeder Situation zu helfen. Einer dieser Menschen, mein Freund Ulrich, erzählte mir von einem Arzt, der bereits Menschen geholfen hatte, die von der Schulmedizin aufgegeben wurden und die heute gesund sind.

Ein Arzt, der Großes vermag, jedoch auch eine Chemotherapie nicht ausschließt, wenn sie notwendig ist. Ein Arzt, der seine Patienten unterstützt und ihnen beibringt, auf sich zu achten und das Augenmerk darauf zu legen, was gut tut. So kam ich zu Dr. W. Durch ihn habe ich gelernt, unwichtiges zu lassen und mich mit den positiven Sachen des Lebens zu umgeben. Aus eigener Erfahrung heraus kann ich jedem nur empfehlen, niemals das eigene Empfinden weg zu schieben, denn keiner kennt unseren Körper besser, als wir selbst!

„Change your thoughts and you will change your life!”

Bildquelle: fotolia.com: Marco2811

 


Europäische Akademie für Naturheilverfahren und Umweltmedizin
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IMPRESSUM: Aktuelle Gesundheitsnachrichten, Heft 19/2015, ISSN (Print) 2199-9791, ISSN (Internet) 2199-9805
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REDAKTIONSTEAM: Dagmar Moldenhauer, Dr. med. A .-H. Wasylewski, Jochen Friedrich, Regine Kelm, Michael Schwalbe
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