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Aktuelle Gesundheits-Nachrichten

Gemeinsame Krebsforschung

Aufgaben des Cancer Comprehensive Center der Charité

Klinische Studien für neues Wissen

Lebensqualität trotz Krebs?

Apitherapie, Hilfe bei Krebs

Neuer Anti-Tumor-Impfstoff

Erkenntnisse zum medizinischen Fasten

Aktuelles aus der Krebsmedizin

 

Eine strategische Vision wird diskutiert

Liebe Leserin, lieber Leser,

die 20. Ausgabe der „Aktuellen Gesundheitsnachrichten“ liegt vor. Wir danken Ihnen sehr für Ihr anhaltendes Interesse und Ihre Zustimmung. Wir danken auch unseren Autoren, die uns für Sie ihr aktuelles Wissen und ihre Visionen für effektive Krebstherapien zur Verfügung gestellt haben.

Unmittelbar mit dem Erscheinungstermin unserer Zeitschrift steht der 32. Deutsche Krebskongress (DKK) auf der Agenda. Auch in diesem Jahr ist der Kongress wieder der bedeutendste Fachkongress im deutschsprachigen Raum. Jetzt einige Gedanken und Erwartungen:

Das Motto des DKK 2016

Vor einigen Jahren prägte der amerikanische Biologe Leroy Hood den Begriff der P4-Medizin. Sie ist eine strategische Vision, um Patienten besser zu behandeln. In leichter Abwandlung – durch Kombination mit dem Begriff Präzisionsmedizin – wurden für den Deutschen Krebskongress 2016 die 4Ps als Motto aufgegriffen: „Krebsmedizin heute: präventiv, personalisiert, präzise und partizipativ“. Die 4Ps definieren eine Reihe von Paradigmenwechseln in der Onkologie, die sich vollziehen oder anbahnen. Sie eröffnen große Chancen und werfen zugleich komplexe Fragen auf.

Auf dem Deutschen Krebskongress 2016 werden Auswirkungen und Herausforderungen der 4Ps für die Forschung, die Wirtschaft, die Versorgung, die Politik und die Öffentlichkeit diskutiert.

Weiter heißt es dazu zum Kongress

Patientenorientierung und Patientenbeteiligung bei medizinischen Entscheidungen in der Krebsmedizin haben heute einen hohen Stellenwert. Die meisten Patienten möchten im ärztlichen Gespräch an Entscheidungsfindungen beteiligt sein. Sowohl für die Arztseite als auch für die Patientenseite erfordert das ein Umdenken und Umlernen. Auf dem DKK 2016 werden in diesem Zusammenhang eine Reihe von Fragen diskutiert werden. Zum Beispiel: Was erwartet der informierte Patient von seinem Hausarzt und was von seinem Onkologen? Welche Prozesse müssen für eine Arzt-Patienten-Kommunikation angepasst werden? Welche Chancen eröffnet die partizipative Medizin? Welchen ethischen und regulatorischen Herausforderungen gilt es zu begegnen?

Wir werden für Sie am Krebskongress teilnehmen und mit ausgewählten Themen für Sie darüber in den folgenden Ausgaben sowie unseren NEWS berichten.

Dagmar Moldenhauer, Redaktionsleiterin

 

Für Sie in dieser Ausgabe

IN EIGENER SACHE

  • Krebs und Geld (2)

THEMA HEUTE: Kompetenzzentrum für interdisziplinäre Tumormedizin

  • Krebsforschung für unsere Patienten, Zusammenarbeit der Cancer Center und Forschungsverbünde
  • Ziele, Aufgaben und Strukturen des Charité Comprehensive Cancer Center
  • Klinische Studien – aktuelle Erkenntnisse in der Krebsmedizin
  • Lebensqualität trotz Krebs?

IM BLICKPUNKT

  • Prävention und Behandlung von Krebserkrankungen mit Hilfe der Apitherapie

WISSEN

  • Neuer Anti-Tumor-Impfstoff zur Sekundärprophylaxe

RAT & TAT

  • Neue Erkenntnisse zum medizinischen Fasten

KRANKHEITSERFAHRUNGEN

  • Selbsthilfe allein oder in der Gruppe

GESUNDHEITSERFAHRUNGEN

  • Atmen in der Holsteinischen Schweiz

AKTUELLES AUS DER KREBSMEDIZIN

 

Krebs und Geld *

Dr. med. Andreas-Hans Wasylewski

Liebe Leserin, lieber Leser,

Krebs und Geld – ein immer brandaktuelles Thema! Transparenz, Information und Verständnis müssen sein, um gesellschaftlich verantwortlich zu handeln und das Handeln zu verstehen.

Das DKFZ hat zum Weltkrebstag am 4. Februar 2016 ein Symposium auf der Tagesordnung, das sich dem Thema „Krebs und Geld“ widmet. Antworten auf wichtige Fragen stehen an:

Wie viel Geld fließt in die Forschung, woher kommt es, wer bestimmt, wofür es ausgegeben wird? Warum sind klinische Studien so teuer und wer finanziert sie? Moderne Krebsmedikamente sind oft nicht für Kinder zugelassen, wer bezahlt die Therapie? Wer hilft Krebspatienten, die durch die Krankheit in Armut geraten? Und schließlich: Sprengt die immer teurere Krebstherapie bei immer mehr Krebspatienten unser Gesundheitssystem?

Brennende Fragen, die bei den bekannten Deutschen Krebsorganisationen, gemeinnützigen Vereinen, ebenso wie für jeden Bürger hochaktuell sind. Die Gelder für die Aktivitäten kommen aus Spenden, Mitgliedsbeiträgen, Projektfördermitteln und Einnahmen sowie aus der Vermögensverwaltung. Transparenz ist angesagt. Aufmerksamkeitsstark informiert z.B. die Deutsche Krebshilfe in den Geschäftsberichten alljährlich über die Herkunft und die Verwendung der Mittel. Der aktuelle Geschäftsbericht ist für jeden Interessierten über das Internetportal einsehbar. Ein Beispiel von Transparenz für alle gemeinnützigen Krebsorganisationen.

Wie wichtig diese Transparenz ist, zeigen die folgenden negativen Beispiele, die weltweit für Aufsehen sorgten:

US-Behörden haben einen schweren Betrug mehrerer Wohltätigkeitsorganisationen aufgedeckt. Die Anklagebehörden aller Bundesstaaten beschuldigten die Verantwortlichen von insgesamt vier Krebshilfe-Organisationen, die Spenden für Krebspatienten in Höhe von mehr als 187 Millionen Dollar für private Zwecke ausgegeben zu haben. Vor allem für Luxusautos, Luxusreisen und Mitgliedschaften in Sport- und Spezialclubs haben die Betrüger Spendengelder veruntreut. Nur drei Prozent der Spenden gingen demnach an Krebspatienten. Bei den vier Organisationen handelt es sich um den Cancer Fund of America (CFA), die Cancer Support Services (CSS), den Children‘s Cancer Fund of America (CCFOA) und die Breast Cancer Society (BCS). Nach Angaben der Behörden war dies das bislang größte Verfahren gegen Spendenbetrug.

Aber auch in Deutschland kam es durch mangelnde Transparenz und nur sporadische Kontrollen der Finanzbehörden in bemerkenswertem Umfang zur Veruntreuung von Spendengeldern. In dem Verein Kinderkrebsvorsorge mit Sitz in Saarbrücken flossen von mehr als 600.000 Euro Spendengeldern nur 15.000 Euro an Kliniken und Hilfseinrichtungen. Ein Großteil des Geldes sei für private Zwecke ausgegeben worden, so die Ermittlungen.

Eine ähnliche Situation gab es bei dem Berliner Krebsforschungs-Institut, (lt. Ermittlungen offenbar eine Briefkastenfirma einer Agentur) wo von 12,5 Millionen Euro Spendengeldern weniger als 20% in die Krebsforschung flossen. Die Verantwortlichen haben auch weitere sechs Hilfsorganisationen gegründet und fast 30 Millionen Euro zweckentfremdend ausgegeben.

Krebs und Geld bleibt für uns auch weiterhin ein wichtiges Thema.

Ihr Dr. Wasylewski

(Quellen: Spiegel online.de; sol.de; tageschau.de; Antenne Saar.de; Berliner Kurier; DKH; DKG; DKFZ)
* Lesen Sie dazu auch den Beitrag im Heft 17/2015

 

„Die Verantwortung für sich selbst ist die Wurzel jeder Verantwortung.“
(Mong Dsi (372 – 289 v. Chr.), auch Meng-Tse, eigentlich Meng Ko, latinisiert: Mencius, konfuzianischer Philosoph, Demokrat und wandernder politischer Ratgeber, auf seiner Grabstätte wurde ein Tempel errichtet)

 

Krebsforschung für unsere Patienten
Erfolge der Zusammenarbeit von Cancer Center und Forschungsverbünden

Prof. Dr. med. Ulrich Keilholz, Direktor Charité Comprehensive Cancer Center, Berlin

Das Ziel der derzeitigen Entwicklung der Tumormedizin ist eine immer bessere Passgenauigkeit der Behandlung für jeden einzelnen Patienten. Hierzu müssen alle Faktoren jedes einzelnen Patienten herangezogen werden.

Wichtige allgemeine Faktoren sind in Tabelle 1 zusammengestellt. Neben diesen allgemeinen Faktoren ist es von zunehmender Bedeutung, die Biologie der Tumorzellen und Wechselwirkungen zwischen Tumorzellen und normalen Körperzellen des Patienten so genau wie möglich zu kennen. Hieraus leiten sich immer mehr neue gezielte Therapieansätze ab.

 

 


Patient

  • Alter und Geschlecht
  • Begleiterkrankungen
  • Körperliche Fitness
  • Therapiewunsch und Behandlungsziel
  • Bereitschaft, mögliche Nebenwirkungen zu ertragen
  • Interesse an experimentellen Behandlungsformen

 

 


Tumorerkrankung

  • Primärtumor oder metastasiert
  • Ersterkrankung oder Rezidiv
  • Spontane Tumorerkrankung
    oder familiäre Krebsbelastung?
  • Operabel oder nicht?
  • Prinzipiell heilbar oder nicht?
  • Gute Standardtherapie
    verfügbar oder nicht?

 

 


Umfeld

  • Unterstützung durch
    Lebenspartner vorhanden?
  • Weiteres familiäres Umfeld
    hilfreich?
  • Soziales Netzwerk vorhanden?
  • Besteht Berufstätigkeit?
    Weiterhin gewünscht?

Besonders sind drei Aspekte in den letzten Jahren im Fokus erfolgreicher neuer Therapieansätze: Fehlgeschaltete Signalwege in den Tumorzellen, Ernährung von Tumorgewebe durch Blutgefäße und Wechselspiel zwischen Tumorzellen und Immunsystem. Auf diese drei Aspekte, die im Zentrum heutiger Krebsforschung stehen, soll im Folgenden näher eingegangen werden.

Intrazelluläre Signalwege: Fehlschaltungen und falsche Programme

Krebs entsteht durch die Veränderung von Genen in der DNA, welche das Zellwachstum kontrollieren und Teil einer komplizierten Signalübertragung sind. In den vergangenen Jahren wurden durch sehr umfangreiche Mutationsanalysen immer mehr fehlgeschaltete Signalwege aufgedeckt, die ursächlich für die Krebsentstehung und das Wachstum sind. Durch einzelne oder durch das Zusammenspiel mehrerer Mutationen gerät die Zellteilung außer Kontrolle und die entarteten Zellen beginnen, ungehindert zu wachsen. Weil das Wachstum und das Überleben bei vielen Tumorzellen von diesen zentralen Mutationen abhängen, kann die zielgerichtete Hemmung der Signalwege therapeutisch genutzt werden.

Mit diesem Hintergrund wurden in den letzten Jahren viele neue gezielte so genannte Signaltransduktions-Inhibitoren entwickelt, die zum Teil eine enorme Wirksamkeit gegen zuvor kaum behandelbare Krebserkrankungen haben – bei recht guter Qualität. Diese neuen zielgerichteten Therapien richten sich direkt gegen die Vorgänge in den Krebszellen, die das Tumorwachstum fördern. Interessant ist, dass es einige Mutationen und fehlgeschaltete Signalwege gibt, die von unterschiedlichen Tumoren gleich genutzt werden, zum Beispiel in einigen Fällen von Darmkrebs, Lungenkrebs oder Hautkrebs. Manchmal sind dann auch die gleichen Medikamente wirksam, aber dies gilt nicht immer. Sehr sorgfältige und umfangreiche klinische Studien sind daher erforderlich, um hier Klarheit zu schaffen.

Ein wichtiger genereller Vorteil dieser gezielten Therapieverfahren ist die Möglichkeit, durch Nachweis von Treibermutationen in Tumorzellen jedes einzelnen Patienten die Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolges recht gut vorherzusagen.

Versorgung von Tumorgewebe durch Blutgefäße: Angiogenese

Seit mehr als zwei Jahrzehnten wird ein Prinzip entwickelt, das sich nicht gegen die Krebserkrankung selbst richtet, sondern Krebszellen aushungern soll. Jedes Körpergewebe braucht Blutgefäße für die Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen.

Wenn dies in gesundem Gewebe nicht gewährleistet ist, entstehen Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall: zu schlecht durchblutetes Gewebe geht zugrunde. Können wir auch gezielt ‚Metastaseninfarkte‘ entstehen lassen? Die Antwort ist ja. Tumorgewebe ist nicht so regelhaft aufgebaut wie gesundes Gewebe, sondern in der Architektur schlecht organisiert und braucht recht viel Durchblutung. Oft gehen in Metastasen zentrale Anteile schon von selbst zugrunde, das Randgewebe wächst aber weiter.

In den letzten Jahren wurde eine Reihe von Medikamenten entwickelt, die den Nachschub neuer Blutgefäße stoppen und dadurch entweder alleine oder zusammen mit Chemotherapie sehr effektiv das Wachstum fortgeschrittener Krebserkrankungen verhindern oder auch zurückdrängen können. Diese Behandlungen sind bei den meisten Patienten mit nur geringen Nebenwirkungen behaftet. Allerdings kommt es dazu, dass kleine Verletzungen oder Wunden schlecht zuheilen, und ganz selten auch zu schweren inneren Blutungen. Ein Problem ist, dass trotz intensiver Suche bis heute kein so genannter Biomarker für diese antiangiogenetische Therapie entwickelt wurde, so dass es schwer ist, die Wirksamkeit dieser Behandlungsform für den einzelnen Patienten vorherzusagen.

Immunität gegen Tumorzellen – ein Durchbruch der Krebsforschung

Seit vielen Jahrzehnten wird vermutet, dass das menschliche Immunsystem Tumorzellen erkennen und zerstören kann. Daher wurden vielfältige Wege entwickelt, das Immunsystem zu stimulieren, um Tumoren zur Rückbildung zu bringen. Die Wirksamkeit dieser Ansätze war aber immer sehr begrenzt. Auch so genannte Tumorimpfstoffe waren in klinischen Studien kaum erfolgreich, im Gegensatz zu Impfstoffen zur Prophylaxe von Infektionen. Der Durchbruch der Immuntherapie kam in den letzten Jahren durch die Erkenntnis, dass das Immunsystem bei Tumorpatienten durch so genannte Immuncheckpoints blockiert ist. Diese Checkpoints spielen eine wichtige Rolle in der Regulation des Immunsystems. Sie verhindern, dass Immunität gegen Krankheitserreger „wild“ wird und sich gegen körpereigene Zellen richtet. Jedoch ist es vor einigen Jahren gelungen, die ersten Antikörper gegen Checkpoint-Moleküle herzustellen und damit das Immunsystem zum Teil zu entfesseln. Und die Wirkung ist enorm.

Die ersten Versuche wurden mit Antikörpern gegen die Moleküle CTLA4 und PD1 bei Patienten mit fortgeschrittenem Melanom durchgeführt. Bei Behandlung mit Chemotherapie überleben nach 2 Jahren weniger als 20% der Patienten mit metastasiertem Melanom, durch Kombinationsbehandlung mit Checkpoint-Inhibitoren erreichen wir jetzt 80%. Dieser Weg wird inzwischen bei vielen Tumoren beschritten, und bei vielen Tumorarten sind Erfolge bei 20% bis 60% der Patienten zu beobachten. Das Besondere: wenn ein Ansprechen der Erkrankung zu beobachten ist, dann ist dies in der Regel sehr lange anhaltend. Wir sind hier auf dem Weg, Biomarker zu definieren, die helfen, die Erfolgswahrscheinlichkeit für jeden Patienten vorherzusagen, aber es sind erst die ersten Schritte gemacht worden, hier ist noch viel weitere Forschung nötig.

Die wichtige Rolle von Forschungsnetzwerken

Es gab in den letzten zehn Jahren auf dem Gebiet der Tumorforschung einige Durchbrüche. Diese sind das Ergebnis einer engen Kooperation von großen Forschungsverbünden und Cancer Center. Das Wissen um die Tumorbiologie und die genetischen Hintergründe von Tumorerkrankungen steigt sehr schnell an, insbesondere werden immer mehr Faktoren aufgedeckt, die für das Wachstum von Tumoren und die Metastasierung entscheidend sind.

Im vergangenen Jahrzehnt waren dies vor allem Erfolge der Gentechnologie, durch die das Mutationsspektrum in Tumoren aufgeschlüsselt wurde. Neue Ansätze helfen derzeit, sehr schnell das Zusammenspiel unterschiedlicher Proteine und des Stoffwechsels von Tumorzellen zu charakterisieren und geben Hoffnung für weitere Durchbrüche in der Tumortherapie. Gerade auch bei der Diagnostik dürfen große Fortschritte erwartet werden. Forschung und Anwendung gehen heute Hand in Hand; deshalb werden diese Therapien in direkter Zusammenarbeit zwischen Forschungsnetzwerken und den in der Tumorforschung führenden Universitätskliniken durchgeführt.

In Deutschland wird diese Verbundforschung in Universitätskliniken seit Jahrzehnten durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Deutsche Krebshilfe und andere Stiftungen unterstützt. In jüngster Zeit hat die Bundesregierung zusätzliche Programme aufgelegt, einerseits im Rahmen des Programmes zur Förderung der Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung (für den Krebsbereich das Deutsche Konsortium zur Translationalen Krebsforschung – ein Verbund der acht führenden Universitätskliniken und des Deutschen Krebsforschungszentrums) und in Berlin das Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIG), ein gemeinsames Forschungszentrum der Charité und dem Max Delbrück Zentrum für Molekulare Medizin.

Diese Forschungsverbünde sind wichtig und effizient, um neue Impulse für die Krebsforschung zu geben und in die klinische Medizin umzusetzen – damit wir unsere Krebspatienten in Zukunft immer besser maßgeschneidert und effektiv behandeln können.

Weitere Informationen:
Charité Comprehensive Cancer Center
Charitéplatz 1, 10117 Berlin, Tel.: 030-450 564 222
E-Mail: cccc@charite.de; Internet: http://cccc.charite.de

 

Das Charité Comprehensive Cancer Center

Dr. rer. nat. Verena Materna
Wissenschaftliche Zentrumskoordinatorin am
CCCC, Charité – Universitätsmedizin Berlin

Viele, die diese Bezeichnung zum ersten Mal hören, fragen sich: Was ist eigentlich ein Comprehensive Cancer Center (CCC)? Dieser Begriff stammt aus dem angloamerikanischen Sprachraum und bezeichnet ein Tumorzentrum, das sich allumfassend mit der Erkrankung Krebs beschäftigt. Dies zeigt sich auf der klinischen Seite darin, dass in einem CCC Ärzte verschiedenster Fachrichtungen und Vertreter aus den unterschiedlichen nichtärztlichen Berufsgruppen, z. B. Psychoonkologen, Rehabilitationsspezialisten, Sozialdienstmitarbeiter, Pflegekräfte – um nur einige zu nennen – im Team um den Patienten zusammenarbeiten und sich für die optimale Versorgung der Tumorpatienten eng abstimmen. Dadurch wird der Patient von der Diagnosestellung, über die Therapie bis hin zur Nachsorge optimal betreut. Aber zu einem Comprehensive Cancer Center gehören ebenfalls die klinische Forschung und die Grundlagenforschung.

Neueste Erkenntnisse, die sich in der Grundlagenforschung und in ersten anwendungsbezogenen Labortests als vielversprechend herausgestellt haben, werden intensiv weitererforscht, bis diese Entwicklungen – dies können neue diagnostische Methoden, Arzneimittel oder auch Medizinprodukte sein – in klinischen Studien und später auch im klinischen Alltag angewendet werden können. Durch diesen besonderen Schwerpunkt in der translationalen Forschung (d. h. vom Forschungslabor zum Krankenbett) haben Patienten an einem CCC grundsätzlich aktiven Zugang zu den neuesten medizinischen Errungenschaften.

Darüber hinaus nehmen jeweils die CCC in der Region besondere Aufgaben wahr, z. B.:

  • indem sie andere Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte bei der Versorgung der Patienten unterstützen, u. a. durch gemeinsame Tumorkonferenzen,
  • interdisziplinäre Fort- und Weiterbildung anbieten,
  • die in der Region aktiven Selbsthilfegruppen in ihrer Arbeit unterstützen und
  • Informationen rund um das Thema Krebs für die Bevölkerung bereitstellen.

Das Charité Comprehensive Cancer Center (CCCC) ist das integrative Tumorzentrum der Charité, in dem alle Kliniken, Institute der Grundlagenforschung und diagnostischen Institute mit Bezug zur Krebsmedizin organisiert sind. Es wurde als Charitéinterne Einrichtung 2008 gegründet und seitdem beständig ausgebaut, um die Serviceleistungen rund um die medizinische Betreuung der Patienten und die translationale Tumorforschung stetig zu erweitern.

Tumorkonferenz im CCCC

Eingangspforte ist für viele Patienten die Cancer-Hotline, an die sich viele Patienten, deren Angehörige oder auch behandelnden Ärzte aus dem In- und Ausland wenden, um für die jeweilige Fragestellung geeignete Ansprechpartner an der Charité zu finden. Oft geht es dabei um das Thema Zweitmeinung – besonders bei schwierigen oder seltenen Tumorerkrankungen – oder um Terminvereinbarungen für die Diagnostik oder Therapie in der zuständigen medizinischen Fachabteilung der Charité.

Weitere wichtige Aufgaben des CCCC sind:

  • Organisation von interdisziplinären Tumorkonferenzen, in denen Vertreter der verschiedenen Fachrichtungen, z. B. Strahlentherapie, internistische Onkologie, Chirurgie und Pathologie, gemeinsam die Ergebnisse der Diagnostik diskutieren und Behandlungsempfehlungen daraus ableiten,
  • psychoonkologische Betreuung (siehe Beitrag von Frau Dr. Goerling in diesem Heft),
  • ambulante sozialdienstliche Betreuung,
  • Ernährungsberatung,
  • Angebote zur Prävention, Supportivtherapie und Palliativmedizin,
  • Tumordokumentation und Wahrnehmung der gesetzlichen Meldepflicht an das zuständige regionale Krebsregister,
  • Unterstützung des Qualitätsmanagements und der Zertifizierungsprozesse,
  • Sammlung von Tumorproben nach Einwilligung der Patienten in einer Tumorbiobank für Forschungszwecke,
  • Organisation und Durchführung von eigen-initiierten klinischen Studien (siehe hierzu Beitrag von Frau Burock in diesem Heft), inklusive der Führung eines klinischen Studienregisters zu den an der Charité laufenden klinischen Studien im onkologischen Bereich,
  • Organisation von Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen für interne und externe medizinische und wissenschaftliche Partner,
  • Öffentlichkeitsarbeit,
  • Zusammenarbeit mit den Selbsthilfegruppen: Informationsbereitstellung für Patienten und Kontaktvermittlung.

Darüber hinaus wird seit 2014 der Arbeitsbereich Interkulturelle Kommunikation ausgebaut, der sich u.a. mit der Erarbeitung mehrsprachigen Informationsmaterials für Patienten, der Schulung von medizinischem Personal in interkultureller Kommunikation und der Betreuung von Studien zu Präferenzen und Erfahrungen bezüglich der medizinischen Behandlung in verschiedenen Kulturen beschäftigt.

Ein Netzwerk der Comprehensive Cancer Center zum Wohle der Patienten

In Deutschland profitieren die Patienten zusätzlich von den Aktivitäten des CCC-Netzwerks, das 2009 von der Deutschen Krebshilfe (DKH) initiiert wurde. In diesem Netzwerk arbeiten die derzeit 13 von der DKH geförderten Onkologischen Spitzenzentren (Comprehensive Cancer Center) in verschiedenen Arbeitsgruppen zusammen (weitere Informationen unter: http://www.ccc-netzwerk.de). Einige Themen, die in diesem Netzwerk bearbeitet werden, sind z. B. die translationale Forschung, die Palliativmedizin, die Psychoonkologie und die Krebs-Selbsthilfe. Übergreifend setzen sich die Vertreter im CCC-Netzwerk auch dafür ein, dass sich die Versorgungsstrukturen in Deutschland weiter verbessern und alle Patienten flächendeckend eine standardisierte, leitliniengerechte Behandlung auf höchstem wissenschaftlichen Niveau erhalten können. Die Arbeitsgruppen treffen sich regelmäßig, um sich über die jeweiligen praktischen Erfahrungen in den Onkologischen Spitzenzentren auszutauschen, neueste wissenschaftliche sowie gesundheitspolitische Themen zu diskutieren und gemeinsame Vorgehensweisen festzulegen. Dabei steht der Patient immer im Mittelpunkt der Betrachtungen.

Internationale Zusammenarbeit wird immer bedeutsamer

Auch in Europa ist das CCCC immer stärker vernetzt, z.B. als Mitglied der Organisation of European Cancer Institutes (OECI) – einer Vereinigung europäischer Zentren für Tumormedizin, die es sich u. a. zum Ziel gesetzt hat, durch vereinheitlichte, evidenzbasierte Qualitätsstandards die Versorgung der Krebspatienten weiter zu verbessern. So wurden mehrere Projekte initiiert, die darauf ausgerichtet sind, die Heilungsraten weiter zu steigern, Therapienebenwirkungen und Spätfolgen zu senken und auch die Lebensqualität für die Patienten immer weiter zu erhöhen. Dies ist vor dem Hintergrund der verschiedenen Gesundheitssysteme in Europa eine besondere Herausforderung und wird zwischen den Mitgliedern in der OECI entsprechend verstärkt diskutiert.

Auch für die klinische Forschung und Entwicklung wird es immer wichtiger, die Kräfte zu bündeln. Hier arbeitet das CCCC auf europäischer Ebene eng mit der EORTC (European Organisation of Research and Treatment of Cancer) zusammen (siehe Beitrag von Frau Burock in diesem Heft). Gerade für seltenere Tumorerkrankungen oder seltenere Situationen bei häufigen Tumorerkrankungen können in der Europäischen Zusammenarbeit wichtige offene Fragen schneller und klarer beantwortet werden.

Qualitativ hochwertige Versorgung in Deutschland

Wenn Patienten die Diagnose Krebs erhalten, ist oft eine der ersten Fragen: Wo lasse ich mich am besten behandeln, damit ich optimale Heilungschancen habe? Daran gekoppelt sind auch die folgenden Punkte: Woran erkenne ich eine gute Klinik? Was genau sollte dort vorhanden sein bzw. angeboten werden?

Diese Fragen sind keineswegs leicht zu beantworten, da es nach derzeitigem Erkenntnisstand mehr als 230 verschiedene Tumorerkrankungen gibt und jeder Patient eigene Bedürfnisse hat, die bei der Behandlung Berücksichtigung finden sollten. Daher wurden in den letzten Jahrzehnten verstärkt Diagnose- und Behandlungsmethoden auf den Prüfstand gestellt, um Standards zu entwickeln und diese in Leitlinien für alle schriftlich festzuhalten. Für einige Tumorerkrankungen wurden auch Patientenleitlinien zusammengestellt, die ihnen helfen können, den richtigen Weg für jeden Patienten zu finden. Aus diesen Leitlinien wurden in den letzten Jahren Kataloge mit Qualitätskriterien (auch als Qualitätsindikatoren bezeichnet) für einzelne Krebserkrankungen entwickelt. Vorreiter waren hier vor einigen Jahren die Brustkrebszentren, die auch als erste nach den entsprechend festgesetzten Kriterien von der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) zertifiziert wurden.

Onkologische Versorgung: 3-Stufen-Modell. Die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) zertifiziert Organkrebszentren (z. B. Brustkrebszentren) und Onkologische Zentren (Tumorzentren mit mehreren zertifizierten Tumorentitäten und zentralisierten Aufgaben nach Vorgabe). Von der Deutschen Krebshilfe (DKH) geförderte Tumorzentren werden als Comprehensive Cancer Center bezeichnet.

Inzwischen gibt es für viele weitere Tumorerkrankungen Kataloge mit ganz konkreten Vorgaben. Kliniken, die nach diesen Vorgaben zertifiziert sind, müssen jedes Jahr belegen, dass sie diese Standards erfüllen (weitere Informationen siehe: http://www.oncomap.de/ und http://www.krebsgesellschaft.de). Eine wachsende Anzahl von Kliniken unterwirft sich Jahr für Jahr diesem Prüfungsprozess – so auch das CCCC, das seit 2009 als Onkologisches Zentrum nach den DKG-Kriterien zertifiziert ist und auch für alle Tumorarten, für die eine Zertifizierung derzeit möglich ist, den Prüfungsprozess erfolgreich durchlaufen hat.

Dabei sollte man ein zertifiziertes Zentrum generell immer als Herzstück eines Netzwerks – regional, deutschlandweit, international – betrachten, da alle internen und externen Partner eines solchen zertifizierten Zentrums zum Behandlungserfolg beitragen. Diese Spanne reicht vom niedergelassenen Haus- oder Facharzt, über die Klinik mit all ihren Abteilungen bis hin zum Experten in der Anschlussbehandlung, z. B. die Rehabilitationsklinik.

Doch unser wichtigster Partner: Das sind die Patienten, mit ihren Wünschen, Ängsten und Fragen. Nur durch den engen Dialog mit ihnen, d.h. wenn wir wissen, wie sie die diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen empfinden und was ihnen körperlich und seelisch hilft, können wir gemeinsam die richtigen Schwerpunkte setzen – in der Forschung und auch bei der Auswahl bereits etablierter Therapien.

Weitere Informationen:
Charité Comprehensive Cancer Center
Charitéplatz 1, 10117 Berlin, Tel.: 030-450 564 222
E-Mail: cccc@charite.de; Internet: http://cccc.charite.de

 

„Ein Fragender ist nie unwissend.“ (aus Kamerun)

 

Aktuelles aus der Krebsmedizin

Wie Krebszellen die Immunabwehr austricksen

Wie Krebszellen dem Angriff des Immunsystems entkommen, ergründen derzeit Wissenschaftler der Universität Frankfurt am Main. Im Blickpunkt der Forscher stehen die so genannten Makrophagen (Fresszellen): Tumoren manipulieren diese so, dass sie das Krebswachstum aktivieren anstatt es zu stoppen. Die umgepolten Makrophagen können sogar die Wirkung einer Chemotherapie beeinträchtigen. Die Forscher suchen derzeit nach Strategien, um den Schutzmechanismus der Tumorzellen auszuhebeln. Langfristiges Ziel ist es, die Wirksamkeit der Chemotherapie medikamentös zu verbessern. Die Deutsche Krebshilfe fördert das Projekt mit rund 180.000 Euro.

Unser Immunsystem ist mit verschiedenen Zelltypen ausgestattet, um den Körper vor fremdartigen Substanzen und schädlichen Strukturen wie etwa Tumorzellen zu schützen. Makrophagen sind ein unentbehrlicher Teil dieses ausgeklügelten Bollwerks. Auf der Jagd nach Schädlingen verleiben sie sich diese ein und lösen sie in ihrem Zellinneren auf. Makrophagen kommen in zahlreichen Geweben und natürlicherweise auch in Tumoren vor.

Tumorzellen programmieren die schützenden Makrophagen einfach um. Um sich vor dem Angriff der Fresszellen zu schützen, haben Tumorzellen eine clevere Überlebensstrategie entwickelt: Sie manipulieren die Angreifer so, dass diese ihre Anti-Tumorwirkung verlieren. Im Fachjargon wird dies als Makrophagen-Polarisierung bezeichnet. Der Angriffspunkt für diese Strategie sind fettähnliche Substanzen, sogenannte Lipide, die aus den Zellhüllen der Makrophagen stammen. Mit Hilfe eines Enzyms mit dem wissenschaftlichen Namen mPGES-1 verändern Krebszellen die Lipide so, dass diese sogar das Wachstum von Tumoren fördern können. Wissenschaftler der Goethe-Universität Frankfurt am Main versuchen nun, diesen Schutzmechanismus auszuhebeln. „Laboruntersuchungen haben gezeigt, dass Brusttumoren langsamer wachsen, wenn ihnen mPGES-1 fehlt“, erläutert Studienleiter Professor Dr. Bernhard Brüne, Direktor des Instituts für Biochemie I im Fachbereich Medizin der Goethe-Universität Frankfurt. „Deshalb wollen wir zunächst die molekularen Mechanismen verstehen, die dafür verantwortlich sind, dass das Enzym die Fresszellen in ihrer Anti-Tumorwirkung hemmt“, so Brüne weiter. So sollen beispielsweise die Gene des Schlüsselenzyms mPGES-1 identifiziert werden.

Langfristiges Ziel: Die Wirksamkeit der Chemotherapie verbessern. Langfristig könnte sich aus den Erkenntnissen eine neue therapeutische Strategie in der Krebsbekämpfung entwickeln. In dem Forschungsprojekt soll daher auch geklärt werden, ob sich durch eine medikamentöse Hemmung von mPGES-1 die Anti-Tumoraktivität der Makrophagen und die Wirksamkeit einer Chemotherapie verbessern lassen.
(Quelle: DKH 2015)

 

Klinische Studien in der Krebsmedizin

Susen Burock, Ärztliche Zentrumskoordinatorin am Charité Comprehensive Cancer Center

Die Diagnose Krebs verbinden viele Menschen heutzutage immer noch mit einem Todesurteil – auch wenn mittlerweile fast jeder Zweite geheilt werden kann. Auch sind die Therapien nicht mehr so belastend wie noch vor einigen Jahren, da zum Teil schonendere Operations- und Bestrahlungstechniken eingesetzt werden können und bessere Medikamente zur Behandlung von Nebenwirkungen zur Verfügung stehen.

Diese Erfolge sind das Resultat der systematischen Forschung und der Weiterentwicklung der medikamentösen und nichtmedikamentösen Therapiemöglichkeiten und damit nicht zuletzt von klinischen Studien.

Doch wie läuft die Entwicklung von neuen Wirkstoffen eigentlich ab und was genau verbirgt sich hinter dem Begriff „Studie“?

Der Weg von der Entdeckung eines neuen Wirkstoffes zum Arzneimittel ist ziemlich lang (siehe Abbildung 1). Am Anfang steht die Suche nach einem neuen Wirkstoff, welcher entweder durch Abwandlung von bereits bekannten Verbindungen entsteht oder in Anlehnung an natürliche Substanzen nachgebaut wird. Von 5.000 – 10.000 Wirkstoffen, die in Forschungslaboren getestet werden, erlangt in der Regel nur ein einziges fertiges Medikament die Zulassung und ist damit für die Patienten zugänglich. Zunächst werden neue Wirkstoffe in Reagenzgläsern auf ihre Eignung getestet und weniger als 0,1 % werden dann in einem nächsten Schritt weiter im Reagenzglas und in Tierversuchen untersucht. Viele Wirkstoffe scheitern schon in dieser frühen Phase, weil sie sich als hochgradig giftig erweisen. Nur wenn eine Substanz alle so genannten präklinischen Sicherheitsprüfungen bestanden hat, erfolgt die Testung am Patienten in klinischen Studien.

Dort wird das Medikament zunächst an einigen wenigen Patienten in einer Phase I Studie auf Sicherheit und Verträglichkeit untersucht. Weiterhin wird getestet, in welcher Dosierung das Medikament am besten verabreicht und wie es im Körper ab- und umgebaut wird. Deshalb müssen bei den Patienten, die an einer solchen Studie teilnehmen, viele Blutentnahmen erfolgen, oft ist auch eine stationäre Aufnahme zur besseren Überwachung erforderlich. Aus diesem Grund erfolgen die meisten Phase I Studien auch nur an wenigen spezialisierten Zentren, die Erfahrung mit einer solchen Durchführung haben. In der Krebsmedizin werden nur die Patienten in eine Phase I Studie eingeschlossen für deren Erkrankungssituation es momentan keine nachgewiesen wirksame Behandlungsmöglichkeit gibt.

Ungefähr die Hälfte der Medikamente, die in dieser Studienphase getestet werden, erweist sich als gut genug, um in einem weiteren Schritt, einer so genannten Phase II Studie getestet zu werden. Hierbei werden die Erkenntnisse aus der ersten Studienphase zum Beispiel in Hinblick auf die Dosierung an mehreren Patienten überprüft. Ungefähr 25% der in einer Phase II getesteten Medikamente werden dann in einer Phase III Studie an einer großen Anzahl von Patienten (100 bis 1000) auf die Wirksamkeit des Wirkstoff es hin überprüft. Diese Studien werden in der Regel an vielen verschiedenen Krankenhäusern und zum Teil auch in Praxen durchgeführt. Dabei erfolgt in der Regel ein direkter Vergleich mit der bisherigen Standardtherapie, indem Patienten zufällig in verschiedene Gruppen eingeteilt werden, die entweder die bekannte Behandlung oder die neuartige Behandlung bekommen. Sollte es keine wirksame Standardbehandlung geben, so wird häufig ein so genanntes Placebo, ein Scheinmedikament verabreicht, um psychisch beeinflusste Wirkungen abzugrenzen.

 

 


5.000 bis 10.000 Substanzen werden im Labor getestet

12-13 Wirkstoffe werden im reagenzglas und im Tierversuch näher untersucht
8-9 Wirkstoffe werden in einer klinischen Phase I, Studie an Menschen getestet
4-5 Wirkstoffe werden in einer klinischen Phase II, Studie getestet
1-2 Wirkstoffe werden in einer klinischen Phase III, Studie getestet
Bei 1,1 Wirkstoffen wird letztendlich die Zulassung beantragt und geprüft

Im Schnitt wird 1 Wirkstoff zugelassen – nach insgesamt 13,5 Jahren


Dauer circa 4,5 Jahre

Dauer circa 1 Jahr


Dauer circa 1,5 Jahre
Dauer circa 2,5 Jahre
Dauer circa 2,5 Jahre
Dauer circa 1,5 Jahre

Abbildung 1: Der lange Weg zum neuen Medikament

Dieser ganze Prozess – von der präklinischen Wirkstoffentwicklung bis zum Abschluss der klinischen Phase III Studie – dauert in etwa 12 – 15 Jahre und wird bei erfolgreichem Abschluss der Phase III Studie von einer Beantragung auf Zulassung bei den zuständigen Behörden gefolgt. Die Prüfung aller vorliegenden Ergebnisse und die letztendliche Entscheidung über die Zulassung nehmen dann noch einmal circa 1,5 Jahre in Anspruch.

Aber auch nach der Zulassung wird das neue Medikament in Hinblick auf Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten weiterhin in so genannten Phase IV Studien überwacht. Hierbei werden die Daten von vielen tausenden Patienten, welche das Medikament verschrieben bekommen haben, aufgezeichnet und ausgewertet. Sollten hierbei unerwartet viele oder schwerwiegende Nebenwirkungen auftreten, kann die Zulassung des Medikamentes auch widerrufen werden.

Auch neue Operations- oder Bestrahlungstechniken müssen ähnlich zu dem beschriebenen Verfahren sorgfältig überprüft werden, bevor diese regelhaft eingesetzt werden können. Bei rein pflanzlichen Präparaten, den so genannten Phytotherapeutika, muss keine Prüfung nach den oben genannten Kriterien erfolgen und auch homöopathische und anthroposophische Arzneimittel sind von dem aufwendigen und kostenintensiven Verfahren befreit. Diese Arzneimittel werden lediglich registriert und müssen keinen Nachweis der Wirksamkeit liefern.

Finanziert werden Studien entweder von den jeweiligen Herstellern eines neuen Medikamentes oder eines neuen Gerätes sowie von unabhängigen Organisationen und Stiftungen (wie zum Beispiel der Deutschen Krebshilfe) oder von akademischen Institutionen und Krankenhäusern. Insbesondere die akademische Forschung nimmt hier eine wichtige Stellung ein und führt Studien durch, bei denen kein finanzielles Interesse besteht. Beispiele hierfür sind Studien, die zwei oder mehrere etablierte und zugelassene Therapien vergleichen um herauszufinden, welche Therapie überlegen ist. Studien zu verschiedenen chirurgischen Techniken oder Bestrahlungsarten werden häufig ebenfalls durch Universitäten organisiert und finanziert. Auch der Bereich der unterstützenden Therapien wie zum Beispiel die Psychoonkologie (siehe Beitrag von Frau Dr. Goerling in diesem Heft), ist Gegenstand von diesen Studien, um die Angebote dem Bedarf stetig anpassen zu können.

Um einen ordnungsgemäßen Ablauf der Studien in allen klinischen Phasen zu gewährleisten und um die Sicherheit aller teilnehmenden Patienten sicherzustellen, werden Studien von verschiedenen Behörden und von Ethikkommissionen vor dem Beginn genau geprüft und während der Durchführung überwacht. Dies soll sicherstellen, dass Patienten nicht einer unnötigen Gefahr ausgesetzt werden. Wenn sich während der Studie zeigt, dass die Studie eine Gefahr für die Patienten darstellt oder dass das neue Medikament nicht wirksam ist, wird die Studie vorzeitig beendet.

Die Teilnahme an klinischen Studien ist sehr wichtig, da sich nur dadurch Verbesserungen durch neue Medikamente oder Therapien erreichen lassen. Aber auch der einzelne Patient hat Vorteile, da klinische Studien die Möglichkeit bieten, innovative Therapien zu erhalten. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass Patienten in klinischen Studien unabhängig davon, ob sie die neue Behandlung oder die Standardtherapie erhalten, profitieren, da alle Untersuchungen sehr genau und nach festgelegtem Muster erfolgen.

Die meisten Studien werden gleichzeitig an verschiedenen großen Zentren weltweit durchgeführt. Dabei ist die Vernetzung der einzelnen Studienzentren wichtig, um Erfahrungen auszutauschen und Patienten geeignete Studien an anderen Zentren anbieten zu können. Beispiele hierfür sind das CCC Netzwerk, in dem die von der Deutschen Krebshilfe geförderten Onkologischen Spitzenzentren zusammenarbeiten (siehe Beitrag von Frau Dr. Materna in diesem Heft) oder die EORTC (European Organisation of Research and Treatment of Cancer), eine gemeinnützige internationale akademische Studienorganisation mit Sitz in Brüssel, Belgien. Die EORTC führt klinische Studien in verschiedenen Ländern durch und organisiert die Zusammenarbeit der einzelnen Beteiligten. Unterstützt wird die Arbeit der EORTC in Deutschland von dem 2013 gegründeten Liaison Office, welches am Charité Comprehensive Cancer Center angesiedelt ist.

Um das Wissen, das aus den Studien gewonnen wurde, zu verbreiten, ist es unabdingbar, dass die Ergebnisse aus den Studien veröffentlicht und mit der Fachwelt diskutiert werden. Dies geschieht in der Regel auf internationalen Kongressen und in medizinischen Fachzeitschriften. Besonders regionale Fortbildungen sind wichtig, um die Erkenntnisse auch für niedergelassene Mediziner zugänglich zu machen, damit alle Patienten hiervon profitieren können. Hierzu organisieren wir vom Charité Comprehensive Cancer Center regelmäßige Treffen auf denen die Highlights der Ergebnisse von Studien, welche auf den großen Kongressen wie zum Beispiel der Jahrestagung der amerikanischen Gesellschaft für klinische Onkologie (ASCO) vorgestellt wurden, zusammengefasst und besprochen werden.

Sollten Sie als Betroffener oder einer Ihrer Angehörigen also auf eine klinische Studie angesprochen werden, sollten Sie sich viel Zeit nehmen, um die Vor- und Nachteile abzuwägen und Ihrem behandelten Arzt alle Fragen stellen, die Sie in Hinblick auf eine mögliche Teilnahme haben. Mit einer Teilnahme können Sie dazu beitragen, neue innovative Therapiemöglichkeiten zu entwickeln oder vorhandene Behandlungsmethoden zu verbessern – im Vordergrund sollte aber immer Ihr persönliches Wohlergehen stehen.

Weitere Informationen:
Charité Comprehensive Cancer Center
Charitéplatz 1, 10117 Berlin, Tel.: 030-450 564 222
E-Mail: cccc@charite.de; Internet: http://cccc.charite.de

 

„Nicht die Dinge beunruhigen uns, sondern die Meinungen, die wir von den Dingen haben.“ (Epiktet, griech.-röm. Philosoph, 55-135 n.Chr.)

 

Lebensqualität trotz Krebs?

Psychoonkologie an einem Comprehensive Cancer Center

Dr. rer. nat. Ute Goerling, Leiterin der Psychoonkologie am Charité Comprehensive Cancer Center

Passen das Wort Lebensqualität und Krebs überhaupt zusammen? Wird nicht Krebs mit endlosem Leid, Schmerzen, Tod und Sterben in Verbindung gebracht?

Selten hören wir in den Nachrichten von Menschen, die eine Krebstherapie erfolgreich überstanden haben und, entweder mit neuer Ausrichtung oder auf alten Wegen, zurück in ihren Alltag treten. Einige von uns haben Nachbarn, Kollegen oder Sportsfreunde, die mit der Diagnose einer Krebserkrankung konfrontiert sind. Umso mehr erschüttert es, wenn plötzlich diese Erfahrung am eigenen Leib gemacht werden muss. Egal, ob es Anzeichen dafür gab oder die Diagnose aus gefühlt voller Gesundheit gestellt wurde. Auch Früherkennungsuntersuchungen, regelmäßiges Sporttreiben und gesunde Ernährung stellen keine Garantie für lebenslange Gesundheit dar. Und dann kommt die Diagnose Krebs.

Nikolas Gerdes bezeichnet den Diagnoseschock mit „Sturz aus der normalen Wirklichkeit“.

Mit dem Diagnoseschock kommt oft unmittelbar die Frage: „Warum gerade ich?“ Viele Patienten haben den Wunsch, darüber zu sprechen und ihre Theorien mitzuteilen. Wohin soll man sich nun wenden? Das Internet hält zahlreiche Informationen bereit. Nach der ersten Diagnose sind oftmals weitere diagnostische Untersuchungen notwendig. Diese sind für die Planung der Therapie unabdingbar und werden von den Patienten meist als sehr belastend erlebt. Wir sprechen hier von einem Kontrollverlust. Scheinbar kann man selber wenig tun, um die Therapie zu beschleunigen. Wichtig ist an dieser Stelle, ein Zentrum zu finden, welches auf dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Behandlungsmöglichkeiten steht. Dazu gehört auch eine allumfassende Versorgung.

Weit verbreitet ist nach wie vor die Auffassung: „Ich habe Krebs und bin nicht psychisch krank.“ Doch es ist kein Zeichen von Schwäche, sich Hilfe zu holen, sondern ein Zeichen von Stärke, diese Angebote wahrzunehmen. Tatsächlich braucht nicht jeder Krebspatient eine psychoonkologische Behandlung. Das kann sich jedoch im Verlauf der Krebstherapie ändern und darum ist es wichtig, Anlaufstellen zu kennen. Nicht selten finden Menschen nach Abschluss der onkologischen Therapie und Wiedereinstieg in den Beruf den Weg in eine psychoonkologische Beratung.

Nicht alleine wer sich Spezialist nennt, hat auch die ausreichenden Kompetenzen für die Diagnostik und Behandlung. Solch eine umfassende Behandlung wird an einem Comprehensive Cancer Center (CCC) angeboten (siehe Beitrag von Frau Dr. Materna in dieser Ausgabe). Eine unter vielen Voraussetzungen, um ein CCC zu werden, ist das Angebot psychoonkologischer Begleitung von Anfang an. Hier werden z.B. Qualifikation und regelmäßige Fortbildung der Mitarbeiter von kritischen Gutachtern regelmäßig überprüft. Allein das Vorhandensein des psychoonkologischen Angebotes reicht jedoch nicht aus. Empfohlen wird auch, darauf zu schauen, wie stark psychische Belastungen ausgeprägt sind. Das Spektrum kann hierbei von normalen Belastungen, die sich in Ängsten, Sorgen und Traurigkeit niederschlagen, bis hin zu schweren Belastungen, die sich in Depression und Angststörungen ausdrücken, reichen. Ein frühzeitiger Kontakt zu einem Psychoonkologen kann Klarheit darüber schaffen.

Auch die Psychoonkologie ist mittlerweile auf einem sehr hohen wissenschaftlichen Stand. 2014 erschien dazu eine so genannte S3-Leitlinie, die von der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG), der Deutschen Krebshilfe (DKH) und der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) herausgegeben wurde und an der Vertreter aus 52 Fachgesellschaften mitgearbeitet haben. Diese Leitlinie enthält Empfehlungen für die psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung erwachsener Krebspatienten, basierend auf einer systematischen internationalen Literaturrecherche und einem Expertenkonsens. Aktuell wird diese Leitlinie, die sich an die Behandler richtet, für Patienten aufbereitet, damit auch sie die Möglichkeit haben, alle Informationen verständlich nachzulesen. Erscheinen wird diese Patientenleitlinie voraussichtlich 2016. Für die psychosoziale Versorgung bei Kindern mit einer Krebserkrankung wurde bereits 2008 erstmalig solch eine S3-Leitlinie entwickelt.

Wer darf sich Psychoonkologe nennen? Eine spezielle Weiterbildung in der Psychosozialen Onkologie wird für Mediziner, Psychologen und Sozialarbeiter angeboten. Diese zielt auf die Besonderheiten, die im psychischen und sozialen Bereich im Zusammenhang mit einer Krebserkrankung und -behandlung auftreten können.

Aber was macht man in der Psychoonkologie? Hierbei geht es in erster Linie nicht um das Verschreiben von Medikamenten, sondern um eine Begleitung mit verschiedenen Methoden. Neben einer psychoonkologischen Diagnostik stehen Beratung und Psychoedukation, d.h. es geht um die Vermittlung von Informationen und Wissen. Viele fragen sich, warum sie so gereizt sind und erkennen sich gar nicht wieder. Was macht die Erkrankung mit einem selber? Was passiert mit der Famillie? Wie spreche ich mit meinen Kindern über die Krebserkrankung? Dürfen Kollegen und Freunde von dem Ausmaß der Erkrankung wissen? Was erzähle ich meinem Arbeitgeber? An dieser Stelle können einzelne Beratungen durchaus ausreichen. Gehen die festgestellten Belastungen in einen wie oben beschriebenen sehr starken Bereich, kann eine ambulante Psychotherapie indiziert sein. Bestimmte Verfahren, sogenannte Richtlinienverfahren, werden von den gesetzlichen Krankenkassen nach Beantragung finanziert. Dazu zählen derzeit die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, die psychoanalytische Psychotherapie und die Verhaltenstherapie. Bei all diesen Verfahren handelt es sich um wissenschaftliche Verfahren. Auch hier ist es im Falle einer Krebserkrankung wichtig, dass die Therapeutin oder der Therapeut eine psychoonkologische Weiterbildung hat.

Psychoonkologische Interventionen sind immer individuell und müssen auf die jeweilige Situation des Patienten und seine Bedürfnisse angepasst sein. In der Akutsituation geht es erst einmal um eine Stabilisierung. Was brauche ich, um meine Entscheidungen zu treffen und die Krebstherapie anzugehen? An dieser Stelle können Gespräche mit der Familie, Freunden oder Bekannten förderlich sein. Andererseits sind diese Menschen auch belastet. Schon alleine der Wunsch des Helfen-Wollens führt oftmals zu gutgemeinten und ungefragten Ratschlägen. Hier können Gespräche mit Professionellen hilfreich sein, da oft auch der Wunsch des Patienten besteht, die Familie zu schützen und sie das Gefühl haben, andere trösten zu müssen. Sprachlose Paare können von gemeinsamen Gesprächen unter Moderation profitieren.

Eine weitere Möglichkeit im Therapieverlauf stellen Entspannungsverfahren dar. So ist z.B. die Progressive Muskelentspannung nach Edmund Jacobson ein Verfahren, bei dem durch willkürliche An- und Entspannung bestimmter Muskelgruppen ein Zustand von tiefer Entspannung im Körper erreicht werden soll. Dieses Verfahren muss man lernen. Angeboten wird es oft in Gruppen. Stellen sich erste Erfolge ein, kann die Zeit z.B. während der Chemotherapie oder des Wartens auf Untersuchungen für solche Entspannungen genutzt werden. Einige gesetzliche Krankenkassen bieten für ihre Mitglieder kostenlose CDs an.

Entspannungsverfahren stellen eine sinnvolle Ergänzung zu psychoonkologischen Gesprächen dar. Neben diesen Verfahren werden auch künstlerische Therapien angeboten. Erlebte Sprachlosigkeit kann in Bildern ihren Ausdruck finden oder auch sprichwörtlich von der Seele geschrieben werden. Auch hier gilt der Grundsatz: Nicht viel hilft auch immer viel. Eine Überforderung oder ein Überaktivismus kann das Entgegengesetzte erreichen und frustrierend sein. Wie Sie Herausforderungen auf dem Weg von der Krebsdiagnose bis hin zur Nachsorge bewältigen können, beschreibt Frau Dipl.-Psych. Martina Preisler in Aktuelle Gesundheitsnachrichten im Heft 16/2015.

Ziel aller genannten Verfahren ist die Minderung der psychischen Belastungen und die Erhöhung der Lebensqualität. Passt Lebensqualität im Zusammenhang mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung? Lebensqualität beinhaltet für Gesunde grundsätzlich etwas anderes als für Erkrankte.

Bewertung des Wohlbefindens, der Angst

Bereits vor 100 Jahren gab es Bemühungen, die Sicht des Patienten in die Bewertung des Krankheitsgeschehens mit einfließen zu lassen. Der 1949 eingeführte Karnofsky-Index gibt dem Arzt die Möglichkeit, eine standardisierte Verlaufsbeschreibung des Patientenzustandes vorzunehmen. Diese Fremdeinschätzung wurde später erweitert. Die Konsensuskonferenz Lebensqualität in der Onkologie hat 1990 folgende Definition aufgestellt: „Unter gesundheitsbezogener Lebensqualität ist ein psychologisches Konstrukt zu verstehen, das die körperlichen, mentalen, sozialen, psychischen und funktionalen Aspekte des Befindens und der Funktionsfähigkeit der Patienten aus ihrer eigenen Sicht beschreibt.“ Die Auseinandersetzung mit diesem Konstrukt wurde durch die Entwicklung moderner Therapiemöglichkeiten und deren Folgeerscheinungen notwendig. Im Nationalen Krebsplan (2012) steht die Verbesserung der Lebensqalität onkologischer Patienten auf der Agenda. Was für den einen Menschen wichtig ist, kann jedoch für den anderen unwichtig sein. Es geht auch hier darum, individuelle Wege und Lösungen zu finden. Dabei können psychoonkologische Gespräche helfen.

Eine onkologische Therapie kann nicht nur daran bemessen werden, inwieweit das Leben verlängert wird. Hier stellt sich die Frage, um welchen Preis. Das wiederum lässt sich nicht einfach einschätzen. Das ist auch der Grund dafür, warum in klinischen Studien die Lebensqualität mit gemessen wird (siehe Beitrag von Frau Burock in diesem Heft). Für viele Menschen mit einer Krebserkrankung bedeutet Lebensqualität den Alltag zu meistern, selbstständig zu sein aber auch schmerzfrei und von Hilfe unabhängig zu sein. Auch mit unangenehmen Gefühlen wie Angst, Wut und Trauer umgehen zu können, stellt einen Baustein der Lebensqualität dar. Hier schließt sich der Kreis zur Psychoonkologie.

Weitere Informationen:
Charité Comprehensive Cancer Center
Charitéplatz 1, 10117 Berlin, Tel.: 030-450 564 222
E-Mail: cccc@charite.de; Internet: http://cccc.charite.de

 

„…und oft ändert derselbe Mensch seine Meinung: wird er krank, so ist es Gesundheit, und wenn er gesund ist, so ist es das Geld.“ (Aristoteles, Philosoph, 384-322 v.Chr.)

 

Aktuelles aus der Krebsforschung

Prostatakarzinom - Können Statine (Cholesterinhemmer) den Progress verzögern?

Versuche von Wissenschaftlern um Dr. Philip W. Kantoff, Dana-Farber Krebsinstitut in Boston, scheinen es bestätigt zu haben. In Prostatakarzinomzelllinien blockierten Statine die Aufnahme des Androgenvorläufers Dehydroepiandrosteron (DHEAS) und verminderten so den Androgen-Pool in den Tumorzellen. Eine folgende Analyse, die das Team bei 926 Männern mit fortgeschrittenem, hormonbehandeltem Prostatakarzinom vornahm, wies ebenfalls auf positive Effekte einer Statintherapie hin.

31% der Männer nahmen zusätzlich Statine ein. Sie zeigten nach einer medianen Beobachtungszeit von ca. 6 Jahren ein eindeutig längeres progressionsfreies Intervall als die nicht mit Statinen behandelten Männer.

Die Frage, ob Lipidsenker für alle Prostatapatienten sinnvoll ist, kann mit der derzeitigen Datenlage noch nicht beantwortet werden. Interessante Impulse für die Forschung sind die Ergebnisse allemal.
(Quelle: L.C.Harsman et al., JAMA Oncology 2015; J.D. Ramos und E.Y.Yu, JAMA Oncology 2015)

Hodenkrebs

Die Deutsche Gesellschaft für Urologie veröffentlichte neue Erkenntnisse zu Spätfolgen einer Hodentumortherapie. Zweitmalignome machen sich oft noch nach Jahrzehnten bemerkbar. Vor allem nach einer kombinierten Radiochemotherapie ist Achtsamkeit wichtig. Hier muss man auch nach etwa 35 Jahren mit einer beinahe dreifachen Rate an Karzinomen von Lunge, Kolon, Blase, Pankreas und Magen rechnen. Das Leukämierisiko liegt sogar um das 4,5fache höher. Je älter der Patient zum Zeitpunkt seiner Erkrankung war, umso niedriger liegt das Risiko für eine weitere Tumorerkrankung, so Professor Dr. Sabine Kliesch, Münster.

Kardiovaskuläre Erkrankungen und auch Störungen des Sexuallebens werden nach den Therapien beobachtet. Ebenso sind sexuelle Störungen nach einer Hodentumortherapie vielschichtig. Betroffene Männer klagen über Phantomschmerzen im entfernten Hoden mit assoziierten Ejakulations-, Erektions- und Orgasmusstörungen. Etwa 95% der betroffenen Männer klagen auch über verminderte sexuelle Zufriedenheit. Die Frage nach der Chance, trotz Therapie auf natürliche Weise Vater zu werden, kann gegenwärtig mit einer positiven Rate von 45% angegeben werden. Es gehört heute zur Therapieberatung, alle Patienten über die Möglichkeiten der Kryokonservierung (Aufbewahrung von Spermien) für eine spätere Vaterschaft aufzuklären. Ein großer Teil der Männer nimmt dieses Angebot an.
(Quelle: Medical Tribune, DGU)

Darmkrebs - Krebsschutz durch ASS und NSAR?

Immer wieder wurde festgestellt, dass eine vermehrte Einnahme von ASS und NSAR (Nichtsteroidales Antirheumatikum) eine reduzierte Darmkrebs-Inzidenz assoziierte. Studien zeigen einen genetischen Zusammenhang, so Dr. Hongmei Nan vom Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle. Die Auswertung von Daten von 8.634 Patienten mit kolorektalem Karzinom und 8.553 gesunden Kontrollpersonen zeigte ein um 31% reduziertes Darmkrebsrisiko unter ASS und NSAR.

Zu den Schutzwirkungen trugen zwei Single-Nucleotid-Polymorphisemn (SNPs) bei, die bei einem großen Teil der Bevölkerung aufzuweisen sind. Beide SNPs sitzen auf Chromosom 12 und sind eng miteinander assoziiert.

Dennoch gibt es heute keine Evidenz für eine eindeutige Empfehlung. Die Gefahr, dass bei regelmäßiger Einnahme das Risiko sogar erhöht sein kann, wird nicht ausgeschlossen Die Studie ist trotzdem für die Entwicklung individueller Präventionsstrategien und für die weitere Forschung von großer Bedeutung.
(Quelle: Hongmei Nan et al., JAMA 2015; Richard C. Wender a.a.O.: 1111-1112)

Brustkrebs - Akupunktur gegen Hitzewallungen

Nach einer operativen Entfernung eines Mammakarzinoms werden die betroffenen Patientinnen weiter antihormonell behandelt. Unter dieser Therapie treten oft Hitzewallungen als Nebenwirkung auf. Eine Studie in den USA untersuchte mit vier Behandlungswegen die Probandinnen. Eine Gruppe erhielt über acht Wochen täglich 900mg Gabapentin und eine andere 2x wöchentlich Elektroakupunktur über zwei Wochen, danach einmal wöchentlich über sechs Wochen. Zwei weitere Gruppen wurden mit einem Placebo oder einer Scheinakupunktur (keine Nadel, kein Strom) behandelt.

Im Ergebnis zeigte die Elektroakupunktur die effektivste Minderung der Symptomatik. Auch nach 16 Wochen nach Therapieende hielten die lindernden Effekte an. Relevant für diese Studien bleibt, dass sich die Lebensqualität der Frauen mit Akupunktur verbesserte. Wie genau diese Therapie wirkte, wurde von den Studienautoren nicht beschrieben.
(Quelle: Jun J.Mao et al., J Clin Oncol. 2015)

Bitte lesen Sie auch den Beitrag zum Thema Akupunktur von Frau Prof. Dr. med. Claudia Witt, Zürich, im Heft 17/2015

 

Zur Prävention und Behandlung von Krebserkrankungen mit Hilfe der Apitherapie

Prof. Dr. Karsten Münstedt, Ortenau Klinikum Offenburg-Gengenbach

Karl Philipp Münstedt

Prof. Dr. Franz-Josef Prott, RNS Gemeinschaftspraxis Wiesbaden

Warum dieser Artikel?

Im Rahmen eines Vortrages zur Apitherapie auf dem Badischen Imkertag 2015 stellte einer der Autoren (KM) die Frage an das Auditorium, ob sich jemand bei schwerwiegender Erkrankung, zum Beispiel Krebs, mit Methoden der Apitherapie behandeln lassen würde. Zum großen Erstaunen meldete sich ein nicht unerheblicher Anteil der Anwesenden im Auditorium. Dieser Umstand war Anlass, die Zusammenhänge zwischen Apitherapie und bösartigen Tumorerkrankungen einmal näher zu beleuchten.

Krebsvorbeugung und Krebsbehandlung durch Apitherapie

Im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Thema wurden verschiedene Bücher zur Apitherapie und Bienenprodukten durchgesehen mit der Frage, wie man sich dort mit dem Thema Krebs auseinandergesetzt hat. Die Tabelle gibt eine Übersicht über die Aussagen verschiedener Bücher zur Apitherapie zum Thema Krebs.

Die Übersicht zeigt, dass die meisten Werke (15 von 32) das Thema überhaupt nicht berühren. Zwei Werke äußern sich unklar. Ein Werk (Knoller 1995) erklärt, dass Apitherapie bei Krebs keinen Stellenwert hat. Vier weitere Arbeiten schreiben den Bienenprodukten eine krebsvorbeugende Wirkung zu. Acht Werke sehen Bienenprodukte als sinnvolle Möglichkeit zur Linderung von Nebenwirkungen einer konventionellen Behandlung. Fünf Werke erachten Bienenprodukte als direkt wirksam gegen den Krebs; zwei weitere halten direkte therapeutische Wirkungen für möglich.

Die Behauptung, dass Menschen durch Apitherapie geheilt wurden, wurde bislang nicht unabhängig bestätigt.

Krebsvorbeugung (Krebsprävention) durch Apitherapie

Es gibt reichlich Hinweise für direkte Wirkungen von Honig und Propolis gegen Tumorzellen. Die Untersuchungen dazu haben jedoch bislang fast nur im Labor stattgefunden. Daraus lässt sich entsprechend die Schlussfolgerung nicht ableiten, dass Bienenprodukte zur Verhinderung der Entstehung von Tumorerkrankungen sinnvoll sind. Eine erste Studie an Patienten, bei denen Darmpolypen als Vorstufen einer bösartigen Darmerkrankung entfernt wurden und die zuvor 3 Monate lang Propoliskapseln einnahmen, zeigte keine Hinweise auf tumorverhindernde Wirksamkeit, sondern sogar unerwünschte Effekte im Sinne einer Schädigung des Herzmuskels.

In den Apitherapiebüchern finden sich vielfach Hinweise auf eine angeblich geringere Krebserkrankungswahrscheinlichkeit bei Imkern. Darin wird auf eine angeblich aus Russland stammende Studie hingewiesen, ohne dass die genaue Quelle benannt wird. Bei einer anderen Studie an über 580 Imkern konnten keine Hinweise für eine geringe Krebserkrankungsrate bei Imkern gefunden werden (McDonald et al. 1979). Empfehlungen zur Krebsvorbeugung mit Bienenprodukten sind daher nicht gerechtfertigt und sollten daher nicht gegeben werden.

Krebsbehandlung mit Methoden der Apitherapie

Bienenprodukten, insbesondere Propolis und Bienengift, seltener auch Honig, werden direkte krebsabtötende Wirkungen zugeschrieben. Auch hier wird auf Studien im Labor (Zellkulturexperimente und Tierversuche) verwiesen. Wie oben erwähnt, empfehlen 5 Bücher die Apitherapie für die Tumorbehandlung, 3 weitere mit Einschränkungen. Im Internet finden sich Seiten, die behaupten, mit Hilfe der Apitherapie Krebserkrankungen heilen zu können (http://www.thiele-und-thiele-consult.de/alternative-therapies/Krebs-Praekanzerosen_ ge.html; http://www.eco world.de/scripts/basics/econews/basics.prg?a_ no=3910; Zugang 06.04.2015).

Im Internet findet sich auch ein Bericht, wonach sich bisher mehr als 27.000 Menschen einer Bienengifttherapie in der Klinik von Herrn Wang Menglin in einem Vorort von Peking unterzogen haben, allerdings auch mit anderen Problemen als Krebs (http://www.welt.de/gesundheit/article119420238/In-China-wird- Krebs-oft-mit-Bienengift-behandelt.html; Zugang 06.04.2015).

Auf der Apimondia 2013 wurde von Dr. Ip aus Taiwan der Fall eines Patienten mit einem Karzinom an der Zunge berichtet, dessen Tumor und die assoziierten Kaubeschwerden unter einer lokalen Bienengifttherapie verschwanden. Dr. Ip betonte, dass die Bienengifttherapie nicht zur Heilung führt, sondern kontinuierlich fortgeführt werden muss und wies darauf hin, dass Patienten unter Bienengifttherapie häufig Allergien entwickeln, was dann wiederum die Behandlungsmöglichkeiten begrenzt.

In medizinischen Datenbanken finden sich bislang keine Berichte über Krebspatienten, die nach Apitherapie geheilt wurden. So kommt auch die American Cancer Society (Amerikanische Krebsgesellschaft) zu dem Schluss, dass die bisher vorliegenden Hinweise auf Wirksamkeit keinesfalls ausreichen, um die apitherapeutische Behandlung empfehlen zu können (http://www.cancer. org/treatment/treatmentsandsideeffects/complementaryandalternativemedicine/ pharmacologicalandbiologicaltreatment/apitherapy; Zugang 06.04.2015). Vor dem Hintergrund, dass Patienten unter Alternativmedizin schlechtere Heilungschancen haben, ist die Behandlung von Krebs durch Apitherapie solange strikt abzulehnen, wie es die Befürworter versäumen, ihre angeblich positiven Erfahrungen offen zu legen und zu beweisen. Laborexperimente dürfen keine Grundlage für Behandlungsempfehlungen sein, denn Ergebnisse im Reagenzglas sind nicht ohne weiteres auf Menschen übertragbar.

Ergänzende (komplementäre) Apitherapie

In neun Werken wird auf nebenwirkungslindernde Effekte der Bienenprodukte hingewiesen. Die Hauptaussagen sind im Folgenden zusammengefasst:

  • Ehmann (2002) weist auf immunstimulierende und entgiftende Wirkungen hin sowie auf die Wirksamkeit gegen Gewichtsverlust.
  • Frank (2005) weist auf die Bedeutung von Bienenprodukten (insbesondere Pollen) für die Ernährung von Krebspatienten hin sowie die immunstimulierenden Eigenschaften von Propolis.
  • Hainbuch (2013) betont die immunstimulierenden und antioxidativen (Wirkung als Radikalfänger) Eigenschaften der Bienenprodukte und weist auf ein geringeres Rückfallrisiko bei Brustkrebs bei lokaler und oraler Anwendung von Honig hin. Die Quelle zur letztgenannten Behauptung wird nicht genannt.
  • Köwing (1998) erwähnt die Möglichkeiten eines komplementären Einsatzes, verweist auf bestimmte Bienenprodukte, ohne die genaue Indikation zu nennen.
  • Oldhaver (2014) beschreibt Gelée royale zur Behandlung von Schäden durch Strahlen- und Chemotherapie, z. B. im Bereich der Schleimhäute. Er weist auch darauf hin, dass in tierexperimentellen Untersuchungen sich auch Hinweise auf direkte Effekte auf den Tumor ergaben (z. B. Hemmung von VEGF, geringere Metastasenbildung).
  • Oppermann (2009) erwähnt die Möglichkeiten eines komplementären Einsatzes ohne nähere Details.
  • Percie du Sert (2006) weist auf die antioxidativen (Wirkung als Radikalfänger) Eigenschaften von Pollen hin. Er hält auch den direkten Einfluss von Pollen gegen Krebs für möglich.
  • Uccusic (1982) beschreibt die Wirksamkeit der Bienenprodukte gegen Strahlenkrankheit und zur Verbesserung von Schlaf, Stuhlgang, Appetit, Gewichtsverlust und Wohlbefinden.

Mit Ausnahme des Buches von Oldhaver (2014) werden die Quellen, auf denen die Aussagen beruhen, nicht genannt. Entgiftung und Immunstimulation sind Schlagwörter. Ihre Bedeutung im Rahmen einer Krebstherapie ist zweifelhaft, da Krebs nur in seltenen Fällen mit einer Vergiftung zu tun hat und eine ungerichtete (unspezifische) Immunstimulation keinen Effekt, möglicherweise jedoch Nebenwirkungen hat. Problem des Buches von Oldhaver ist, dass bei der Erwähnung von direkten Effekten von Gelée royale auf Tumorzellen kaum zum Ausdruck kommt, dass diese Ergebnisse nur auf Versuchen im Reagenzglas und tierexperimentellen Untersuchungen beruhen. Es muss darauf hingewiesen werden, dass aus dererlei Versuchen keine direkten Rückschlüsse auf die Wirksamkeit bei Krebserkrankungen beim Menschen gezogen werden dürfen. Die Quelle zur Aussage von Hainbuch (2013) bezüglich des geringeren Rückfallrisikos bei Brustkrebs unter Honig (lokal auf die Brust gestrichen und als Nahrung) konnte auch im Rahmen einer speziellen Literaturrecherche zum Thema nicht identifiziert werden. Eine derart wichtige Aussage wäre durch einen direkten Literaturhinweis zu belegen gewesen.

Apimedizin

Neben der Apitherapie hat sich auch international ein Bereich etabliert, der sich bemüht, medizinische Behandlungen mit Bienenprodukten auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen. Um diesen Ansatz von der eher unwissenschaftlichen Apitherapie abzugrenzen, soll hier der Begriff Apimedizin verwendet werden.

Apimedizinern ist es gelungen, sinnvolle Einsatzgebiete für Bienenprodukte im Rahmen der klassischen Krebstherapie zu identifizieren.

In der Folge werden einige mit der Krebstherapie assoziierte Probleme aufgelistet und dargestellt, ob und ggf. welche apimedizinischen Möglichkeiten der Behandlung bestehen.

Mögliche Probleme im Rahmen einer Krebsoperation

Operationen an Tumoren zielen zumeist darauf ab, den Tumor vollständig zu entfernen und zu prüfen, ob der Tumor Absiedlungen in die örtlichen Lymphknoten gemacht hat. Probleme durch die Operation ergeben sich je nach operierter Region. Ein allgemeines Problem bei Operationen sind Wundheilungsstörungen.

In diesen Fällen kann Honig hilfreich sein, denn Honig hat mehrere Wirkmechanismen, mit denen Wundinfektionen begegnet werden kann:

  • Osmotischer Effekt: Honig entzieht den Bakterien in einer bakteriell infizierten Wunde Wasser, so dass sie nicht mehr lebensfähig oder vermehrungsfähig sind.
  • Wasserstoffperoxyd ist im Honig in geringen Mengen vorhanden, wird jedoch vom Enzym Glukoseoxydase kontinuierlich nachproduziert, sobald sich der Honig verdünnt. Wasserstoffperoxyd wirkt gegen fast alle Bakterienarten und aktiviert möglicherweise das Immunsystem vor Ort.
  • Methylglyoxal bindet an die Erbsubstanz (DNS) von Bakterien und beeinträchtigt damit die Steuerung ihrer Stoffwechselprozesse. Insbesondere der neuseeländische Manukahonig enthält viel Methylglyoxal.
  • Defensine sind ähnlich den Antikörpern bei Tieren und unterstützen die Abwehr von Bakterien und Viren. Sie lassen sich im Honig nachweisen.
  • pH-Wert: Honig ist durch die etwa 30 verschiedenen organischen Säuren leicht sauer. Dadurch wird das Wachstum von Bakterien in Wunden direkt und/oder indirekt gestoppt.

Gerade bei Wunden, die mit antibiotikaresistenten Problemkeimen belastet sind, erweist sich Honig als wirksam. Insofern kann Honig bei Wundheilungsstörungen nach Krebsoperationen effektiv eingesetzt werden.

Mögliche Probleme im Rahmen einer Chemotherapie

Im Rahmen einer Chemotherapie können je nach Medikament unterschiedliche Probleme auftreten.

Zu nachfolgenden Problemen gibt es keine sinnvollen apimedizinischen Ansätze: Haarausfall, Nagelschäden; Übelkeit und Erbrechen; Blutbildveränderungen; Müdigkeit, Erschöpfung; Depression; Eingeschränkte Fruchtbarkeit bei Männern und Frauen; „Entgiften“ (eine Entgiftung ist ein Konzept der Alternativmedizin, das im Rahmen wissenschaftlicher Tumortherapien nicht notwendig ist, da keine chronische Vergiftung des Patienten eintritt).

Mögliche Nebenwirkungen der Tumortherapie lassen sich möglicherweise mit Mitteln der Apimedizin lindern: Schleimhautprobleme; Kardiotoxizität (Herzschädigung); Neurotoxizität (Nervenschädigung); Andere Spätfolgen an Organen; vorzeitige Wechseljahre bei Frauen.

Schleimhautprobleme

Mehrere Studien haben die Auswirkungen von apimedizinischen Interventionen bei Schleimhautproblemen (Mukositis) unter Chemotherapie untersucht. Eine Studie untersuchte die Wirkung von Honig auf Mundschleimhautentzündungen bei 90 Patienten. Die Patienten wurden zufällig auf 3 Studienarme verteilt: 1. Honig, 2. eine Mischung von Honig, Olivenöl, Propolis und Bienenwachs und 3. einer Kontrollgruppe.

Bei leichteren Mundschleimhautentzündungen (Grad 2) erwies sich Honig als beste Behandlungsmöglichkeit, bei schwereren waren sowohl Honig als auch die Mischung von Honig, Olivenöl, Propolis und Bienenwachs der Standardbehandlung überlegen. Eine weitere Studie verglich in einer dreiarmigen Studie eine Siruplösung, der 20 mg Betamethason (Kortison) zugesetzt wurden, mit einer Honiglösung sowie einer Honiglösung (300 g), der 20 g Instantkaffeepulver zugesetzt wurden. Unter allen drei Behandlungsmöglichkeiten besserten sich die Beschwerden. Die Besserung war allerdings in der Sirup-Betamethason-Gruppe am geringsten, in der Honig-Gruppe am zweitbesten, aber in der Honig-Kaffee-Gruppe am deutlichsten ausgeprägt.

Auch Gelée royale soll sich positiv auswirken. Im Rahmen einer Studie bei 103 Patienten mit Schleimhautreizungen im Mundbereich, bei Strahlen- und Chemotherapie, wurde bei einer Gruppe zweimal täglich 1 g Gelée royale auf die angegriffenen Schleimhäute aufgetragen und danach geschluckt. Die Behandlung erfolgte zusätzlich zu einer Standardtherapie mit entzündungs- und pilzinfektionshemmenden Mitteln (Benzydamin, Nystatin). Je nach Schweregrad der Schleimhautreizung war die Abheilung unter Gelée royale um bis zu 6,5 Tage kürzer im Vergleich zu einer Kontrollgruppe.

Bei einer weiteren Studie zu Gelée royale bei 13 Patienten wurde 3 x 1 g Gelée royale täglich vorbeugend auf die Schleimhäute der Mundhöhle aufgetragen und danach geschluckt. In der Gelée royale-Gruppe entwickelte sich die Mukositis später und „nur“ 5 der 7 Patienten der Interventionsgruppe entwickelten eine schwere Mukositis.

Eine Studie zu Propolis hat gezeigt, dass Propolis im Gegensatz zu Honig und Gelée royale nicht geeignet ist, die chemotherapiebedingten Schädigungen der Mundschleimhäute zu bessern. Insgesamt sind diese kleinen Studien mit teilweise stärkeren methodischen Mängeln behaftet. Aus diesem Grund kann die Datenlage in diesem Bereich keinesfalls als zufriedenstellend bewertet werden.

Trotzdem ergeben sich aus den vorgestellten Studien gute Hinweise dafür, dass apimedizinische Ansätze hilfreich sein können. Da Risikopotential und Belastungen für den Patienten gering sind, erscheint ein ergänzender Versuch bei Patientenwunsch gerechtfertigt.

Kardiotoxizität und Neurotoxizität

Bei einer Chemotherapie mit Chemotherapeutika aus der Gruppe der Anthrazykline aber auch anderen onkologischen Medikamenten kann es zur Schädigung des Herzmuskels kommen. Propolis hat in tierexperimentellen Untersuchungen gezeigt, dass es diese Schädigung vermindern kann. Untersuchungen am Menschen wurden bisher nicht publiziert.

Eine Fallserie mit 11 Patienten beschreibt die deutliche Wirksamkeit von „süßem“ Bienengift (sweet bee venom), einem Bienengift, dem die allergischen Komponenten entzogen wurden und das im Wesentlichen aus Melittin besteht, bei chemotherapiebedingter Neuropathie (Nervenschädigung). Das „süße“ Bienengift wurde durch Pharmakopunktur appliziert, d.h., die Injektionen erfolgten an den Akupunkturpunkten.

Die Möglichkeit, „süßes“ Bienengift bei Neuropathie einsetzen zu können, ist interessant, denn vielversprechende Alternativen aus anderen Bereichen der Medizin sind kaum bekannt. Der Befund, dass Bienengift bei Neuropathie sinnvoll sein könnte, passt zu tierexperimentellen Untersuchungen zur multiplen Sklerose und einigen positiven Fallbeschreibungen, wonach Melittin antientzündlich wirkt und einer Entmarkung der Nervenfasern (Demyelinisierung) vorbeugt (Karimi et al. 2012). Vor einer breiten Anwendung müssen jedoch weitere Studien erfolgen. Auch was den Einsatz von Propolis zur Vorbeugung von Schädigungen des Herzmuskels betrifft, sollten erst Studien am Menschen vorliegen, bevor diese Möglichkeit empfohlen werden kann.

Wie die zuvor erwähnte Studie zu den Darmpolypen zeigt, kann Propolis auch den Herzmuskel schädigen. Daher ist in jedem Fall Vorsicht angezeigt.

Vorzeitige Wechseljahre bei Frauen

Durch eine Chemotherapie werden bei Frauen vielfach die Eierstöcke in Mitleidenschaft gezogen, so dass die Wechseljahre (Klimakterium) früher eintreten. In manchen Fällen ist das nachteilig und mit schlechterer Lebensqualität für die Frauen verbunden.

Bei hormonabhängig entstandenen Tumoren wird der Hormonentzug aber als Teil des therapeutischen Prinzips bewusst induziert. In diesen Fällen sind Therapieversuche, die die Wechseljahresbeschwerden über eine Gabe von Hormonen oder hormonähnlichen Substanzen lindern, kritisch zu sehen, da sie möglicherweise das Tumorwachstum verstärken können. Für nicht-hormonabhängige Tumoren und Wechseljahresbeschwerden gibt es ein breites Behandlungsangebot durch die konventionelle Medizin, Naturheilkunde und Alternativmedizin.

Positive Studiendaten gibt es zu pflanzlichen Östrogenen (Phytoöstrogenen). Im Bereich der Bienenprodukte erscheinen Pollen und Pollenextrakte (meist jedoch aus Gräserpollen gewonnen) als mögliche Behandlungsoptionen. Aktuell ist das Produkt Sérélys auf dem deutschen Markt zugelassen. Zu diesem Präparat existieren einige recht gute Studien.

Mögliche Probleme im Rahmen einer Antihormontherapie

Östrogen spielt eine zentrale Rolle bei einigen Tumorarten, insbesondere bei Brustkrebs. Die Hemmung der negativen Eigenschaften von Östrogen kann eine Heilung bewirken oder das Fortschreiten einer Erkrankung verzögern. Allerdings hat Östrogen nicht nur negative Effekte, denn es schützt das Herz und die Knochen.

Folgende Probleme sind häufig mit einer antihormonellen Therapie vergesellschaftet: Hitzewallungen, Wechseljahresbeschwerden; Osteoporose; Trockene Schleimhäute

Ob apimedizinische Ansätze sinnvoll sind, ist nicht klar. Honig und Pollen können Hitzewallungen und andere Wechseljahresbeschwerden bessern (siehe Kapitel „Vorzeitige Wechseljahre bei Frauen“). Ob dies möglicherweise die Wirksamkeit der Behandlung herabsetzt, kann derzeit nicht beurteilt werden.

Mögliche Probleme im Rahmen einer Strahlentherapie – akute Nebenwirkungen

Die Probleme bei einer Strahlentherapie hängen wesentlich davon ab, welche Region des Körpers bestrahlt wird. Typische Probleme bei Bestrahlung von bestimmten Regionen sind nachfolgend dargestellt.

Keine sinnvollen apimedizinischen Ansätze gibt es für Übelkeit und/oder Durchfall bei Bestrahlung im Bauchbereich, Reizung der Blasenschleimhaut (Zystitis) bei Bestrahlung im Blasen- oder Prostatabereich, Haarausfall bei Bestrahlung im Kopfbereich.

Strahlendermatitis

Einem Sonnenbrand ähnliche Hautreizungen unter Bestrahlung nennt man Strahlendermatitis. In der Vergangenheit wurden 2 Studien zur Behandlung dieser Problematik mit Bienenprodukten durchgeführt. Bei der ersten wurden 27 von 600 Patientinnen, die im Rahmen der Bestrahlung wegen Brustkrebs stärkere Hautprobleme entwickelten (Grad 3 Hauttoxizität), zufällig einer Behandlung mit Paraffin-Gaze oder Honig zugelost. Die Studie ergab eine Tendenz im Hinblick auf eine schnellere Heilung und eine höhere Patientenzufriedenheit unter Honig, denn dieser ließ sich bei Verbandswechseln im Vergleich zum fettigen Paraffin leicht mit warmem Wasser abspülen (Moolenaar et al. 2006).

Die zweite Studie untersuchte insgesamt 150 Patientinnen, die ebenfalls zufällig einer von drei Behandlungsgruppen (à 50 Patientinnen) zugeteilt wurden –

  • mit einem die Durchblutung fördernden Mittel (Pentoxifyllin; 2 x 400 mg/d),
  • Honig sowie
  • einer Kombination von Honig und Pentoxifyllin.

In dieser Studie schnitten die ausschließlich mit Pentoxifyllin behandelten Patientinnen am schlechtesten ab. Honig war deutlich besser, aber am besten schnitt die Kombination von Honig und Pentoxifyllin ab. Ähnlich wie bei Wundheilungsstörungen und bei Brandwunden scheint Honig hier eine mögliche Behandlungsoption zu sein.

Mund- und Rachenregion: Schleimhautentzündungen

Bestrahlungen bei Tumoren im Mund- und Rachenraum führen zu schweren Schleimhautentzündungen, bakteriellen Besiedlungen mit Infektion, ungewolltem Gewichtsverlust und Verzögerungen bei der Bestrahlung. Einige Studien haben die Bedeutung von Honig im Hinblick auf die Verbesserung der Verträglichkeit der Strahlentherapie untersucht.

Eine statistische Analyse sämtlicher Studiendaten zum Thema kommt zu dem Ergebnis, dass Honig in dieser Hinsicht die beste Möglichkeit der Behandlung von Schleimhautentzündungen im Rahmen einer Strahlentherapie ist.

Möglicherweise ist Manuka-Honig in diesem Anwendungsbereich nicht so gut, denn 2 Studien zum Manuka-Honig konnten keine Überlegenheit von Honig zeigen, während Studien zu anderen Honigsorten immer zugunsten von Honig ausfielen. Wenngleich weitere gute Studien zum Thema erforderlich sind, kann diese Behandlungsmöglichkeit durchaus empfohlen werden. Honig sollte dazu während der Bestrahlung mehrfach täglich im Mundraum auf die Schleimhäute einwirken. Auf eine gute Mundhygiene ist ebenfalls zu achten.

Mögliche Probleme im Rahmen einer Strahlentherapie – Spätreaktionen

Hautverfärbungen, die Ausbildung kleiner, erweiterter Äderchen (Teleangiektasien) oder Gewebsverhärtungen (Fibrose) können Spätreaktionen auf die Strahlentherapie sein und Monate oder Jahre nach der Behandlung auftreten. Bestrahlte Körperregionen können auf Dauer empfindlicher bleiben und z. B. auf Sonne, chemische Stoffe oder mechanische Belastungen stärker reagieren. Sinnvolle apimedizinische Ansätze sind nicht bekannt. In einigen Büchern der Apitherapie wird dies zwar behauptet, konkrete Befunde und Daten jedoch nicht vorgelegt.

Fortgeschrittene Tumoren

Manchmal warten Patienten mit bösartigen Erkrankungen lange, bis sie sich bei einem Arzt vorstellen und erreichen ein fortgeschrittenes Krankheitsstadium, in dem ein Tumor die Haut durchbricht oder es kommt zum Rückfall der Erkrankung, die durch Operation oder Strahlentherapie dann nicht therapierbar ist. Tumorwachstum, welches die Haut durchbrochen hat, führt zur Absonderung von eiweißreicher Flüssigkeit aus der Wunde (Exsudation) sowie zu sehr unangenehmen Gerüchen, die dazu führen, dass die Betroffenen von der Umwelt gemieden werden. Die Behandlung dieser Problematik mit Honig wurde schon vor mehr als 30 Jahren empfohlen. In einer kürzlich erschienenen Arbeit wurden bei insgesamt 69 Patienten honigbeschichtete Bandagen mit silberbeschichteten Bandagen verglichen. Im Ergebnis fand sich kein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Behandlungsmöglichkeiten, was für Honig spricht. Entsprechend kann bei bösartigen Tumorerkrankungen mit Tumordurchbruch Honig versucht werden. Interessant ist, dass, wenn sich unter der Behandlung mit Honig die Wundfläche verkleinert, dies durchaus das Überleben der Patienten positiv zu beeinflussen scheint.

Dieser Befund darf aber nicht als Rechtfertigung für eine primäre Behandlung eines bösartigen Tumors mit Honig herhalten.

Zusammenfassung

Einige Anhänger der Apitherapie empfehlen Bienenprodukte für die Krebstherapie, ohne dazu wissenschaftliche Daten vorzulegen, die den Schluss rechtfertigen würden, dass Apitherapie sinnvoll ist.

Solange dies nicht erfolgt, ist dieser Behandlungsansatz strikt abzulehnen, denn mögliche Verzögerungen bei einer sinnvollen Therapie können zu Verschlechterungen der Überlebens- und Heilungschancen führen.

Dies kann im schlimmsten Fall für den Betroffenen tödlich enden. Sollten apitherapeutische Konzepte wirksam sein, ist es Aufgabe der „Erfinder“ die Sinnhaftigkeit ihrer Methode nachzuweisen, was bedeutet, dass die Methode zumindest gleich gute Ergebnisse liefern muss wie die schulmedizinischen Methoden.

Auch die begleitende Apitherapie (komplementärer Ansatz) ist zumeist nicht wissenschaftlich begründet. Sie steht in Konkurrenz zu anderen naturheilkundlichen Behandlungsansätzen (u. A. grüner Tee, Selen, Vitamin D), für die inzwischen gute Daten vorliegen. Diesen sollte der Vorzug gegeben werden, solange die Datenlage zu apimedizinischen Ansätzen schlechter ist.

Wiederholt vorgetragene Behauptungen zum Thema Krebs haben, wie es scheint, Teile der Imkerschaft zu der Überzeugung gebracht, die Apitherapie könnte in der Tat bei schwerwiegenden Erkrankungen wie Krebs sinnvoll sein. Es ist deshalb notwendig, gerade die Imkerschaft seriös über das Potenzial der Apitherapie zu informieren, aber auch deren Grenzen offen aufzuzeigen. Bei manchen Erkrankungen, z. B. Heuschnupfen, wo sich aus Therapieverzögerung gegenüber der klassischen Behandlung keine nachteiligen Folgen ergeben, kann durchaus ein primärer apimedizinischer Behandlungsansatz erfolgen.

Bei Krebs können apimedizinische Maßnahmen die klassische Medizin, wie oben dargestellt, nur sinnvoll unterstützen, aber nicht ersetzen.

Insgesamt gilt es, vor einer Behandlungsempfehlung Studienergebnisse beim Menschen (wie unter Apimedizin dargestellt) zu haben. Versuche im Reagenzglas oder an Tieren lassen sich nur sehr begrenzt auf die Situation beim Menschen übertragen, ganz zu schweigen von Methoden, die nur der Phantasie des Verfassers entspringen.

(Literaturquellen: bei der Redaktion)

Weitere Informationen:
Korrespondierender Autor: Prof. Dr. Karsten Münstedt,
Ortenau Klinikum Offenburg-Gengenbach, Ebertplatz 12, 77654 Offenburg
Tel. +49-(0)781-472-3701
karsten.muenstedt@og.ortenau-klinikum.de

Lesen Sie auch den Beitrag von Prof. Dr. med. Karsten Münstedt
„Fundierte Beratung zu Methoden der komplementären und alternativen Medizin“ in unserer Ausgabe Nr. 17.

 

„Bei jeder Art von Größe besteht der bleibende Ruhm darin, den Grundstein gelegt zu haben.“ (Ernest Renan)

 

Aktuelles aus der Krebsforschung

Hilfreiche Naturstoffe - „Biofabrik“ Tomate

Längst bekannt: Obst und Gemüse sind gesund. Um die richtige Dosis hilfreich zu konsumieren, müssten wir riesige Mengen zu uns nehmen. Nun haben Wissenschaftler des Max-Planck-Institutes für molekulare Pflanzenphysiologie und vom John Innes Center, Großbritannien, einen Weg gefunden, um Naturprodukte in großem Maßstab herzustellen.

Zwei medizinisch relevante sekundäre Pflanzenstoffe, das Phenylpropanoid Resveratrol (in Weintrauben) und Genistein (in Sojabohnen) wirken in verschiedenen Tierstudien lebensverlängernd und vorbeugend gegen Krebs. Aber niemand kann soviel Wein oder Sojabohnen trinken bzw. essen, um eine wirksame Menge aufzunehmen.

Die Wissenschaftler veränderten nun Tomatenpflanzen genetisch, um die Produktion der gewünschten Naturstoffe in den Früchten anzuschalten; sie integrierten einen bisher nicht vorhandenen Stoffwechselweg in die Tomatenpflanzen.

Dieser Weg hat große Vorteile. Tomaten gehören zu den ertragsreichsten Pflanzen mit hoher Fruchtproduktion und eignen sich damit hervorragend als Biofabrik für pflanzliche Stoffe. Tomaten werden leicht geerntet, können ausgepresst werden und aus dem Saft können die Stoffe extrahiert werden, die dann in der Medizin als Medikament zum Einsatz kommen können.
(Quelle: Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie)

Wirkstoffe aus dem Meer gegen Krebs - Pilz-Gene identifiziert

Wissenschaftler und Forscher vermuten in den bisher wenig erforschten Meeren und Ozeanen unseres Planeten Potenziale für neue Wirkstoffe zur Bekämpfung von Krankheiten.

In einem EU-Projekt „Marine Fungi“ haben internationale Forscher systematisch nach derartigen Stoffen, speziell in Pilzen, gesucht. Ein viel versprechendes Ergebnis ist die Identifizierung von Pilz-Genen, die für die Bildung von zwei krebshemmenden Stoffen, so genannten zyklischen Peptiden, verantwortlich sind. Forschungsarbeiten hatten gezeigt, dass diese Peptide (Scopularis A und B) das Wachstum von Bauchspeicheldrüsen- und Darmkrebszellen hemmen können.

Es wird nun möglich sein, die Peptide synthetisch herzustellen und ihre Wirksamkeit optimal zu verändern.
(Quelle: Christian-Albrecht-Universität Kiel)

 

Neuer Anti-Tumor-Impfstoff zur Sekundärprophylaxe

Dr. Wilfried Stücker, Immunologisch-Onkologisches Zentrum Köln (IOZK)

Prof. Dr. Volker Schirrmacher, Immunologisch-Onkologisches Zentrum Köln (IOZK)

Prof. Dr. Stefaan Van Gool, Immunologisch-Onkologisches Zentrum Köln (IOZK)

Warum brauchen wir zur Krebsbehandlung einen Impfstoff?

Malignes Tumorwachstum hat die Eigenschaft zu metastasieren. Die bis heute zur Verfügung stehenden Chemotherapien können die Metastasen-induzierenden Tumorzellen nicht nachhaltig inhibieren. So kommt es nach dem Absetzen der Chemotherapie in der Regel zu einem erneuten Metastasenwachstum. Ein spezifisch informiertes Immunsystem kann mit Hilfe des immunologischen Gedächtnisses, den Tumor-spezifischen zytotoxischen Memory-Zellen, eine nachhaltige Sekundärprophylaxe gegen Metastasen ausüben. Durch mehrfaches Impfen mit einem neuen, autologen Tumor-Impfstoff kann ein spezifisch informiertes Immunsystem im Krebspatienten entwickelt werden. Neue Antikörpertherapien wie die Checkpoint-Inhibitoren PD-1 und PD-1L können mit der Tumor-spezifischen Impfung kombiniert werden, um Synergie-Effekte zu erzeugen.

Problem: Tumorstammzellen

Schon in einem sehr frühen Tumorwachstumsstadium können Tumorzellen den Primärtumor verlassen und sich über das Lymph- oder Blutgefäßsystem im gesamten Organismus verteilen. Aus dem peripheren Blut können bei Tumorpatienten zirkulierende Tumorzellen isoliert werden. Einige wenige dieser zirkulierenden Tumorzellen haben die Eigenschaft, entfernt vom Primärtumor Metastasen zu initiieren. Es handelt sich hierbei unter anderen um so genannte Metastasen induzierende Tumorzellen – auch Tumorstammzellen genannt. Diese Tumorzellen können entweder gleich nach der Einnistung in einem vom Primärtumor entfernten Gewebe auswachsen oder nach einer längeren Ruhephase wieder aktiv werden.

Eine prophylaktische Chemotherapie zur Verhinderung einer Metastasierung ist oft nicht sehr erfolgreich. Eine Chemotherapie wirkt in der Regel nur gegen sich aktiv teilende Tumorzellen. Tumorstammzellen teilen sich initial in wiederum eine Tumorstammzelle und in sich vielfach weiter vermehrende Tumorzellen. Letztere können von einer wirksamen Chemotherapie vernichtet werden, die Tumorstammzelle aber nicht.

Die chirurgische Entfernung (RO-Resektion) des Tumors ist in der Regel die beste Therapieoption. Trotzdem kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich eventuell schon Tumorstammzellen abgesiedelt haben.

Daher sollte das operativ entfernte Tumormaterial zur Impfstoffherstellung genutzt werden. Mit dem autologen Tumorzellmaterial kann das Immunsystem gegen ein erneutes Tumorwachstum trainiert werden.

Lösung: Immuntherapie mit VOL-DC

Teil 1: Patienten-eigene Tumorzellen
Warum ist das autologe Tumormaterial die beste Option für eine Tumorantigen-Herstellung? Heute ist bekannt, dass ein solider Tumor immer individuell ist, ungeachtet der Tumorentität (ein Kolonkarzinom ist nicht vergleichbar mit einem anderen Kolonkarzinom). Der Tumor ist in sich selbst sehr heterogen. So wurden in einem soliden Tumor bis zu 50 unterschiedliche Mutationen in Tumorstammzellen gefunden. Aus diesem Grund dürfte es schwierig sein, ein universell wirkendes Tumorantigen zu finden. Selbst wenn definierte Zielstrukturen, die in einer Vielzahl von Tumoren vorkommen, inhibiert werden, kann sich nach kurzer Zeit eine Therapie-Resistenz entwickeln, wenn im Tumor neue Mutationen entstehen.

Mit einem autologen Gesamttumor-Antigen, das vom Patienten-eigenen Tumor hergestellt wird, besteht die größte Aussicht, im Patienten eine passende nachhaltige Immunantwort aufzubauen. Hierfür muss das operativ entfernte Tumorzellmaterial für eine spätere Therapie genutzt werden. Mit dem Tumormaterial soll das Immunsystem gegen ein weiteres Tumorwachstum trainiert werden. Die Tumor-inhibierende Immunantwort kann aber nur gegen die Tumorzellen erfolgreich trainiert werden, die dem Immunsystem im Impfstoff präsentiert werden. Daher ist es wichtig, so viel Tumormaterial wie möglich für die Antigenherstellung zur Verfügung zu stellen.

Das zugesandte Tumormaterial wird so bearbeitet, dass lediglich immunogene Eiweißbestandteile (Tumorlysat) übrig bleiben, die zur Information des Immunsystems dienen. Testungen während der Antigenherstellung garantieren, dass keine vermehrungsfähigen Tumorzellen in den Impfstoff gelangen.

Die Immuntherapie sollte immer von den individuellen immunologischen Voraussetzungen im Patienten abhängig gemacht werden. Der Tumor kann Botenstoffe aussenden, die das Immunsystem in seiner Funktion behindern. Findet die immunologische Untersuchung vor und nach einer Tumorentfernung statt, dann kann man die immunologische Inhibition des Tumors beurteilen.

Es ist einfach zu sagen „wir müssen das Immunsystem gegen das Tumorwachstum trainieren“, aber nicht so einfach, es erfolgreich umzusetzen. Ein Tumor besteht aus körpereigenen Zellen und körpereigene Zellen dürfen grundsätzlich nicht vom körpereigenen Immunsystem angegriffen werden!

Teil 2: Infektion mit einem Virus
Somit ist die immunologische Tumortoleranz physiologisch. Das Immunsystem reagiert immer nur auf fremd und gefährlich, nicht aber auf harmlos oder eigen. Daher wenden wir einen Trick an: wir infizieren die Tumorzellen mit einem Virus. Es handelt sich hier um ein onkolytisches Virus, das Newcastle Disease Virus (NDV). Dieses Virus ist für den Menschen apathogen. Es kann sich im Menschen lediglich in Tumorzellen vermehren. Gesunde Zellen können sich im Gegensatz zu Tumorzellen erfolgreich gegen eine Virusvermehrung wehren. Sie bilden den Abwehrstoff Interferon. Tumorzellen können das nicht so gut. Somit können selektiv die Tumorzellen mit diesem Virus infiziert werden. Die vom Virus infizierten Zellen werden in der Folge vom Immunsystem als gefährlich eingestuft. Somit sind die Voraussetzungen geschaffen für eine zytotoxische Immunreaktion, in diesem Fall gegen körpereigene Tumorzellen.

Teil 3: Kombination mit Dendritischen Zellen
Damit das Immunsystem ein nachhaltiges immunologisches Gedächtnis gegenüber Tumorantigenen etablieren kann, bedarf es einer speziellen Informationsübertragung. Uns ist heute bekannt wie das zelluläre Immunsystem, basierend auf T Lymphozyten, diese Information erhält. Hierfür werden spezielle Zellen, die dendritischen Zellen, benötigt. Wir wissen heute welche Voraussetzungen erforderlich sind, damit die dendritischen Zellen die Information richtig weitergeben können. Zunächst werden aus dem peripheren Blut Monozyten isoliert. Diese Zellen werden im Labor mit einem Zytokin- und Wachstumsfaktoren-Cocktail zu dendritischen Zellen herangereift. Während des Wachstums dieser dendritischen Zellen gibt es ein kleines Zeitfenster, in dem die dendritischen Zellen Informationen über Antigene aufnehmen können. Dieses Zeitfenster nutzen wir, um die dendritischen Zellen mit einem Lysat aus Virus infizierten Tumorzellen (virales Onko-Lysat, VOL) zu beladen. Die so informierten dendritischen Zellen (VOL-DC) werden als Impfstoff in die Haut des Patienten appliziert. Von dort gelangen sie über das Lymphgefäßsystem in die lymphatischen Organe (z.B. Lymphknoten), in denen dann die Anti-Tumor Immunantwort initiiert wird. Dort präsentieren die dendritischen Zellen die Viren infizierten Tumorbestandteile den T-Zellen, die sich daraufhin vermehren und den gesamten Organismus nach den erlernten Zielstrukturen (Tumorantigenen) absuchen. Ein kleiner Anteil dieser informierten T-Zellen wandert als Tumor-spezifische zytotoxische T-Gedächtniszellen ins Knochenmark, um im Falle eines späteren erneut beginnenden Metastasenwachstums sofort Wachstums-inhibierend aktiv zu werden.

Früher war es noch nicht bekannt, welche Voraussetzungen für dendritische Zellen erfüllt sein müssen, damit es zu einer erfolgreichen Antitumorreaktion durch T Lymphozyten kommt. Daher konnte eine DC-Therapie auch eine unerwünschte Tumortoleranz erzeugen. Heute wissen wir, welche Voraussetzungen vorhanden sein müssen, damit eine spezifische zytotoxische Immunreaktion initiiert wird. Die dendritischen Zellen müssen die körpereigenen Tumorantigene immer zusammen mit Gefahrensignalen präsentieren! Das hier vorgestellte Impf-Verfahren nutzt dafür das onkolytische Newcastle Disease Virus. Diese Gefahrensignal-kombinierte Tumorantigen-Präsentation zwingt das Immunsystem in die richtige zytotoxische Reaktion.

Immun-Monitoring

Wie können wir feststellen, ob eine Antitumorvakzination erfolgreich ist, besonders wenn wir sie zur Sekundärprävention nutzen möchten. Vor Beginn einer Anti-Tumorvakzination isolieren wir aus dem Blut die T-Zellen und frieren diese ein. Nach den erforderlichen Vakzinationszyklen, in der Regel sind es zwei Therapiezyklen, isolieren wir die T-Zellen erneut. Nun testen wir die T-Zellen vor der Therapie und die T-Zellen nach der Therapie im Labor und testen deren Reaktion gegen VOL-DC in einem ELISPOT Test. Erkennen die T-Zellen die Tumorantigene als gefährlich, dann produzieren sie einen Botenstoff mit dem Namen Interferon-gamma. Diesen Botenstoff können wir pro T-Zelle mit einer Antiköperreaktion sichtbar machen.

Sehen wir eine Verbesserung der Reaktion der T-Zellen nach der Vakzination, dann hat das Immunsystem gelernt, gegen die Tumorzellen vorzugehen. Der Vakzinationszyklus war somit erfolgreich.

Diese Immunreaktion kann auch als Verlaufs-Parameter genutzt werden. Zu diesem Zweck wird in der nachfolgenden Zeit diese Immunreaktion in längeren Abständen kontrolliert. Sollte die Immunantwort abnehmen, dann wird eine erneute Vakzination durchgeführt.

Kombination von Impfstoff mit Antikörpern

Bisher galt als Paradigma, dass eine Immuntherapie nur einen Effekt bei intaktem Immunsystem, also im frühen Stadium nach einer erfolgreichen Tumorresektion, haben kann. Heute stehen neue Therapieoptionen zur Verfügung, mit denen eine Immuntherapie selbst im fortgeschrittenen Tumorstadium noch nachhaltige therapeutische Effekte erzielen kann.

Neue Antikörper könnten die Effekte der Anti-Tumor-Vakzinationstherapie so verstärken, dass sie auch noch im metastasierten Tumorstadium wirksam sind. Es handelt sich hier um die Checkpoint-Inhibitor-Antikörper PD-1 oder PD-1L. Tumorspezifische zytotoxische T-Zellen wandern ins Tumorgewebe, um dort einen zytotoxischen Effekt auszulösen. Der Tumor wehrt sich gegen diese gefährlichen Eindringlinge, indem er ein Signal aussendet, das auf den PD-1 Rezeptor der Immunzellen passt. Dieses von Tumorzellen sezernierte Signal, genannt PD-1-Ligand löst bei den eindringenden zytotoxischen T-Zellen den programmierten Selbstmord aus. Somit sind die Immunzellen nicht mehr in der Lage, ihrer Aufgabe gerecht zu werden. PD-1 oder auch PD-1L Antikörper blockieren diese Selbsttötungssignalstelle. Dadurch kann die tumorzerstörende Immunantwort ungehindert erfolgreich ablaufen.

Diese neuen Antikörper zeigen nur eine Wirksamkeit, wenn das Immunsystem vorher die Tumorzellen erkannt und als „gefährlich“ eingestuft hat. Da in der Regel diese Tumor-spezifischen zytotoxischen T-Zellen fehlen, hat bisher nur ein Teil von Tumorpatienten von der neuen Checkpoint-Inhibitor-Antikörper- Therapie profitiert. Die hier vorgestellte Vakzinationstherapie erhöht die Voraussetzung für eine erfolgreiche Wirkung der Checkpoint-Inhibitor-Antikörper. Umgekehrt verbessert die Antikörpertherapie die Wirksamkeit der Anti-Tumor-Vakzination im fortgeschritten metastasierten Tumorstadium.

Die heute zur Verfügung stehenden immunologischen Therapieoptionen ermöglichen es erstmals, das Langzeitüberleben von Patienten mit soliden Tumorerkrankungen zu verbessern.

Voraussetzung hierfür ist ein vorausschauendes Planen und somit Offenhalten verschiedener in Zukunft zur Verfügung stehender Therapieoptionen. Zum Beispiel sollte ein Teil des operativ entfernten Tumorgewebes für therapeutische Zwecke in geeigneter Weise asserviert werden.

Korrespondierende Autoren:
Dr. Wilfried Stücker, CEO und Tumor-Immunologe am Immunologisch-Onkologischen Zentrum Köln (IOZK). Seit 1995 ist er an der Entwicklung neuartiger Immuntherapien für Krebspatienten beteiligt und hat das IOZK mit gegründet.
Prof. Dr. Volker Schirrmacher, war von 1976 bis 2008 Leiter der Abteilung „Zelluläre Immunologie“ am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. 1988 erhielt er den Deutschen Krebspreis. Seit 2008 ist er Wissenschaftlicher Leiter der Tumorimmunologie am IOZK.
Prof. Dr. Stefaan van Gool, er forscht und arbeitet seit 20 Jahren an der Universität Leuven in Belgien, als Facharzt für Pädiatrische Neuro-Onkologie und histiozytäre Erkrankungen. Seit September 2015 leitet er am IOZK die Abteilung für Translationale Onkologie.

Weitere Informationen: www.iozk.de

 

Aktuelles aus der Krebsforschung

Hirntumoren - Ein bösartiges Netzwerk macht Hirntumoren resistent gegen Therapie

Glioblastome sind die bösartigsten unter den Hirntumoren. Ärzte und Wissenschaftler unter Federführung der Klinischen Kooperationseinheit Neuroonkologie des Deutschen Krebsforschungszentrums und des Universitätsklinikum Heidelberg beschreiben nun in der Zeitschrift Nature, dass die Glioblastomzellen untereinander durch lange Zellfortsätze verbunden sind. Die Krebszellen kommunizieren über diese Verschaltung und schützen sich dadurch vor therapiebedingten Schäden. Blockierten die Forscher die Netzwerk-Bildung, so drangen die Krebszellen weniger invasiv in das Gehirn ein und sprachen besser auf die Strahlenbehandlung an.

Hirntumoren aus der Gruppe der unheilbaren Astrozytome, zu denen auch die besonders bösartigen Glioblastome zählen, wachsen wie ein Pilzmyzel diffus in das gesunde Gehirn ein. Daher lassen sie sich durch eine Operation nicht vollständig entfernen und wachsen trotz intensiver Therapie weiter – sie besitzen offenbar wirksame Resistenzmechanismen.

Wissenschaftler um Frank Winkler von der Neurologischen Universitätsklinik Heidelberg und vom Deutschen Krebsforschungszentrum beschreiben in ihrer aktuellen Arbeit eine verblüffende Eigenschaft der Astrozytomzellen: Sie bilden extrem dünne und lange Fortsätze ihrer Zellmembran aus, mit denen sie das gesunde Gehirn durchdringen, es ständig abtasten, und schließlich kolonisieren.

3D-Darstellung eines Glioblastoms: Vernetzte Krebszellen (blau) sind über lange Membranfortsätze (pink) miteinander verbunden. Unvernetzte Tumorzellen sind dunkelgrau, Membranfortsätze, die keine Zellen verbinden, hellgrau dargestellt. (M. Osswald/DKFZ).

Mit zunehmendem Tumorwachstum verbinden sich die Krebszellen mit diesen Fortsätzen zu einem großen Netzwerk. In diesem Netzwerk kommunizieren sie so intensiv über so lange Distanzen, dass man Astrozytome als hochkomplexe, organähnliche Strukturen verstehen kann. „Unser erster Gedanke war: das sieht ja aus wie die Neubildung eines Gehirns im bestehenden Gehirn“, berichtet Frank Winkler. „Die Tumorzellen waren stark untereinander vernetzt, so wie wir das von Nervenzellen im Gehirn kennen.“

Die Forscher beobachteten bis über ein Jahr hinweg das Wachstum menschlicher Glioblastome, die sie auf Mäuse übertragen hatten. Sie nutzten dazu eine spezielle Mikroskopietechnik, die Einblicke in tiefe Zonen des Gehirns ermöglicht. So fanden sie heraus, dass die Tumorzellen Moleküle über die Membranschläuche austauschten und sie darüber hinaus als Kommunikationskanäle nutzen.

Auch im Gewebe von Hirntumor-Patienten entdeckten die Forscher das Netzwerk aus Membranfortsätzen. Je vernetzter die Krebszellen waren, desto bösartiger und resistenter war der Hirntumor-Typ. Die Wissenschaftler vermuteten daher rasch, dass die Netzwerke aus Membranfortsätzen mit der Therapieresistenz im Zusammenhang stehen müssen. Tatsächlich erkennen die Tumore eine Schädigung des Netzwerks und reparieren es umgehend. Eine Bestrahlung – die Standardtherapie beim Glioblastom – überleben vor allem diejenigen Tumorzellen, die Teil des Netzwerkes sind, unvernetzte Krebszellen dagegen sterben.

Wie kommen die Tumorzellen zu ihren ungewöhnlichen Membranfortsätzen? Einen Hinweis darauf ergab die Analyse der Genaktivitäten von 250 Hirntumorpatienten. Die Krebszellen missbrauchen bestimmte molekulare Signalwege, die normalerweise an der frühen Entwicklung des Nervensystems beteiligt sind, für ihre Vernetzung. Nach einer experimentellen Blockade dieser Signalwege entwickelten die Mäuse geringer vernetzte kleinere Tumoren, die sehr stark auf Strahlentherapie ansprachen.

„Die Resistenz der Astrozytome, insbesondere der Glioblastome, gegen alle Therapieformen ist ein enormes Problem. Unsere Ergebnisse zeigen uns erstmals einen lang gesuchten neuen Ansatz auf, diese Resistenz zu brechen, um die Tumoren zukünftig möglicherweise besser behandeln zu können. Zudem zeigen die Ergebnisse, warum eine molekular definierte Subgruppe von Hirntumoren deutlich stärker von der Therapie profitiert. Bei ihnen scheint die Möglichkeit zur Netzwerkbildung begrenzt zu sein“, sagt Wolfgang Wick, Leiter der Klinischen Kooperationseinheit und der Neurologischen Universitätsklinik Heidelberg.

Matthias Osswald, der Erstautor der Arbeit, ergänzt: „Auch wenn wir mit dieser Entdeckung unseren Hirntumorpatienten noch nicht unmittelbar helfen können, wissen wir doch zumindest, in welche Richtung künftige Therapien entwickelt werden sollten: Wir müssen das bösartige Netzwerk zerstören.“
(Quellen. Matthias Osswald, Erik Jung, Felix Sahm, Gergely Solecki, Varun Venkataramani, Jonas Blaes, Sophie Weil, Heinz Horstmann, Benedikt Wiestler, Mustafa Syed, Lulu Huang, Miriam Ratliff, Kianush Karimian Jazi, Felix T. Kurz, Torsten Schmenger, Dieter Lemke, Miriam Gömmel, Martin Pauli, Yunxiang Liao, Peter Häring, Stefan Pusch, Verena Herl, Christian Steinhäuser, Damir Krunic, Mostafa Jarahian, Hrvoje Miletic, Anna S. Berghoff, Oliver Griesbeck, Georgios Kalamakis, Olga Garaschuk, Matthias Preusser, Samuel Weiss, Haikun Liu, Sabine Heiland, Michael Platten, Peter E. Huber, Thomas Kuner, Andreas von Deimling, Wolfgang Wick und Frank Winkler: Brain tumor cells interconnect to a functional and resistant network. Nature 2015, DOI: 10.1038/nature16071) Link zum Kommentar in Nature (“News and Views”): http://www.nature.com/nature/journal/vaop/ncurrent/full/nature15649.html

 

Neue Erkenntnisse zum medizinischen Fasten

Prof. Dr. med. Karin Kraft, Lehrstuhl für Naturheilkunde, Direktorin Zentrum für Innere Medizin, Universitätsmedizin Rostock

Schon bei Hippokrates um 400 v. Chr. und bei Galenus (131 n. Chr.) wurde das medizinische Fasten als heilwirksam beschrieben. Diese Erkenntnis geriet in Europa dann allerdings bis zum 19. Jahrhundert in Vergessenheit. Seine Renaissance fand in den USA ab 1880 statt. Auch in Deutschland wurden ab 1900 bis 1950 Fastenkliniken gegründet. Ambulante und stationäre Fastenkuren wurden bis zum Beginn der evidenzbasierten Medizin Anfang der 1990er Jahre wegen ihrer guten Wirkung bei vielen Zivilisationskrankheiten durch die Gesetzlichen Krankenkassen finanziert.

Medizinisches Fasten bedeutete bei diesen Fastenkuren den Verzicht auf feste Nahrung und Genussmittel für 5 Tage bis 5 Wochen bei reichlicher Flüssigkeitszufuhr und Versorgung mit Mikronährstoffen. Der Fastende soll den Darm zudem regelmäßig entleeren und sich ausreichend im Wechsel mit Ruhephasen bewegen. Während der Fastenphase sind körperliche Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden normal.

In den letzten Jahren geriet das Fasten zunehmend in den Focus des wissenschaftlichen Interesses.

Wie sich der Stoffwechsel beim Fasten umstellt, ist schon lange gut bekannt. Nach 12-24 Stunden Fasten fällt – in Abhängigkeit von der körperlichen Aktivität – der Blutzuckerspiegel um mindestens 20% ab. Für die Energiegewinnung für Skelettmuskulatur, Herzmuskel, Nierenrinde und die meisten anderen Gewebe werden dann freie Fettsäuren genutzt. Für die Versorgung des Gehirns und der peripheren Nerven werden Glukose (80 g/Tag) aus dem Glyzerinanteil der Blutfette und aus Aminosäuren gebildet, nach ca. 5 Tagen zudem aus den während des Fastens stark erhöhten Ketonkörpern.

In tierexperimentellen Untersuchungen wurden beim Fasten ein Anstieg der Insulinsensitivität und die Reduktion von Blutdruck, Körperfett, Insulin-like growth factor-1 (IGF-I), Insulin, Glukose, arteriosklerosefördernden Blutfetten und Entzündungswerten beobachtet. Ebenfalls in Tiermodellen verbesserte sich durch Fastenphasen der Krankheitsverlauf bei Herzinfarkt, Diabetes mellitus, Schlaganfall, M. Alzheimer und M. Parkinson.

Beim Menschen gibt es ältere klinische Studien zu einmaligen längeren Fastenphasen bei rheumatoider Arthritis. Während des Fastens wird der Schmerz gelindert, und die Entzündung nimmt ab, da die Konzentrationen von Arachidonsäure und Entzündungsmediatoren wie z. B. den Prostaglandinen in den Geweben abnehmen. Nach Wiederaufnahme der normalen Ernährung tritt die Entzündung dann wieder auf, außer es wird eine vegetarische Diät, in der keine Arachidonsäure enthalten ist, weil diese in tierischen Fetten vorkommt, eingehalten. Hier wurden günstige Wirkungen für mindestens zwei Jahre beobachtet.

Längeres Fasten wurde früher auch als mögliche Therapiemöglichkeit bei Tumoren diskutiert. Inzwischen ist jedoch klar, dass ein Tumor nicht einfach „ausgehungert“ werden kann.

Ganz im Gegenteil, oft wurde sogar eine Zunahme des Wachstums nach Beendigung der Fastenphase beobachtet. Dafür gibt es folgendes Erklärungsmodell: Während des Fastens wird der starke Abfall von Insulin, IGF-1 und Blutglukose zunächst von Zelltod und Atrophie in vielen Geweben und Organen begleitet, die sich nach wenigen Tagen aber stark verlangsamt. Wenn die normale Ernährung wieder beginnt, steigen die Wachstumsfaktoren wieder an. Dies führt für kurze Zeit zu einem abnormal hohen Zell- und Mitochondrienwachstum, das in einem rascheren Tumorwachstum resultieren kann.

Möglicherweise gilt das aber für kürzere Fastenphasen nicht unbedingt. In den letzten Jahren wurde die Wirkung von wiederholten Fastenphasen über jeweils 2-3 Tage im Zusammenhang mit Tumorerkrankungen zumindest bei Mäusen genauer untersucht. Hier nahmen die Immunsuppression und die erhöhte Sterblichkeit nach Chemotherapie ab. Zudem war bei ihnen das Fasten so wirksam wie eine Chemotherapie.

Man nimmt an, dass die starken Stoffwechselveränderungen beim kurzfristigen Fasten, insbesondere die sehr niedrigen IGF-1- und Glucosekonzentrationen, zu einer Umgebung führen, in der Tumorzellen rasch absterben, da sie eine Reihe von Mutationen aufweisen, die dazu führen, dass sie sich in der Regel an extreme Umgebungen nicht anpassen können.

Für den Menschen sind allerdings bislang keine Untersuchungen durchgeführt worden, die belegen würden, dass wiederholte kurze Fastenphasen vor Tumoren schützen oder sogar in der Tumorbekämpfung sinnvoll sein könnten.

Bekannt ist jedoch seit einigen Jahren, dass ein regelmäßiges aerobes Training bzw. ein wiederholtes kurzfristiges Fasten den allgemeinen Alterungsprozess und einige Alterskrankheiten über gemeinsame zelluläre Mechanismen verzögern. Besonders interessant ist der Einfluss auf die geistige Leistungsfähigkeit.

Bei Ratten und Mäusen verbesserte Fasten, das jeden zweiten Tag wiederholt wurde, Lernen und Gedächtnis und die Ergebnisse bei Verhaltenstests zur Prüfung der motorischen und sensorischen Funktion. Die Fortschritte in den Verhaltenstests sind mit einer gesteigerten synaptischen Plastizität und Produktion von neuen Neuronen aus neuronalen Stammzellen assoziiert. Erklärt wird dies mit der Zunahme der Produktion des brain-derived neurotrophic factor (BDNF) während des Fastens. BDNF fördert das Wachstum von Dendriten und die Aufrechterhaltung von Synapsen und steigert damit die Entwicklung und das Überleben neuer Neurone.

Bei alternden Mäusen wurde auch die Wirkung wiederholten kurzen Fastens auf die hämatopoetischen (blutbildenden) Stammzellen untersucht. Der Abfall des zirkulierenden IGF-1 führte zur Abnahme der Apoptose, d.h. des „Zellselbstmordes“, und schützte allgemein vor DNA-Schädigungen. Damit kann wiederholtes Fasten offenbar das Immunzellprofil im Sinne einer Verjüngung beeinflussen.

Gegenwärtig werden beim Menschen deshalb anstatt längerer Fastenphasen Regimes mit wiederholtem, kurzem Fasten untersucht. Beim „5:2“-Fasten wird an 5 Tagen eine normale Kalorienzahl aufgenommen, an 2 Tagen nur ca. 25 % des Tagesbedarfs (500-600 Kalorien). Beim so genannten alternierenden Fasten wird dagegen an jedem zweiten Tag gefastet. Beide Regimes wurden bei Übergewichtigen in klinischen Studien geprüft. Die jungen Frauen, die nach dem 5:2-Regime für 6 Monate fasteten, verzeichneten eine Abnahme von abdominellem Fett und Blutdruck sowie einen Anstieg der Insulinsensitivität. In der Studie zum alternierenden Fasten stiegen die Insulinsensitivität und der Körperfettabbau an, Blutdruck und Körperfettanteil fielen ab.

Insgesamt waren diese Fastentypen einer Reduktionskost in Kombination mit einem regelmäßigen aeroben körperlichen Training aber langfristig nicht überlegen.

Da Fasten eine eingreifende Maßnahme ist, bestehen etliche Kontraindikationen:

  • Fehlende Gewichtsreserven
  • Konsumierende Erkrankungen (z. B. Tuberkulose; Tumorerkrankung)
  • Hoch dosierte Glucokorticoid- oder Chemotherapie
  • Dekompensierte Schilddrüsenüberfunktion
  • Erschöpfungszustände
  • Postoperative Mangelsituationen
  • Anorexia nervosa und andere Essstörungen
  • Akute intermittierende Porphyrie (Auslösung von Krisen)
  • Spätphasen chronischer Erkrankungen (Nieren- oder Leberinsuffizienz)
  • Aktive Psychosen, Neurosen
  • Demenz
  • Schwangerschaft und Stillzeit
  • Zahnbeherdungen

Folgende Einschränkungen und Vorsichtsmaßnahmen sind zu beachten: Klinische Studien mit Fastenregimes bei Kindern, sehr alten oder untergewichtigen Menschen fehlen bisher, d.h. es ist unbekannt, ob Fasten in allen seinen Varianten hier sogar nicht schädlich sein könnte. Eine reduzierte Nahrungsmittelzufuhr im Rahmen des Fastens kann nämlich wegen des Mangels an Mikronährstoffen wie Kupfer, Eisen, Selen und Magnesium zu einem schlechten Ernährungszustand und schwachem Körperwachstum führen.

Fastenperioden über drei und mehr Tage sollten nur unter ärztlicher Aufsicht und bevorzugt in einer Klinik durchgeführt werden. Schließlich gilt, dass Fastenregimes nur eine begrenzte Wirkung auf gesundheitliche Probleme haben, wenn sie nicht mit einer kontinuierlich mäßigen Kalorienzufuhr und Kostformen auf pflanzlicher Basis mit niedrigem Gehalt an Arachidonsäure und anderen entzündungsfördernden Substanzen kombiniert werden.

Insgesamt sind damit klinische Studien insbesondere bei Patienten mit verschiedenen Krankheiten erforderlich, deren Ergebnisse dann die Grundlage für den gezielten Einsatz von Fasten als Therapieoption darstellen können. Ein therapeutisches Potenzial des Fastens ist mit Sicherheit vorhanden.

Weitere Informationen:
Prof. Dr. med. Karin Kraft
Email: karin.kraft@med.uni-rostock.de
www: http://naturheilkunde.med.uni-rostock.de

 

„Wir alle leben geistig von dem, was uns Menschen in bedeutungsvollen Stunden unseres Lebens gegeben haben.“
(Albert Schweitzer (1875-1965), Arzt, Theologe, Musiker und Kulturphilosoph, Friedensnobelpreisträger 1951)

 

Aktuelles aus der Krebsforschung

Bewegung und Krebs – Neue Ratgeberbroschüre für mehr Sport im Leben – während oder nach der Krebstherapie

Die neue Ratgeberbroschüre des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg und des Krebsverbandes Baden-Württemberg e.V. richtet sich an alle Krebspatienten, die gesund leben wollen. Bewusst wenden sich die Autoren dabei an erkrankte und an geheilte Menschen. Die ebenso nützlichen wie einfachen Tipps in der 80 Seiten umfassenden Broschüre sollen helfen, den hohen Stellenwert von körperlicher Aktivität für sich selbst zu entdecken und Bewegung und Sport in den Alltag einzubauen. Spezielle Trainingsformen berücksichtigen die therapiebedingte Situation und helfen mit gezielter Bewegung, den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen. Abgerundet wird das Informationsangebot durch zahlreiche Kontaktadressen von Sportverbänden, Kliniken und Vereinen in Baden-Württemberg, die sich mit Sport, Bewegung und Krebs beschäftigen und ihre speziellen Angebote vorstellen.

Das NCT ist eine gemeinsame Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums, des Universitätsklinikums Heidelberg und der Deutschen Krebshilfe.

Einer der Treiber des Themas „Bewegung, Sport und Krebs“ und verantwortlicher Herausgeber der neuen Ratgeberbroschüre ist Dr. Joachim Wiskemann, der am NCT die Initiative „OnkoAktiv“ mitbegründet hat und heute leitet. OnkoAktiv versteht sich als integrierendes Netzwerk und arbeitet mit regionalen Trainingspartnern zusammen, die eine qualifizierte Betreuung von Krebspatienten gewährleisten. „Die neue Broschüre orientiert sich nicht an der bestehenden Krebsdiagnose, sondern stellt die Nebenwirkungen der Behandlung in den Mittelpunkt. Das unterscheidet sie von bereits vorhandenen Informationsmaterialien“, sagt Joachim Wiskemann. „Wir glauben, dass wir damit eine deutlich größere Zahl an Patienten und Interessierten ansprechen.“

Der Vorsitzende des Krebsverbandes Baden-Württemberg, Hubert Seiter, hebt hervor: „Dem NCT Heidelberg danken wir in besonderem Maße dafür, dass hier das Thema Sport mit, während und nach Krebs nachhaltig zum Thema gemacht wird. Hierfür setzt sich das NCT mit Dr. Joachim Wiskemann und dem Team der Arbeitsgruppe Onkologische Sport- und Bewegungstherapie sowie Professor Karen Steindorf mit dem Team der Abteilung Bewegung, Sport und Krebs am Deutschen Krebsforschungszentrum seit vielen Jahren ein.“ Die gemeinsame Überzeugung der Partner, die sich durch immer mehr Studien wissenschaftlich verfestigt: Wenn es gelingt, Betroffene zu körperlichen Aktivitäten anzuregen, werden dadurch die Nebenwirkungen einer Chemo- und Strahlentherapie verringert.

Der Leiter der Medizinischen Onkologie am NCT unterstützt Professor Dirk Jäger: „Die neue Broschüre, Sport, Bewegung und Krebs leistet für unser Anliegen wertvolle Dienste. Sie unterstützt Patienten dabei, aktiv zu werden, leitet sie an und informiert über kompetente Ansprechpartner in der Region.“
(Quelle: Presse DKFZ und NCT, Philip Benjamin/NCT)

 

Selbsthilfe allein oder in der Gruppe?

Jeder muss seinen Weg finden.

Heinz Georg Steinke, Bad Frankenhausen

Nach meiner zufälligen Bekanntschaft mit der Zeitschrift „Die Harnblase“ bei meinem Urologen in der Nachsorge der dann folgenden Kontaktaufnahme mit dem Selbsthilfebund Blasenkrebs e.V., wurde mir recht schnell die Bedeutsamkeit eines Selbshilfebundes (ShB) bewusst.

Als Betroffener von Blasen- und Prostatakrebs stellte ich nun weitere Nachforschungen an und stieß so auf den Bundesverband Prostatakrebs. Leider ist der Selbsthilfebund Blasenkrebs in der Gemeinschaft der Selbsthilfe-Bünde stark unterrepräsentiert. Dies kann nur durch einen starken Zulauf an Mitgliedern verändert werden und sollte bei der Häufigkeit der Blasenkrebserkrankungen auch möglich sein.

Doch sicher geht es vielen Betroffenen wie mir, sie wissen nichts von den Bundesverbänden und Selbsthilfegruppen und werden von Ärzten, Kliniken und Rehakliniken auch nicht darauf hingewiesen. So bleibt es, wie in meinem Fall, oft dem Zufall überlassen, ob man den Weg zu einem ShB oder in eine Selbsthilfegruppe findet.

Die Mitgliedschaft Krebskranker in einem Bundesverband wird von mir ohne Wenn und Aber gutgeheißen. Folgerichtig bin ich in beiden Bundesverbänden auch Mitglied geworden. Die von den Bundesverbänden herausgegebenen Zeitschriften sind gut und informativ. Sie vermitteln den interessierten Betroffenen eine Menge an Fachwissen, das sie in mögliche zu treffende Entscheidungen gut mit einbringen können.

Zur Selbsthilfe möchte ich einige Gedanken äußern. Selbsthilfe allein oder in der Gruppe ist oft die Frage, die sich Betroffene stellen. Hier muss man auch noch zwischen Frauen und Männern unterscheiden, letztere tun sich oft schwer, sich einer ShG anzuschließen. Starke Charaktere, oftmals Sportler, suchen Selbsthilfe im Sport, also allein. Sie erreichen, da gibt es viele Beispiele, oft Leistungen, die sie ohne die Krankheit Krebs wahrscheinlich nicht erreicht hätten. Sie glauben, mit überdurchschnittlicher Willensstärke und eisernem Training dieser Krankheit begegnen zu müssen und haben oft Erfolg damit. Hier ist ihnen ihre Krankheit Antrieb und Motivation. Bekannte Radsportler, leider auch ein durch Doping ins Zwielicht geratener Olympiasieger und mehrfacher Tour de France-Sieger, Biathleten, Leichtathleten auf den Langstrecken und überlangen Strecken wie Marathon und den so genannten Supermarathonläufen, sprechen mit ihren Erfolgen dafür. Jüngstes Beispiel dafür ist die nach zweifacher Schilddrüsen-Krebs-Operation in Sotschi auf Platz sechs im Skilanglauf angekommene Stefanie Böhler. Hier spricht man oft von den wahren Helden. Doch Helden sind alle, die gegen den Krebs ankämpfen und ihn besiegen. Es gibt sicher auch andere Betätigungsfelder, wo sich Betroffene beweisen können, um dem Krebs zu trotzen. Hier muss jeder seinen Weg finden.

Ich habe mir neben dem Sport mit meinem Mutmach-Büchlein „Zwischen Himmel und Hölle oder Blase und Prostata“ meine Enttäuschung, die Wut, den Schock und die Widrigkeiten nach meinen drei Operationen von der Seele geschrieben. Es hat mir gut getan. Andere Betroffene brauchen die Gemeinschaft, den Austausch in der Gruppe. Für diesen Kreis ist eine ShG genau das Richtige. Doch auch hier sollte man behutsam vorgehen, nicht einfordernd, eher werbend. Für mich sind die Mitgliedschaft in beiden Bundesverbänden und eine lose Bindung an zwei Selbsthilfegruppen wichtig und richtig. Schon rein territorial ist es für mich mit zu viel Aufwand verbunden, um monatlich an diesen Gruppentreffen teilzunehmen. Für mich interessante Veranstaltungen und Vorträge werde ich wahrnehmen und mich auch gern einbringen. Da bin ich diesen Selbsthilfegruppen in meinem erweiterten Umfeld schon sehr dankbar.

Im Resümee also: Jeder muss seinen für sich richtigen Weg finden, ohne das Gefühl zu haben, eingefordert zu werden. Gerade Betroffene sind oft sehr feinfühlend und reagieren entsprechend.

 

Luft und Lust zum Atmen in der Holsteinischen Schweiz

notiert von Dagmar Moldenhauer

Die Schweiz kennen viele. Aber die Holsteinische Schweiz? Egal, wie es einem gerade geht, hier kann es einem ziemlich gut gehen. Und wenn man gar Natur und Poesie genießen will und dabei auch noch Spaß an Nachdenklichem hat, dann ist man hier richtig.

„Installation der konkreten Poesie“ ist ein Rundgang mit 27 Schildern zu sehr besonderer Wahrnehmung – rund um den kleinen Ukleisee. Mit Genehmigung des Grafen Brockdorff-Ahlefeldt und in Zusammenarbeit mit dem Verein LandArt Schleswig-Holstein e.V. wurde im Eichholz in Dersau ein „Radikal subjektiven Weg“ gestaltet. Der Hamburger Künstler Gunter Gerlach hatte ihn erdacht. Hier eine kleine Remineszenz.

Das Schild im Chaos.
Wo der Mensch geht, erwartet er Schilder. Sie ordnen das Chaos. Sie regeln, warnen, bezeichnen und führen. Sie weisen auf unsichtbare Grenzen hin, geben dem Sichtbaren Namen und hinterlegen ihm eine unsichtbare Bedeutung. Ohne Beschilderung ist der Mensch in einer fremden Umgebung hilflos. Deshalb gibt es keinen schilderfreien Raum in der Zivilisation. Das Schild ist geradezu eines ihrer Merkmale. Der Mensch suchte Schutz unter Schildern, nutzte sie in seiner Entwicklung sehr früh, um das Böse, die Dämonen abzuwehren – sich schließlich vor Feinden abzugrenzen. Nur die Wildnis kommt ohne Beschilderung aus.

Schild ist Macht.
Das Wesen des Schildes ist seine Eindeutigkeit. Wo „Eingang“ draufsteht, dürfen wir den Eingang erwarten. Wo „Vergiftungsgefahr“ draufsteht, ist die Vergiftung möglich. Schilder verdichten auf diese Weise den Raum, die Zeit oder ein Objekt und verbreitern Denkansatz und Blickfeld des Betrachters. Schilder besitzen deshalb außerordentlich hohe Aufmerksamkeit und ungebrochene Autorität. Historisch beurkunden sie eine unsichtbare Macht und übertragen noch heute die Aura des Herrschens. Den Bedeutungen der Schilder wird deshalb vorbehaltlos vertraut.

Das „falsche“ Schild.
Schilder sind Abbilder einer Realität, auf die sich die Gemeinschaft geeinigt hat. Schilder bedeuten eine für jeden verbindliche Wirklichkeit. Nichts irritiert so sehr, wie ein falsches Schild. Ein falsch beschrifteter Wegweiser führt aber nicht nur in die Irre, sondern auch zu uns selbst. Man findet den Weg nur wieder, wenn man sich auf verschüttete Fähigkeiten besinnt, Raum, Zeit und Ort selbst erkennt und benennt.

Der Standort der Seele.
Mit einer Vielzahl von Schildern wurde eine Landschaft verwandelt. Es war eine nicht mehr sichtbare Skulptur, weil sie Grenzen und Dimensionen sprengte.

Im Makrokosmos war die Installation ein Lehrpfad. Er zeigte, wie Sprache alles verwandelt, wie allein die Gegenwart eines Schildes Landschaft verändert. Die Schilder bedeuten die Subjektivität der Realität, in dem sie eine mögliche andere Realität andeuten und offenbaren.

Die syntaktische Funktion der Schilder bleibt erhalten, aber die semantische Funktion spaltet sich ab. Eine schizophrene und virtuelle Landschaft entsteht. Hier deuten Schilder auf verborgene Geschichten. Hier führen Schilder zu imaginären Zielen. Hier bestimmen Schilder nur noch den Standort der Seele.

Leider hat die Installation die Zeit nicht überdauert. Dennoch: Wenn Sie einmal in die Holsteinische Schweiz fahren, atmen Sie tief durch – es lohnt sich in der Frische des Waldes und des Landes Gesundheit und neue Gedanken zu atmen. Diese Region hält Traditionen, Weite, Meer und noch viel mehr bereit. Und die Menschen sollen hier lt. einer Umfrage ziemlich zufrieden sein. Wen wundert das?

 

Aktuelles aus der Krebsforschung

Über den onkologischen „Tellerrand“ geschaut:
Volkskrankheit Schmerz : „Versorgung in Deutschland ist defizitär“

Mehr als die Hälfte der Krebspatienten leiden unter Schmerzen. In den letzten zehn Jahren hat sich daran kaum etwas geändert. Mehr als ein Drittel der Betroffenen empfindet diese Schmerzen als mäßig bis stark.

Im November 2015 diskutierten auf Einladung der Deutschen Schmerzliga e.V. (DSL), der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) und des Berufsverbands der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. (BVSD) in Berlin beim „Nationalen Versorgungsforum Schmerz“ Schmerzmediziner, Parlamentarier des Deutschen Bundestags, Vertreter von Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen, Wissenschaftler und Patienten über Konzepte für eine bessere Schmerzversorgung in Deutschland.

Die einhellige Meinung der Diskussionsteilnehmer: Die Versorgung in Deutschland ist aktuell unzureichend. Nicht zuletzt belegt das die seit Jahren kontinuierlich steigende Anzahl von Patienten mit chronischen Schmerzen. Es besteht also dringender Handlungsbedarf. Für die nächsten Jahre erwarten die Experten ohne nachhaltige Änderung der Versorgungssituation weiterhin steigende Patientenzahlen und so eine weitere Verschlechterung der schmerzmedizinischen Versorgung.

„Allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Trotz steigt die Anzahl vergeblich hilfesuchender Schmerzpatienten von Jahr zu Jahr, täglich ist die Deutsche Schmerzliga an ihrem Schmerztelefon mit verzweifelten, hilfesuchenden Patienten konfrontiert, deren Schmerzproblem auch nach mehreren Arzt- und Klinikbesuchen nicht gelöst werden konnte“, so PD Dr. Michael A. Überall, Präsident der Deutschen Schmerzliga e.V. „So wie sie im Moment gestaltet ist, funktioniert die Schmerzversorgung in Deutschland einfach nicht. Ob ein Patient einen Arzt findet, der sich in der Schmerzmedizin engagiert, ist reiner Zufall“, betont der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS), Dr. Gerhard Müller-Schwefe. Der Vorsitzende des Berufsverbands der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. (BVSD), Prof. Dr. Joachim Nadstawek, erklärt: „Die ambulante schmerzmedizinische Versorgung in Deutschland ist bundesweit insgesamt katastrophal. Wir haben zu wenige niedergelassene Schmerzmediziner, die unter unsicheren und ökonomisch nicht tragfähigen Rahmenbedingungen arbeiten. Dringend benötigter Nachwuchs wird so eher abgeschreckt, als gefördert. Zukunftsweisende Reformkonzepte, die auf dem Tisch liegen, müssen endlich politisch umgesetzt werden.“
(Quelle: DSL, DGS und BVSD und Red.)

 


Europäische Akademie für Naturheilverfahren und Umweltmedizin
Partner für einen Dialog zur Integrativen Krebstherapie

Die „Aktuellen Gesundheitsnachrichten“ werden von der Stiftung Günter und Regine Kelm gefördert. Sie können die Zeitschrift kostenlos bestellen oder online unter www.eanu.de lesen. Sind Sie auch an den „NEWS Integrative Krebstherapie“ interessiert?
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IMPRESSUM: Aktuelle Gesundheitsnachrichten, Heft 20/2016, ISSN (Print) 2199-9791, ISSN (Internet) 2199-9805

HERAUSGEBER: Europäische Akademie für Naturheilverfahren und Umweltmedizin (EANU)
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REDAKTIONSTEAM: Dagmar Moldenhauer, Dr. med. A .-H. Wasylewski, Jochen Friedrich, Regine Kelm
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